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Kritik an Papst Franziskus
"Er sagt zu viel zu vielen Themen"

Sowohl liberale als auch konservative Kreise in der katholischen Kirche wüssten nicht, woran sie bei Papst Franziskus seien, sagte der Leiter des Kulturressorts des "Cicero", Alexander Kissler, im DLF. Dass er zu sehr an die Verantwortung des Einzelnen appelliere, sei ein Problem. Gerade einfache Leute seien auf sein Urteil angewiesen.

Alexander Kissler im Gespräch mit Tobias Armbrüster |
    Alexander Kissler, deutscher Literatur- und Medienwissenschaftler, Kulturjournalist, Moderator und Sachbuchautor.
    Alexander Kissler, deutscher Literatur- und Medienwissenschaftler, Kulturjournalist, Moderator und Sachbuchautor. (picture alliance / dpa / Erwin Elsner)
    Franziskus habe das spirituelle Kerngeschäft vernachlässigt, fasste Alexander Kissler - Leiter des Kulturressorts "Salon" beim Magazin "Cicero" - die Kritik am Papst zusammen. Er sage zu viel zu vielen Themen bei zu vielen Anlässen, sodass er bereits als "Ad-hoc-Papst" oder "Spontifex" bezeichnet werde. Die Kirche habe jemanden nötig, der verständlich spreche und sich nicht hinter Floskeln verstecke. Doch genau das sei bei Franziskus das Problem. Er schließe zwar Neuerungen wie das Diakonat für Frauen nicht aus, sage aber nicht, wie diese umgesetzt werden sollen.
    Problem: Franziskus gibt keinen Kurs vor
    Die Katholiken wüssten nicht, "was es ist, das der Papst von mir will?" Franziskus versuche, durch eine einfache Sprache auf Menschen zuzugehen und so die Entfernung aufzuheben. Allerdings verfolge er einen schlingernden Kurs. Und gerade einfache Leute "sind darauf angewiesen, doch zu wissen, wofür steht der Papst eigentlich?"
    Franziskus habe zwar die Bischöfe in Westeuropa hinter sich, allerdings sei die afrikanische Kirche fast geschlossen in Opposition zum Papst und die asiatische Kirche sei gespalten. Die "Stimmung im Vatikan soll sehr schlecht sein", so Kissler. Es gebe Loyalitätsprobleme dem Papst gegenüber - "wie das ausgehen wird, ist offen".

    Das Interview in voller Länge:
    Tobias Armbrüster: Papst Franziskus ist seit drei Jahren im Amt und er hat einiges ins Rollen gebracht in dieser Zeit. Einige sagen, er hat vielleicht ein bisschen zu viel ins Rollen gebracht in dieser 2000 Jahre alten Institution, die ja eigentlich immer davon gelebt hat, dass sich eben nicht allzu viel ändert. Die Rede ist natürlich von der Katholischen Kirche. Erst am Wochenende haben wir erfahren, dass der Papst jetzt nachlässige Bischöfe künftig entlassen kann, Bischöfe, die zum Beispiel weggeschaut haben bei Fällen von Kindesmissbrauch. Das ist die vorerst letzte Entscheidung, mit der Franziskus seine Kirche ganz offenbar erneuern will.
    Am Telefon ist jetzt einer, der in seinen Kommentaren immer wieder deutlich austeilt gegen den Papst: Alexander Kissler, Leitender Redakteur bei der Zeitschrift "Cicero". Schönen guten Morgen, Herr Kissler.
    Alexander Kissler: Ja! Schönen guten Morgen.
    "Er ist gewissermaßen ein Ad-hoc-Papst"
    Armbrüster: Herr Kissler, was stört Sie am Papst?
