Christine Heuer: Der Chef geht und die Aktie steigt sprunghaft im Wert - ein schöner Abgang ist das nicht für Jürgen Schrempp, den Shareholder-Value-Verfechter und Visionisten der Welt-AG DaimlerChrysler. Gestern hat der Aufsichtsrat des Unternehmens mitgeteilt, dass der Vorstandschef seinen Vertrag nicht ausschöpft und Ende des Jahres geht. Freiwillig, heißt es in der Mitteilung, in der sich kein Wort des Dankes findet an den Mann, der den Automobilkonzern zehn Jahre lang geführt hat - mit sinkendem Erfolg. Stichworte hierfür: die teure Fusion mit Chrysler, die kostspielige Beteiligung bei Mitsubishi, der Flop mit dem Smart und der Image-Verlust schließlich beim Flaggschiff Mercedes. Am Telefon ist Jürgen Grässlin, Wirtschaftswissenschaftler, Schrempp-Biograf und "Kritischer Aktionär" bei DaimlerChrysler. Haben Sie, wie die Deutsche Bank es getan hat, den Kursgewinn Ihrer Daimler-Aktien gestern gleich genutzt, um sie zu verkaufen?
Jürgen Grässlin: Ja gleich mal eine ausgesprochen spannende Frage, denn ich war etwa eine Woche vorher informiert, dass der Schrempp zurücktritt. Ich gehe davon aus, dass die Deutsche Bank auch eine Woche vorher informiert war - und so was nennt sich wohl Spekulationsgeschäfte, was da passiert ist. Um Ihre Frage zu beantworten: Ich besitze nur eine Aktie und habe sie behalten.
Heuer: Schrempps Rückzug kam - vielleicht nicht für Sie, aber für die Öffentlichkeit - überraschend. Wieso geht er denn gerade jetzt?
Grässlin: Das ist auch eine gute Frage deshalb, weil Herr Schrempp ja nun versucht hat, über die Jahre hinweg sich an der Macht zu halten. Das ist auch gelungen durch ein System, das er aufgebaut hat, indem er Vorstände und Aufsichtsräte ganz nach seinem Gutdünken besetzt hat oder besetzen ließ. Das System Schrempp ist jetzt gebrochen. Das heißt, weder die Aktionäre noch die Börse noch die Deutsche Bank halten länger zu ihm und damit hat er keinen Rückhalt mehr gehabt im Unternehmen. Er musste jetzt gehen und das ist natürlich noch halbwegs ein guter Abgang aus seiner Sicht, denn die ganzen Bilanzzahlen, die wir gestern gehört haben, sind meines Erachtens geschönt und im Herbst wird das große Desaster ausbrechen.
Heuer: Aha. Wieso funktioniert dieser Schutz durch vertraute Mitarbeiter nicht mehr, den Herr Schrempp bislang genossen hat?
Grässlin: Also der Schutz durch vertraute Mitarbeiter bezog sich lange Zeit auf Vorstände - bis zu dieser Sitzung des Vorstands, als acht Vorstände sich gegen ihn gestellt haben und nur noch drei für ihn waren - er eingeschlossen -, nämlich bei der Entscheidung, ob weitere Milliarden für Mitsubishi verpulvert werden oder nicht. Da brach ein Kartenhaus zusammen, nämlich die Unterstützung durch den Vorstand. Aber die eigentliche Rückendeckung hat ihm der Aufsichtsratsvorsitzende Hilmar Kopper über die Jahre hinweg geleistet, sein guter Duzfreund, der alles mit zu verantworten hat, was hier an Desastern gelaufen ist. Herr Kopper hat jetzt einen Rücktritt anziehen müssen, ganz einfach deshalb, weil Herr Schrempp nicht zu halten ist. Das Image von Herrn Schrempp ist extrem schlecht. Die Bilanzzahlen sind katastrophal und gestern - wie gesagt - geschönt. Und Herr Schrempp war einfach nicht zu halten, so dass Herr Kopper jetzt auch weiß, es geht auch um seinen Kopf. Und wir als "Kritische Aktionäre" fordern ganz klar, dass die beiden Verantwortlichen zu gehen haben, also Herr Schrempp und Herr Kopper.
Heuer: Wenn die Zwischenbilanz tatsächlich - wie Sie sagen - geschönt war und das Desaster, das eigentliche, im Herbst bevorsteht, dann sind das ja auch schwere Zeiten für den designierten Nachfolger, Dieter Zetsche. Setzen Sie große Hoffnungen in ihn?
