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Kritik an WDR und Nemi El-Hassan
"Sie muss sich glaubwürdig distanzieren"

Nach Islamismus-Vorwürfen wird Nemi El-Hassan vorerst nicht die Sendung Quarks moderieren. Er finde diese Entscheidung des WDR richtig, sagte "Zeit"-Redakteur Jochen Bittner im Dlf. Doch er warne davor, den Stab über sie zu brechen, wie das einige Medien täten. Es gebe aktuell die Gefahr, vorschnell zu verurteilen.

Text: Michael Borgers; Jochen Bittner im Gespräch mit Stefan Fries |
Porträt der Ärztin und Journalistin Nemi El-Hassan
Die Ärztin und Journalistin Nemi El-Hassan (Alexander Probst)
Man werde "den geplanten Start der Moderation von Nemi El-Hassan bei Quarks vorerst aussetzen", teilte der WDR am späten Dienstagnachmittag in einer Pressemitteilung mit. Es war der vorläufige Schlusspunkt unter eine Debatte, die von der "Bild" am Montag losgetreten worden war. Die Zeitung schrieb von einem "Islamismus-Skandal".
Hintergrund der Vorwürfe ist, dass El-Hassan 2014 an israelfeindlichen Demonstrationen teilgenommen hat, unter anderem am sogenannten Al-Kuds-Tag in Berlin.
Sie sei damals 19 Jahre alt gewesen, erklärte daraufhin El-Hassan in einem Statement, in dem sie von einem "Fehler" sprach. Sie distanziere sich "klar und ausdrücklich von den Al-Kuds-Demos, sowie weiteren Demonstrationen in einem ähnlichen Kontext", schrieb sie auf Instagram.
"Tag antisemitischer Hetze"
Die Al-Kuds-Demo in Berlin sollte spätestens im nächsten Jahr verboten werden, sagte 2019 im Dlf Lala Süsskind vom jüdischen Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus. Was dort skandiert werde, sei keine Meinungsfreiheit, sondern Hetze.
"Die Frage ist: Wie glaubwürdig ist das?", sagte Jochen Bittner, der bei der Wochenzeitung "Die Zeit" das "Streit"-Ressort leitet, im Deutschlandfunk. So wolle er wissen, ob sie Al-Kuds-Demos, bei denen es um "Hass auf Juden" gehe, auch "eindeutig verurteilt".
Auf der anderen Seite müsse man aber auch zulassen, dass "Reue und Wandel der Überzeugungen auch vorgetragen werden dürfen". Er wolle "nicht in einem Land leben, in dem jemandem Fehler aus jungen Jahren ein Leben lang vorgehalten werden", so Bittner.
Der "Zeit"-Journalist begrüßt, dass über den Fall berichtet wird. "Ich wäre aber ein bisschen zurückhaltend im Urteil." Ob es sich um einen "Islamismus-Skandal" handle, "der noch anhält, das ist die große Frage".

Video der bpb wird verkürzt wiedergegeben

"Bild" und ihre Springer-Schwester "Welt" waren sich in diesem Urteil allerdings sicher. Beide berufen sich dabei unter anderem auf ein Video der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb). [*] El-Hassan spreche von "meinem Dschihad", deute das Wort allerdings nicht als "Heiligen Krieg", sondern als ihre "Berufung", heißt es etwa in einem "Welt"-Kommentar.
In diesem Film kritisiert El-Hassan, das Wort Dschihad werde von "all jenen, die sich für Islam-Experten halten" nur noch im Zusammenhang eines "Heiligen Kriegs" verwendet. Doch damit übernähmen diese nur die Auslegung der Menschen, deren "Ideologie allein auf langen Bärten, abgeschlagenen Köpfen und versklavten Frauen" beruhe.
Für sie persönlich bedeute "Dschihad" dagegen eine "Vision", so El-Hassan: "Vom Willen, besser zu werden. Selbst, die Gesellschaft und Gott". In der Folge wird in dem von der Islamwissenschaftlerin Armina Omerika redaktionell erstellten Film erklärt, es gebe verschiedene Deutungen des Begriffs im Islam, dazu gehöre auch das "Bemühen" und die "Anstrengung" um "Persönlichkeitsentwicklung".

Film ist Teil einer Erklärreihe zum Islam

Der von El-Hassan vorgetragene Teil bringe "die persönliche Auseinandersetzung mit dem Begriff zum Ausdruck", erklärte ein bpb-Sprecher dem Deutschlandfunk schriftlich. Der Film sei im Rahmen einer Erklärreihe zum Islam entstanden und 2016 im Beisein des damaligen Bundesinnenministers Thomas De Maiziere vorgestellt worden. Bis heute ist er auf der Seite des Ministeriums zu finden. In den insgesamt 16 Filmen der Reihe gehe es darum, "stereotypisierenden Interpretationen entgegenzuwirken". Das gesamte Projekt sei wissenschaftlich begleitet worden.
Das bpb betont aber auch, "uns war bis zur jüngsten Berichterstattung nicht bekannt, dass El-Hassan an einem Al-Kuds-Marsch teilgenommen hat".

