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"Kritik der schwarzen Vernunft"
Philosophische Variation über die Sklaverei

Rassismus ist ein Alltagsphänomen, befindet der kamerunische Historiker und Philosoph Achille Mbembe. In seinem Buch "Kritik der schwarzen Vernunft" führt er das auf die Entstehung des globalen Kapitalismus zurück.

Von Gaby Mayr |
    Ende des 18. Jahrhunderts veröffentlichte Immanuel Kant seine "Kritik der reinen Vernunft". Mit seinem Plädoyer für ein Zusammenführen von Verstandesleistung und Sinneseindrücken legte Kant damals einen Meilenstein der Erkenntnistheorie. Dass Achille Mbembe sein Buch "Kritik der schwarzen Vernunft" genannt hat, ist sicher ein Hinweis auf die Ambition des kamerunischen Autors, der lange Zeit an Universitäten in den USA gelehrt hat und heute in Johannesburg unterrichtet.
    Mbembes zentrale Begriffe, die er in seinem Buch ausleuchtet, sind "Rasse" und "Neger".
    "Die Rasse [...] wurde im Laufe der letzten Jahrhunderte zum Ausgangspunkt zahlreicher Katastrophen und zur Ursache unerhörter psychischer Verheerungen."
    Und:
    "Im Übrigen war 'Neger' stets der Name schlechthin für den Sklaven - das menschliche Metall, die menschliche Ware und das menschliche Geld."
    Der transatlantische Sklavenhandel ist für Mbembe Ausgangspunkt seiner Überlegungen.
    Ab dem 15. Jahrhundert kauften Europäer Männer, Frauen und Kinder an der westafrikanischen Küste. Auf Sklavenmärkten wurde die menschliche Ware verhökert, die einheimische Sklavenhändler aus dem Innern des Kontinents herangeschafft hatten. Die europäischen Menschenhändler transportierten die Gefangenen über den Atlantik. In der Karibik, in den USA und Brasilien mussten die Sklavinnen und Sklaven auf Plantagen schuften.
    Für den Weg zurück nach Europa beluden die weißen Händler ihre Schiffe mit Plantagenprodukten wie Rohrzucker, Rum und Baumwolle. In den europäischen Häfen nahmen die Schiffe dann Waffen, Glasperlen und grobes Tuch - oft aus nordamerikanischer Baumwolle - an Bord und fuhren erneut an die westafrikanische Küste. So funktionierte der für die europäischen Kaufleute überaus gewinnträchtige atlantische Dreieckshandel.
    Sklavenmärkte gab es auch in Ostafrika, zum Beispiel auf Sansibar, wo arabische Händler Menschen kauften und in ihre Heimat schafften. Aber der gebürtige Kameruner Achille Mbembe konzentriert sich auf die Einflusssphäre der früheren europäischen Kolonialmächte.
    Leitbegriffe "Rasse" und "Neger"
    Erst im 19. Jahrhundert kamen diese Formen der Sklaverei zum Erliegen, als zunächst der Handel mit Sklaven, später auch die Sklavenarbeit auf den Plantagen verboten wurde.
    Die brutale Ausbeutung und Entwertung der Menschen hat in Afrika und unter den dunkelhäutigen Menschen in Nord- und Südamerika bis heute nachwirkende Traumata hinterlassen.
    "Die Kritik der schwarzen Vernunft" ist eine philosophische Variation über die Sklaverei und ihre Auswirkungen. Ein Steinbruch für philosophisch Interessierte, für die Mbembe Karl Marx, Sigmund Freud und Michel Foucault, Gilles Deleuze und Frantz Fanon zusammenführt und in Beziehung setzt zu seinen Leitbegriffen "Rasse" und "Neger".
    Im Anschluss an Alexis de Tocqueville, den französischen Historiker und Politiker des 19. Jahrhunderts, schreibt Mbembe:
    "Die Befreiung der Sklaven tilgt noch nicht das Odium, das ihnen aufgrund ihrer Rasse anhaftet - ein Odium, das bewirkt, dass "Neger" sich unaufhebbar auf "Knechtschaft" reimt."
    Im 20. Jahrhundert hat Frantz Fanon die Frage des Rassismus grundlegend durchdacht. Der auf Martinique geborene Mediziner und Philosoph ging 1953 als Arzt in die französische Kolonie Algerien. Drei Jahre später schloss er sich der algerischen Befreiungsbewegung an. Mbembe legt den Autor von "Schwarze Haut, weiße Masken" und "Die Verdammten dieser Erde", der als Gewaltbefürworter kritisiert wird, den Nachgeborenen ans Herz:
    "Wenn wir Fanon etwas verdanken, dann ist es der Gedanke, wonach in jeder Person etwas Unbezähmbares, nicht zu Bändigendes steckt, das Herrschaft nicht zu eliminieren, einzudämmen oder vollständig zu unterdrücken vermag."
    Fanon setzte sich bewusst ab von den Autoren der Négritude, die in den 1930er-Jahren in Paris zusammengefunden hatten. Darunter Aimé Césaire und Léopold Senghor, der spätere erste Präsident des unabhängigen Senegal. In ihren poetischen, philosophischen und politischen Werken besangen und analysierten die Autoren der Négritude die ganz eigene Schönheit und Stärke der schwarzen Menschen. Mbembe schreibt über Aimé Césaire:
    "Auf die Frage "Wer sind wir in dieser weißen Welt?" gibt er eine gänzlich unzweideutige Antwort: "Wir sind Neger." Indem er seine "Négritude" so entschieden bejaht, behauptet er einen Unterschied, den man nicht verschleiern und umgehen dürfe, indem man ihn für unsagbar erklärt."
    Erweiterung der Perspektive auf versklavte Frauen wäre geboten gewesen
    Achille Mbembe erhebt im Vorwort den Anspruch, seinen Bogen bis in die Gegenwart zu spannen. Tatsächlich beschäftigt sich der Autor dann im Wesentlichen mit den vom atlantischen Dreieckshandel berührten Regionen. Auf die globalisierte Welt des 21. Jahrhunderts liefert er nur einen Ausblick:
    "Als Macht des Fangens, des Ergreifens und des Polarisierens war der Kapitalismus stets auf das Instrument der Rasse angewiesen, um die Ressourcen der Erde auszubeuten. Das war gestern so. Und es ist heute so, da er sich daran macht, sein eigenes Zentrum zu rekolonisieren, und die Aussichten auf ein Schwarzwerden der Welt deutlicher als jemals zuvor zutage treten."
    "Kritik der schwarzen Vernunft" ist kein leichter Stoff. Das Buch wendet sich an einschlägig Vorinformierte. Der Autor liefert oft nur Andeutungen zu seinen philosophischen Quellen, versucht mit "erstens, zweitens, drittens" zu systematisieren, wo mehr inhaltliche Begründung seiner Thesen gut getan hätte. Und: Der Sklave, der Neger, der Kolonisierte - Mbembes Protagonisten sind, durchaus im Anschluss an die von ihm herangezogenen Autoren, ausschließlich männlich und mitunter explizit männlich ausgestaltet. Im 21. Jahrhundert wäre eine Erweiterung der Perspektive auf die weibliche Hälfte der Versklavten und Entrechteten allerdings dringend geboten gewesen.
    Achille Mbembe: Kritik der Schwarzen Vernunft. Aus dem Französischen von Michael Bischoff, Suhrkamp, 332 Seiten, 28 Euro.