    Kissler: Na ja, was stört mich? - Ich nehme das zur Kenntnis, was ja sehr viele Beobachter zur Kenntnis nehmen, längst nicht nur in Deutschland. Die Kritik an Papst Franziskus ist in Italien stärker noch als bei uns, von Asien und Afrika will ich gar nicht reden. Die Vorwürfe konzentrieren sich auf zwei Richtungen: Zum einen, dass er das spirituelle Kerngeschäft vernachlässige, dadurch auch die Kernklientel, die Katholiken etwas vernachlässige, und zum anderen, dass er einfach zu viel zu vielen Themen bei zu vielen Anlässen sagt und dass es aus diesem Grund sehr, sehr schwierig ist, eine Linie dieses Pontifikats überhaupt zu benennen. Er stößt Dinge an, er ist gewissermaßen ein Ad-hoc-Papst, es fiel ja auch schon das Wort vom Spontifex, sodass die Nachhaltigkeit, die er sehr gerne im Munde führt, für sein eigenes Pontifikat eigentlich bisher nicht eingelöst worden ist.
    Armbrüster: Aber hat die Katholische Kirche nicht genau so einen Mann dringend nötig, einen Mann, der aufräumt, gerne auch mal mit etwas spontanen Vorschlägen?
    Kissler: Die Kirche hat mit Sicherheit jemanden nötig, der verständlich spricht, der zu den Menschen offen ist, der sich nicht hinter wolkigen Floskeln versteckt, der auch der Kirche ein freundliches Gesicht gibt. Das ist völlig richtig. Nur ich glaube, sowohl von links als auch von rechts, von konservativer als auch von progressistischer Seite will man doch irgendwann wissen, woran ist man denn nun, und das weiß man bei diesem Papst leider in sehr vielen Fällen nicht. Er sagt einerseits, gewisse Regelungen sollen vielleicht gelockert werden, was den Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen angeht, sagt aber nicht genau wie. Er sagt, möglicherweise sollen sich die Schritte zu einem gemeinsamen Abendmahl beschleunigen, sagt aber auch nicht wie. Er sagt, möglicherweise sollen wir schauen, ob das Diakonat für Frauen was ist, aber das einzige, was dann geschieht, ist zunächst mal eine Kommission zu einer historischen Frage einzusetzen, und genau das gab es schon vor zehn Jahren.
    Armbrüster: Na ja. Aber da verfolgt der Papst natürlich die Linie, die immer erfolgreich ist in der Katholischen Kirche, vielleicht nicht alles direkt realisieren, direkt durchsetzen, sondern erst mal ankündigen und dann warten, wie es weitergeht. Da ist er ja durchaus auf einer Linie mit Kirchenstrategen, wie es sie bisher auch schon gegeben hat.
    Kissler: Nur ist natürlich die Gefahr, die viele Beobachter sehen und die ich auch nicht ganz vom Tisch schieben kann, dass es bei diesen Ad-hoc-Reaktionen bleibt. Er hat jetzt neulich das schöne Bild von sich selbst gebracht, er fühle sich wie ein Torwart, der da steht und darauf wartet, wohin der Ball fliegt. Ein Papst als Torwart, als jemand, der immer spontan reagiert, das lässt doch viele vor Ort, auch vor allem Priester, aber auch einfache Leute im Volk zweifeln, was ist denn eigentlich das nun, was der Papst von mir will. Soll jeder im Prinzip tun was er will, jeder nach seiner Fasson, wo gibt es Grenzen dieser von ihm zurecht gerühmten Barmherzigkeit.
    Armbrüster: Sie haben jetzt mehrmals von den einfachen Leuten gesprochen.
    Kissler: Ja.
    Armbrüster: Ist das nicht vielleicht eine Linie, die sich durchaus bei ihm herauslesen lässt, dass er die Katholische Kirche versucht, den einfachen Leuten, auch den aktuellen Lebensumständen des 21. Jahrhunderts wieder näherzubringen?