WDR kündigt "sorgfältige Prüfung" an

El-Hassan sollte bald die Moderation des Wissenschaftsmagazin Quarks im WDR übernehmen. "Die Vorwürfe gegen sie wiegen schwer", teilte der öffentlich-rechtliche Sender nun mit. Es wiege aber "auch schwer, einer jungen Journalistin eine berufliche Entwicklung zu verwehren". Deshalb sei eine sorgfältige Prüfung geboten. Man dulde "keinerlei Form von Antisemitismus".
"Für mich klingt das in der Abwägung vernünftig", kommentierte Stefan Niggemeier auf Twitter. In einem Kommentar auf "Übermedien", dem Blog des Medienjournalisten, heißt es, El-Hassans bisherige Statements und ihr Verhalten ließen "durchaus zu wünschen übrig". So habe es etwa "massive Lösch-Aktionen auf diversen Social-Media-Accounts" gegeben.
Insgesamt stelle sich die Frage, "ob sich junge und diverse Formate des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, zum Beispiel bei funk, ausreichend mit Antisemitismus beschäftigen".
Antisemitismus im Netz
Im Kampf gegen Antisemitismus im Netz plädiert die Publizistin Ingrid Brodnig dafür, Rechtsextremismus stärker durch den Verfassungsschutz beobachten zu lassen. Zudem müsse man den Antisemitismus ernster nehmen, sagte sie im Dlf.
Bereits vor der Entscheidung des WDR hatte Michaela Engelmeier von der Deutsch-Israelischen Gesellschaft in der "Jüdischen Allgemeinen" kommentiert, eine "Person mit einer solch befremdlichen Vorgeschichte" diene "nicht als Aushängeschild für den Sender". Da helfe "auch die Entschuldigung der Moderatorin nach massiver Kritik nichts".
Das ZDF-Magazin "Frontal" veröffentlichte ein Video, in dem Nemi El-Hassan als Reporterin nach dem rechtsextremen Anschlag auf die Synagoge in Halle 2019 unterwegs ist. Man kenne sie "als kritische Journalistin, die sich in ihrer Arbeit immer wieder mit Extremismus, Rassismus und Antisemitismus auseinandergesetzt hat", heißt es in dem Text der Redaktion dazu.

Warum Berichterstattung mit Kopftuch-Bildern?

Die Grünen-Politikerin und Konfliktforscherin Sara Nanni bemerkte auf Twitter, El-Hassan werde "bei fast allen jetzigen Berichterstattungen mit Hijab gezeigt". Dabei trage sie den seit einiger Zeit nicht mehr. "Warum wird sie also so bebildert? Weil es besser zum ‚Islamismusvorwurf‘ passt?"
El-Hassan ist Medizinerin und ist als Poetryslammerin aufgetreten. Seit 2016 arbeitet sie auch für das Online-Portal Funk von ARD und ZDF und wurde zu einer gefragten jungen muslimischen Stimme. Im selben Jahr trat sie etwa in einer Debatte der Friedrich-Ebert-Stiftung zu "Flucht und Einwanderung in den Medien" auf.
Damals trug sie noch Kopftuch und betonte, sie sehe es als ihre Aufgabe, die Stimmen einer "gebildeten, muslimischen Community" sichtbar zu machen. El-Hassan plädierte in der Sendung außerdem für mehr gegenseitige Toleranz und mehr Vielfalt in den Medien.

"Zeit"-Journalist Bittner: WDR hätte besser checken müssen

Jochen Bittner von der "Zeit" erkennt aktuell die grundsätzliche "Gefahr, zu vorschnell zu verurteilen". Er erinnert an den Fall eines Journalisten der "New York Times", der Anfang des Jahres entlassen wurde, nachdem er das N-Wort als Zitat verwendet habe. Das sei "nicht nur hysterisch, sondern auch nicht mit rechtsstaatlichen Prinzipien zu vereinbaren".
Der WDR hätte die Personalie Nemi El-Hassan im Vorfeld besser prüfen müssen, findet Bittner. Der Fall sei "leicht zu recherchieren" gewesen. Gerade bei öffentlich-rechtlichen Sendern sei das wichtig, "weil die ein besonderes Gebot der Ausgewogenheit zu befolgen haben."
Auch habe er den Eindruck, "dass bei den Öffentlich-Rechtlichen die vermeintliche Diversität andere Kriterien sticht". Es dürfe keinen Malus, aber auch keinen Bonus bei Einstellungen geben.
Dass sich der WDR nun Zeit nehme, um zu entscheiden, sei richtig. Für berichtende Journalistinnen und Journalisten müsse der Anspruch gelten, "so tief wie möglich zu recherchieren - und dann im Zweifel mit dem Urteil ein bisschen zu warten".
[*] Anmerkung der Redaktion: Der ursprüngliche Text enthielt eine falsche Angabe zum Umgang mit Quellen. Das haben wir korrigiert.