Grässlin: Man muss erst mal sehen, dass Herr Schrempp einen Scherbenhaufen hinterlässt - aus dem "Herrn der Sterne" ist der "Herr der Scherben" geworden. Wir haben bei Smart ein Defizit von 2,6 Milliarden Euro. Wir haben eine C-Klasse und E-Klasse, die nicht laufen. Wir haben eine alte S-Klasse, die jetzt vorzeitig eingestellt wird - das ist ein Hammer, denn normalerweise gibt es Übergangsfristen: Die alten Fahrzeuge laufen aus, die neuen Fahrzeuge langsam an. Die neue S-Klasse, da liegen halb so viel Bestellungen vor, wie ursprünglich erhofft und erwartet. Und der Maybach, das so genannte Flaggschiff, hat ein Drittel der Verkäufe, die notwendig sind, um dieses Fahrzeug auch wirklich finanziell lukrativ erscheinen zu lassen. In diesen Scherbenhaufen hinein muss nun Dieter Zetsche sein Amt antreten. Es kommt für uns alle ein bisschen überraschend, denn wir rechneten mit Eckhard Cordes. Aber es ist eigentlich nur logisch, dass Herr Cordes auch geht, denn er ist voll involviert in das System Schrempp und hat all die Fehler ja mitgetragen. So dass Herr Zetsche, bei dem eben die besagte Sitzung der acht Widerständler damals organisiert worden ist, jetzt das Amt antritt. Und Herr Zetsche muss wirklich viel Feingefühl, viel Engagement, viel Glück auch aufbringen, um diesen Scherbenhaufen wieder aufzurichten.
Heuer: Aufgefallen ist gestern, dass Jürgen Schrempp auf die ihm vertraglich ja zugesicherte Abfindung verzichtet - das tut üblicherweise niemand. Wieso, glauben Sie, tut er es, Herr Grässlin?
Grässlin: Da kann man nur spekulieren. Aber Sie haben vollkommen Recht, also normal stünden ihm schätzungsweise noch 21 Millionen Euro zur Verfügung, die sich zusammensetzen aus den Zuwendungen für die Jahre 2006, 2007, 2008. Wir schätzen, dass das Gehalt etwa in Höhe von 7 Millionen Euro liegt. Das macht Herr Schrempp nicht freiwillig. Herr Schrempp ist ein Mensch, der geradezu heftigst bemüht war, immer wieder Gelder zu akquirieren jenseits seines Gehaltes. Das war immer wieder überraschend, auch bei Kleinigkeiten, da habe ich gedacht, das kann ja wohl nicht wahr sein, dass er sich das auch noch zahlen lässt. Und so glaube ich nicht, dass dieser Rücktritt freiwillig ist und ich glaube vor allem nicht, dass dieser Verzicht auf das Gehalt freiwillig ist. Ich bin mir ziemlich sicher, dass im Herbst noch die dicke Bombe platzt, denn Herr Schrempp war wohl nicht nur in Geschäfte involviert oder in Kenntnis gesetzt, die legal waren.
Heuer: Aha. Wissen Sie da mehr?
Grässlin: Ich weiß da mehr, möchte aber zu diesem Zeitpunkt nichts dazu sagen.
Heuer: Das ist sehr schade. Jürgen Grässlin, Wirtschaftswissenschaftler, Schrempp-Biograf und Mitglied der "Kritischen Aktionäre" bei DaimlerChrysler.
Jürgen Grässlin: Ja gleich mal eine ausgesprochen spannende Frage, denn ich war etwa eine Woche vorher informiert, dass der Schrempp zurücktritt. Ich gehe davon aus, dass die Deutsche Bank auch eine Woche vorher informiert war - und so was nennt sich wohl Spekulationsgeschäfte, was da passiert ist. Um Ihre Frage zu beantworten: Ich besitze nur eine Aktie und habe sie behalten.
Heuer: Schrempps Rückzug kam - vielleicht nicht für Sie, aber für die Öffentlichkeit - überraschend. Wieso geht er denn gerade jetzt?
Grässlin: Das ist auch eine gute Frage deshalb, weil Herr Schrempp ja nun versucht hat, über die Jahre hinweg sich an der Macht zu halten. Das ist auch gelungen durch ein System, das er aufgebaut hat, indem er Vorstände und Aufsichtsräte ganz nach seinem Gutdünken besetzt hat oder besetzen ließ. Das System Schrempp ist jetzt gebrochen. Das heißt, weder die Aktionäre noch die Börse noch die Deutsche Bank halten länger zu ihm und damit hat er keinen Rückhalt mehr gehabt im Unternehmen. Er musste jetzt gehen und das ist natürlich noch halbwegs ein guter Abgang aus seiner Sicht, denn die ganzen Bilanzzahlen, die wir gestern gehört haben, sind meines Erachtens geschönt und im Herbst wird das große Desaster ausbrechen.
Heuer: Aha. Wieso funktioniert dieser Schutz durch vertraute Mitarbeiter nicht mehr, den Herr Schrempp bislang genossen hat?
