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Kritik vom Tierschutzbund
"Tierschutzgesetz lässt grausame Qual zu"

Seit 2002 steht der Tierschutz im Grundgesetz. Trotzdem würden Tieren in der Landwirtschaft die Zähne abgeschliffen, Schwänze abgeschnitten und sie würden betäubungslos kastriert, sagte der Präsident des Deutschen Tierschutzbundes, Thomas Schröder, im DLF. Das alles sei durch das Tierschutzgesetz gedeckt.

Thomas Schröder im Gespräch mit Jule Reimer |
    Schweine in der Massentierhaltung
    Schweine in der Massentierhaltung (imago)
    Jule Reimer: Seit 2002 steht der Tierschutz als Staatsziel im Grundgesetz. Unter anderem der Deutsche Tierschutzbund hatte sich davon erhofft, dem Thema in Deutschland einen größeren Stellenwert zu verschaffen. Der Verband hält am Wochenende in Stuttgart seine Mitgliederversammlung ab und nutzt den Termin zu einer Art Halbzeitbilanz, um die Aktivitäten der Bundesregierung zu bewerten, denn diese hatte sich im schwarz-roten Koalitionsvertrag vor zwei Jahren allerhand vorgenommen. Kurz vor dieser Sendung fragte ich Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes, inwieweit er die Bundesregierung loben kann.
    Thomas Schröder: Das Lob ist relativ zurückhaltend. Es sind erste Schritte eingeleitet, zum Beispiel beim Thema sogenannter Zertifizierung von Haltungssystemen in der Landwirtschaft, aber es ist überhaupt noch nicht konkret zu Ende gebracht. Beim Thema Tierversuche ist man hängen geblieben in der Stellenbeschreibung, mehr Stellen einzurichten, aber nicht in der Ausrichtung, weniger Tierversuche endgültig durchzusetzen in Deutschland. Insofern ist es eine sehr nüchterne kritische Halbzeitbilanz.
    Reimer: Erläutern Sie mal ganz kurz: Was heißt Stellen im Bereich Tierversuche?
    Schröder: Es ist geplant, dass man im Haushalt vorsieht, beim Institut ZEBET - das ist ein Institut für die Ersatzmethoden-Erforschung - mehr Personal einstellt. Das wird aber nur bürokratisch eingesetzt zur Registrierung von bisherigen Tierversuchen und Alternativmethoden in der Europäischen Union. Die politische Weiterentwicklung hin zu weniger Tierversuchen in deutschen Laboren und Instituten, da hat sich bisher gar nichts getan.
    Reimer: Sie erwähnten Zertifizierungssysteme bei Tierhaltung, in der Nutztierhaltung, also Kritik an der Landwirtschaft. Wo sehen Sie da Handlungsbedarf und in welcher Form?
    Schröder: Um es deutlich zu sagen: Wir haben ein Tierschutzgesetz, das grausame Tierqual sanktioniert und zulässt. Ich mach das an einem Tier mal als Beispiel deutlich: die Pute. Die Pute ist am Ende ihrer Mast nicht mehr in der Lage, selbst zu stehen. Das Tier ist völlig kaputt, es ist eine Qualzucht. Trotzdem wird die Haltung dieser Tiere zugelassen, sogar ohne jede gesetzliche Regelung, obwohl es eigentlich verboten werden müsste, weil es eine Qualzucht ist. Und das lässt sich fortsetzen zu fast allen Themen der Landwirtschaft. Die Tiere werden hineinmanipuliert in die Systeme, die Zähne abgeschliffen, Schwänze abgeschnitten, betäubungslos kastriert, und das alles durch das Tierschutzgesetz gedeckt. Deswegen muss der Gesetzgeber ganz dringend handeln.
    "Jeder hat seinen Baustein zu leisten"
    Reimer: Dann müssten die Verbraucher aber auch bereit sein, mehr zu zahlen für das Fleisch im Supermarkt, oder?
    Schröder: Völlig klar ist, dass jeder seinen Baustein zu leisten hat. Der Landwirt muss Veränderungen im Haltungssystem durchsetzen und der Verbraucher muss bereit sein, mehr Geld dafür zu zahlen, und der Handel muss darauf verzichten, Billigpreise für Fleisch weiter anzupreisen, denn damit beginnt ja ein Kreislauf Richtung Landwirt, der gar keinen Tierschutz im Stall mehr ermöglicht aus finanziellen Gründen. Aber das alles geht nicht, ohne dass der Gesetzgeber einen guten Rahmen setzt, der wirklich Tierschutz absichert.
    Reimer: Das heißt, Sie möchten Gesetze. Die Bundesregierung setzt dort ja mehr auf Initiativen und Sie selber haben ja auch eine Art Tierschutz-Label in Zusammenarbeit mit Landwirten eingeführt. Warum halten Sie Freiwilligkeit für so problematisch?
    Schröder: Wir haben ein Label gemacht, weil der Gesetzgeber versagt. Weder der gesetzliche Rahmen reicht aus, noch gibt es ein staatliches Tierschutz-Label, was die Verbraucher als Orientierung brauchen. Deswegen reichen freiwillige Maßnahmen nicht aus, weil die immer einer Willkür unterlegt sind. Wie gerade die Preisgestaltung und der Handel es will, wird eingekauft. Wir brauchen einen sicheren, verlässlichen, nachhaltigen Rahmen für Mindeststandards im Stall, wo Tiere bei der Landwirtschaft gehalten sind, und das muss der Gesetzgeber absichern. Anders geht es in dieser Republik nicht.
    "Wer Tiere schützen will, kann die Rechte der Tiere nicht einklagen"
    Reimer: Sie würden ja gerne als Verband die Möglichkeit haben, bundesweit vor Gericht zu ziehen. Das ist die sogenannte Verbandsklage. Bislang geht das nur in einzelnen Bundesländern wie beispielsweise Nordrhein-Westfalen. Was möchten Sie mit so einer Verbandsklage bezwecken? Was würde dadurch anders?
    Schröder: Wir haben seit 2002 das Staatsziel Tierschutz, aber das ist bisher ohne jede Wirkung geblieben im rechtlichen Rahmen. Wir haben kein Instrument, dass die Tiere vor Gericht gehört werden. Die Tiernutzer können ihre Rechte jederzeit einklagen, jeder der Tiere nutzt. Aber wer Tiere schützen will, kann die Rechte der Tiere nicht einklagen. Deswegen brauchen wir das Instrument, damit das Staatsziel Tierschutz wirklich zum Leben erwacht und wir im Grundsatz auch mal klären, was ist in Deutschland zulässig und was nicht und was muss der Gesetzgeber auch dringend reparieren.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.