Sommer 2020. Ungarns Außenminister Szijjártó übergibt das erschlossene Gelände bei Debrecen an die Firma BMW. Die Investition garantiert Jobs im strukturschwachen Osten des Landes. Dafür gibt es üppige staatliche Förderung. Im unabhängigen Wochenblatt "HVG" schaltete BMW jetzt eine ganze Seite Werbung. Das sei aber eher untypisch, meint Gergely Márton, leitender Redakteur des Blattes.
"Der Staat ist der größte Player am Anzeigenmarkt, und natürlich gibt es immer wieder Spekulationen, dass die Emissäre der Regierung große Firmen verstehen lassen, es sei klug da Werbung zu schalten, wo Regierungswerbung zu sehen sind. Und es ist schon richtig dumm, dort Anzeigen zu schalten, wo man sie nicht sieht. Leider haben wir Anzeichen dafür, dass man dem folgt."
BMW antwortete auf Anfrage: Der zuständige Fachsprecher werde sich äußern. Bislang keine Antwort. Audi schreibt: Die Entscheidung, ob und wie Anzeigen in ungarischen Medien geschaltet werden, werde aufgrund von Zielgruppenanalysen und Kampagnenplanungen beim Generalimporteur Porsche Hungaria entschieden. Mercedes in Kecskemét wollte erst die Antwort aus Deutschland abwarten, auch diese Antwort liegt bisher nicht vor.
"Wirtschaftliche Selbstzensur"
Beim Online-Portal 24.hu heißt es zu Werbeanzeigen deutscher Firmen: Nicht mehr, nicht weniger. Zsolt Kerner, Redakteur des Portals sagt zur wirtschaftlichen Schieflage auf dem ungarischen Medienmarkt:
"Die Regierung überschüttet die ihnen nahestehenden Medien nicht nur mit Geld, sondern es gibt auch eine Art wirtschaftliche Selbstzensur. Das heißt: Wichtige große Unternehmen, die – hoffentlich – eine gute Beziehung zur ungarischen Regierung haben, schalten dort keine Werbung, wo die Regierung offensichtlich nicht gemocht wird. Großen internationalen Konzernen kann man das vorwerfen. Erinnern wir uns an die Rolle der Telekom im Origo-Skandal. Also es gibt eine wirtschaftliche Selbstzensur."
Zur Erinnerung: Das damals kritische Portal Origo.hu hatte 2014 Enthüllungen über ein Regierungsmitglied publiziert. Kritische Köpfe wurden daraufhin gefeuert. Origo wurde zum Propaganda-Medium der Regierung. Die Telekom durfte das Breitband-Mobil-Netz ausbauen, ein Milliardengeschäft.
"Jedes Unternehmen will auch Geschäfte machen"
Aus der Konzernzentrale in Bonn hieß es damals: Pressefreiheit sei ein hohes Gut, politischer Druck wurde dementiert. Csaba Lukács von der ungarischen Wochenzeitung "Magyar Hang" beklagt, dass bei ihm deutsche Autobauer nicht werben wollen. Er kritisiert doppelte Standards bei Unternehmen.
"Wir sehen: In der Unternehmenskommunikation ist immer die Rede von Demokratie, Vielfalt, Gleichheit. Aber jedes Unternehmen will auch Geschäfte machen. Das zählt am Ende. Schauen wir uns die Deutsche Telekom an. Als es um das Portal ‚origo‘ ging, haben sie es an Fidesz-nahe Oligarchen verkauft und sich für das Geschäft entschieden."
Auch Agnes Urbán vom ungarischen Medien-Watchdog "Mérték" kann das bestätigen. Seit Jahren schon sei das so in der ungarischen Medien-Landschaft.
"Als Erstes hat ‚Klubradio‘ offen darüber berichtet, dass große internationale Firmen nicht wagten, im Klubradio zu werben. Weil es ihnen zu gefährlich schien und sie den Konflikt mit der Regierung scheuten. Die Regierung muss das gar nicht offen aussprechen. Hier weiß jeder, welche Medien loyal zur Regierung sind und welche eher kritisch sind in ihren Inhalten. Dort sind die Werbetreibenden vorsichtiger."
EU-Kommission will aktiv werden
Gegen die Wettbewerbsverzerrung auf dem ungarischen Medienmarkt könnte die EU-Kommission vorgehen. Miklós Hargitai, Chef des Journalistenverbandes MUÒSZ, vermisst aber politischen Willen in Brüssel. 2016 und 2019 hatte der Verband geklagt.
Reporter ohne Grenzen macht jetzt Druck auf die EU-Kommission, sich des Themas endlich anzunehmen. Drei Viertel der staatlichen Werbebudgets gingen an die etwa 500 regierungsnahen Medien unter dem Dach der Stiftung KESMA. Die zuständige EU-Wettbewerbskommissarin sagte jetzt zu, aktiv zu werden.