Die Corona-Pandemie hat den Alltag vieler Menschen verändert, wie wohl nur wenige Ereignisse der vergangenen Jahrzehnte. Einschränkungen sind die Konsequenz: Keine Großveranstaltungen, kein ausgelassenes Feiern mit Körperkontakt, Anwesenheitsabgleiche im Restaurant oder Museum. Was für die große Mehrheit der Menschen vernünftige Mittel zur Bekämpfung sind, bedeutet für einen kleinen Teil der Gesellschaft Freiheitsberaubung. Das zeigt sich an Demonstrationen, die am vergangenen Wochenende in Berlin und in anderen Städten stattgefunden haben. Doch um welche Freiheit geht es dabei eigentlich?
Otfried Höffe, emeritierter Professor für politische Philosophie in Tübingen und Autor des Buches "Kritik der Freiheit", sagt, dass zuerst einmal zwei Bedeutungen von Freiheit unterschieden werden müssten. "Die Freiheit von Einschränkungen" und die "Freiheit zu der Möglichkeit der Selbstverwirklichung". Erstere sei diejenige, worum es den Demonstrierenden gehe. "Die Demonstranten wollen gewisse Einschränkungen nicht mehr haben."
Freiheit und Selbstverwirklichung sind möglich
Auf den ersten Blick schränke die Gesellschaft die Freiheit durch Rechtsbestimmungen, Moral und Sitte ein, doch vielen sei dabei nicht immer bewusst, dass die Gesellschaft grundsätzlich auch sehr viel Freiheit und damit Selbstverwirklichung ermögliche, betont Höffe. "Bei den Freiheitseinschränkungen sehen sie nicht, dass das ein Schutz ist für die Gesundheit".
Dass der Freiheitsbegriff in diesem Zusammenhang nun auch von Rechts verteidigt werde, habe auch mit der Veränderung des rechten Politikspektrums zu tun. "Sie wenden sich ja gegen die ‚Autorität des Staates‘, weil sie ein anderes Staatsverständnis haben. So verfolgten sie paradoxerweise mit einem autoritären Weg im Hinterkopf einen antiautoritären. Dazu kommt, sie reklamieren das Demonstrationsrecht – das ist legitim. Was nicht legitim ist, dabei gewaltsam zu werden.
Es "hilft nur Aufklärung"
Gegen die extreme Fehldeutung der Wirklichkeit der Demonstrierenden "hilft nur Aufklärung", meint Höffe. Sorge bereitet ihm jedoch auch, dass die Gruppen immer weiter wachsen. Es könne auch sein, "dass ihnen gerade dank einer freien Gesellschaft etwas langweilig geworden ist". Höffe glaubt nicht, dass der Begriff der Freiheit nach der Pandemie und den aktuellen Ereignissen neu definiert werden muss. "Dafür ist der Freiheitsbegriff im Laufe von Jahrzehnten und Jahrhunderten über Menschheitserfahrung gewachsen". Allerdings müsse man "relativ konkrete Anwendungen verändern".