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Kritikergespräch
Zwei Literaturgiganten und eine Geschichte aus Ost-Berlin

Der Bestsellerautor Volker Weidermann hat ein Buch über die Freund-Feinde Günter Grass und Marcel Reich-Ranicki geschrieben. Das Ergebnis ist inhaltlich leider etwas flach. Großes Lob gibt es hingegen für Katja Oskamps Geschichtenreigen über die Arbeit einer Fußpflegerin in Berlin-Marzahn.

Katharina Teutsch und Tobias Lehmkuhl im Gespräch mit Hubert Winkels |
Der Schriftsteller Günter Grass (r) und der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki vor Beginn des Literaturforums im jüdischen Gemeindezentrum, wo Grass aus seinem neuen Roman "Ein weites Feld" las. Es war das erste Mal, daß ein Abschnitt des Werks öffentlich präsentiert wurde. Der Lesung war eine Einladung Reich-Ranickis vorausgegangen. Der Roman spielt in Berlin und erzählt die Geschichte zweier deutscher Literaten in der Zeit von 1989 bis 1991. | Verwendung weltweit
Der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki (links) und der Schriftsteller Günter Grass (rechts) 1995 (dpa / Fotoreport)
Mit den Berliner Literaturkritikern Tobias Lehmkuhl und Katharina Teutsch sprechen wir zunächst über ein Sachbuch, über ein Buch, das sich mit dem Verhältnis zweier Größen der deutschen Nachkriegsliteratur zueinander beschäftigt. Wir sprechen über Volker Weidermanns Bestseller "Das Duell. Die Geschichte von Günter Grass und Marcel Reich-Ranicki". Eine gute Kompilation bekannter Biographica, Geschichten und Anekdoten, dramaturgisch effektvoll inszeniert, aber leider ohne eigene besondere Perspektive oder literaturkritische Beurteilung, so das Resümee. Interessant und unterhaltsam, aber ohne zündende Idee.
Volker Weidermann: "Das Duell. Die Geschichte von Günter Grass und Marcel Reich-Ranicki"
Kiepenheuer und Witsch Verlag, Köln. 320 Seiten, 22 Euro.
Das kann man vom Erzählungsreigen "Marzahn, mon amour" der Berliner Erzählerin Katja Oskamp eben nicht sagen. Von Katja Oskamp haben wir schon einige turbulente und komische Geschichten aus dem Alltag lesen dürfen. Nun führt sie uns in den tiefen Osten Berlins, in ein Nagelstudio ebendort in Marzahn-Hellersdorf eben. Die Ich-Erzählerin mit Namen Katja Oskamp ist Mitte vierzig, als ihr das Leben fad wird. Das Kind ist aus dem Haus, der Mann ist krank, die Schriftstellerei ein Feld der Enttäuschungen. Also macht sie etwas, was für andere dem Scheitern gleichkäme: Sie wird Fußpflegerin in Berlin-Marzahn. Und schreibt auf, was sie erlebt. dabei kommt sie mit Empathie und Feingefühl über die Füße den Lebensgeschichten ihrer Alltagshelden sehr nahe. Die meisten ragen tief hinein in die Geschichte der DDR und die Pediküre begleitenden Gespräche verraten auch viel von den Umbrüchen und Schmerzen und Glücksgefühlen, die mit dem normalen Alltag in komplizierten Zeiten verbunden sind. Eine kleine Form, ein schmales Buch, aber eine große Erzählung aus den Niederungen städtischen Lebens heute, so das Urteil der diskutierenden Literaturkritiker.
Katja Oskamp: "Marzahn, mon amour. Geschichten einer Fußpflegerin"
Hanser Berlin. 144 Seiten, 16 Euro.