    Kissler: Er versucht mit Sicherheit durch eine einfache Sprache, durch ein herzliches Auftreten - und das gelingt ihm ja auch; das kann man ja gar nicht abstreiten - auf Menschen zuzugehen, eine gewisse, wie soll ich sagen, Entfernung durch dieses Amt von den Menschen aufzuheben. Andererseits ist die Gefahr - und bei ihm gibt es immer ein einerseits/andererseits; es gibt einen schlingernden Kurs, man kann es von jeder Seite betrachten -, andererseits sind natürlich gerade einfache Leute, die jetzt nicht so in den Debatten, in den Grundlagen, vielleicht auch in der Dogmatik drinstecken, darauf angewiesen, doch zu wissen, wofür steht denn der Papst jetzt eigentlich, und er sagt sehr oft, zum Beispiel auch zur Frage nach dem gemeinsamen Abendmahl, sprecht mit dem Herrn, geht voran, ich wage nicht mehr zu sagen. Ja was heißt das denn? Jeder soll es halten wie er will? Das ist so ein bisschen die Gefahr, wenn man allzu sehr darauf setzt, dass man an die Verantwortung des Einzelnen appelliert.
    "Afrika und Asien, das sind die boomenden Regionen"
    Armbrüster: Könnte diese Politik, die er da betreibt, ihm jetzt noch gefährlich werden?
    Kissler: Na ja. Gefährlich ist immer die Frage, von welchem Blickwinkel. Wenn man das in der Weltkirche sehen, dann muss man sehen, dass er die afrikanischen Bischöfe doch ja fast geschlossen gegen sich hat. Die asiatischen Bischöfe sind auch gespalten. Die westeuropäischen hat er großteils auf seiner Seite. Ich glaube, wir müssen uns von dem Blick verabschieden, dass die westliche Kirche die Weltkirche bestimmt. Afrika und Asien, das sind die boomenden Regionen und dort hat er momentan nicht zuletzt auch durch die Familiensynode große Loyalitätsprobleme, und wie das ausgehen wird ist offen.
    Armbrüster: Warten Sie denn auch jetzt darauf, dass dieses Pontifikat sein natürliches Ende findet und dass die Katholische Kirche diesen Fehler, wenn Sie das so sagen würden, dann berichtigt?
    Kissler: Na das wäre ja sehr zynisch, wenn ich jetzt auf das Ableben des Papstes spekuliere, und ich werde auch jetzt nicht sagen, es ist ein Fehler. Es ist der amtierende Papst, der legitim gewählte Papst, der ein ganz besonderes Charisma hat, das ihn von anderen Päpsten abhebt, auch weil er aus einer anderen Region kommt, aus Argentinien. Gleichwohl ist allerdings die Gefahr nicht von der Hand zu weisen, dass immer mehr Regionen und auch immer mehr durchaus kooperationsbereite Mitarbeiter entgleiten. Die Stimmung im Vatikan soll sehr schlecht sein nach allem, was man hört. Und wenn die Weltkirche irgendwann mal den Verdacht hat, diesen Papst muss man eigentlich nicht mehr so ernst nehmen, weil er der Torwart ist, der irgendwie Späße macht und als heiterer Mensch rüberkommen will, dann hätte er ein Problem. Das ist noch nicht so weit, wir werden sehen.
    "Dann muss er es auch aushalten, dass er sehr, sehr hart angefasst wird von einigen Seiten"
    Armbrüster: Zeigt sich denn hier möglicherweise auch ein Wandel in der Katholischen Kirche, dass es auf einmal völlig in Ordnung ist, den Papst auch öffentlich zu kritisieren, auch von Kirchenseite aus?
    Kissler: Ja natürlich. Der Papst wurde schon immer kritisiert, wenn wir an den großen Streit mit Johannes-Paul II. denken, gerade in Deutschland. Aber es war vielleicht immer so ein bisschen ein wisperndes Kritisieren oder ein Kritisieren von der Seite, die eh dafür bekannt war, Päpste zu kritisieren. Jetzt zieht er sowohl von beiden Seiten der Kirche eigentlich Kritik auf sich und letzten Endes ist das ja das, was er auch in Gang setzt, indem er sagt, denkt selber darüber nach, lasst uns miteinander reden. Dann muss er es auch aushalten, dass er sehr, sehr hart angefasst wird von einigen Seiten.
    Armbrüster: … sagt hier bei uns im Deutschlandfunk Alexander Kissler, Leitender Redakteur bei der Zeitschrift "Cicero". Vielen Dank für Ihre Einschätzungen, Herr Kissler.
    Kissler: Gern geschehen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.