Grässlin: Also der Schutz durch vertraute Mitarbeiter bezog sich lange Zeit auf Vorstände - bis zu dieser Sitzung des Vorstands, als acht Vorstände sich gegen ihn gestellt haben und nur noch drei für ihn waren - er eingeschlossen -, nämlich bei der Entscheidung, ob weitere Milliarden für Mitsubishi verpulvert werden oder nicht. Da brach ein Kartenhaus zusammen, nämlich die Unterstützung durch den Vorstand. Aber die eigentliche Rückendeckung hat ihm der Aufsichtsratsvorsitzende Hilmar Kopper über die Jahre hinweg geleistet, sein guter Duzfreund, der alles mit zu verantworten hat, was hier an Desastern gelaufen ist. Herr Kopper hat jetzt einen Rücktritt anziehen müssen, ganz einfach deshalb, weil Herr Schrempp nicht zu halten ist. Das Image von Herrn Schrempp ist extrem schlecht. Die Bilanzzahlen sind katastrophal und gestern - wie gesagt - geschönt. Und Herr Schrempp war einfach nicht zu halten, so dass Herr Kopper jetzt auch weiß, es geht auch um seinen Kopf. Und wir als "Kritische Aktionäre" fordern ganz klar, dass die beiden Verantwortlichen zu gehen haben, also Herr Schrempp und Herr Kopper.
Heuer: Wenn die Zwischenbilanz tatsächlich - wie Sie sagen - geschönt war und das Desaster, das eigentliche, im Herbst bevorsteht, dann sind das ja auch schwere Zeiten für den designierten Nachfolger, Dieter Zetsche. Setzen Sie große Hoffnungen in ihn?
Grässlin: Man muss erst mal sehen, dass Herr Schrempp einen Scherbenhaufen hinterlässt - aus dem "Herrn der Sterne" ist der "Herr der Scherben" geworden. Wir haben bei Smart ein Defizit von 2,6 Milliarden Euro. Wir haben eine C-Klasse und E-Klasse, die nicht laufen. Wir haben eine alte S-Klasse, die jetzt vorzeitig eingestellt wird - das ist ein Hammer, denn normalerweise gibt es Übergangsfristen: Die alten Fahrzeuge laufen aus, die neuen Fahrzeuge langsam an. Die neue S-Klasse, da liegen halb so viel Bestellungen vor, wie ursprünglich erhofft und erwartet. Und der Maybach, das so genannte Flaggschiff, hat ein Drittel der Verkäufe, die notwendig sind, um dieses Fahrzeug auch wirklich finanziell lukrativ erscheinen zu lassen. In diesen Scherbenhaufen hinein muss nun Dieter Zetsche sein Amt antreten. Es kommt für uns alle ein bisschen überraschend, denn wir rechneten mit Eckhard Cordes. Aber es ist eigentlich nur logisch, dass Herr Cordes auch geht, denn er ist voll involviert in das System Schrempp und hat all die Fehler ja mitgetragen. So dass Herr Zetsche, bei dem eben die besagte Sitzung der acht Widerständler damals organisiert worden ist, jetzt das Amt antritt. Und Herr Zetsche muss wirklich viel Feingefühl, viel Engagement, viel Glück auch aufbringen, um diesen Scherbenhaufen wieder aufzurichten.
Heuer: Aufgefallen ist gestern, dass Jürgen Schrempp auf die ihm vertraglich ja zugesicherte Abfindung verzichtet - das tut üblicherweise niemand. Wieso, glauben Sie, tut er es, Herr Grässlin?
Grässlin: Da kann man nur spekulieren. Aber Sie haben vollkommen Recht, also normal stünden ihm schätzungsweise noch 21 Millionen Euro zur Verfügung, die sich zusammensetzen aus den Zuwendungen für die Jahre 2006, 2007, 2008. Wir schätzen, dass das Gehalt etwa in Höhe von 7 Millionen Euro liegt. Das macht Herr Schrempp nicht freiwillig. Herr Schrempp ist ein Mensch, der geradezu heftigst bemüht war, immer wieder Gelder zu akquirieren jenseits seines Gehaltes. Das war immer wieder überraschend, auch bei Kleinigkeiten, da habe ich gedacht, das kann ja wohl nicht wahr sein, dass er sich das auch noch zahlen lässt. Und so glaube ich nicht, dass dieser Rücktritt freiwillig ist und ich glaube vor allem nicht, dass dieser Verzicht auf das Gehalt freiwillig ist. Ich bin mir ziemlich sicher, dass im Herbst noch die dicke Bombe platzt, denn Herr Schrempp war wohl nicht nur in Geschäfte involviert oder in Kenntnis gesetzt, die legal waren.
Heuer: Aha. Wissen Sie da mehr?
Grässlin: Ich weiß da mehr, möchte aber zu diesem Zeitpunkt nichts dazu sagen.
Heuer: Das ist sehr schade. Jürgen Grässlin, Wirtschaftswissenschaftler, Schrempp-Biograf und Mitglied der "Kritischen Aktionäre" bei DaimlerChrysler.