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Kritischer Agrarbericht
Konflikt zwischen Stadt und Land

Kurz vor dem Start der Grünen Woche hat ein Bündnis aus Kleinbauern und NGOs den Kritischen Agrarbericht veröffentlicht. Ihre Botschaft: Eine Agrarwende kann nur gelingen, wenn Landwirte und Konsumenten an einem Strang ziehen.

Von Jule Reimer |
Bauern demonstrieren vor dem Brandenburger Tor
Im Herbst protestierten tausende Bauern mit ihren Traktoren in Berlin (Imago / Ulli Winkler)
"Stadt, Land – im Fluss" – als die Mitglieder des Agrarbündnisses sich letztes Jahr für dieses Wortspiel als Titel für den Kritischen Agrarbericht 2020 entschieden, wussten sie noch nicht, dass das Jahr überall in Deutschland für Landwirte ein sehr bewegtes werden würde. Im Herbst rollten mehrere Tausend Bauern mit ihren Schleppern durch Berlin, um mit Protesten auf ihre Lage aufmerksam zu machen. Viele fühlen sich durch die neue Düngeverordnung, Auflagen beim Pestizideinsatz und wegen Kritik an der Tierhaltung zu Unrecht an den Pranger gestellt.
Städter litten unter steigenden Mieten und Wohnungsmangel, konstatiert Agrarbündnis-Geschäftsführer Frieder Thomas bei der Vorstellung des Kritischen Agrarberichts. Auf dem Land seien die Probleme anders gelagert, einerseits in der landwirtschaftlichen Produktion, andererseits im wachsenden Abbau der dörflichen Infrastruktur.
"Es ist nicht mehr die soziale Gemeinschaft, die das Leben bestimmt, sondern der Markt. Wir müssen uns überlegen, wie wir in den Städten und den ländlichen Regionen und in der Landwirtschaft wieder zu gleichwertigen Lebensverhältnissen kommen. Wir müssten eigentlich die Ernährungswirtschaft als Ganzes sehen", so Thomas.
"Wir müssen im ländlichen Raum Frieden schaffen"
Sprich: Produzenten und Konsumenten könnten sich zum Beispiel solidarisch und regional verbinden, wie es mit den Ernährungsräten passiert.
Hinter dem Agrarbündnis stehen durchaus unterschiedliche Interessengruppen: die eher durch kleinere Landwirte geprägte Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), die Umweltorganisation BUND, entwicklungspolitische Organisationen wie Brot für die Welt und der Deutsche Tierschutzbund. Dessen Präsident Thomas Schröder diagnostiziert im aktuellen Kritischen Agrarberichts einen massiven Vertrauensverlust zwischen Produzenten und Konsumenten von Lebensmitteln:
"Die wichtigste Botschaft ist, dass wir einen Konflikt zwischen Stadt und Land haben. Wir müssen dringend im ländlichen Raum Frieden schaffen durch den Ausgleich zwischen den Ansprüchen des Umwelt- und Klimaschutzes und zwischen dem durchaus berechtigten Anliegen der Bauern, ihre Existenz zu sichern."
Preisdruck durch Globalisierung
Die Bauernvertreter innerhalb des Agrarbündnisses setzen sich selbst schon lange für eine – wie sie es selbst nennen – Agrarwende ein. Sie pflegen vor allem in der Landwirtschaft eine wachstumskritische Haltung. Auch gegenüber der Strategie des "Wachsen oder Weichen", die wiederum der Deutsche Bauernverband bislang propagierte. Besonders verhängnisvoll findet Tierschutzbundpräsident Schröder den von der Bundesregierung gezielt geförderten Export von Agrarerzeugnissen. Obwohl in Deutschland der Konsum an Fleisch sinke, steige hierzulande die Zahl der Tiere, die geschlachtet und verarbeitet würden:
"Das führt dazu, dass sich die Landwirte in Deutschland einem globalisierten Preisdruck unterwerfen müssen. Sie konkurrieren plötzlich mit thailändischem Geflügel, mit Schweinen aus China, mit all diesen Preisfragen. Und wer auf den Preis setzt, kann am Ende auch Tierschutzwohl nicht einhalten. Aber die, die in diese Gloablisierung einsteigen, werden am Ende auch keine Zukunft machen. Denn den Preisdruck können wir hier nicht lösen."
Agrarsubventionen umverteilen
Eine Wende sei jedoch nur mit den Bäuerinnen und Bauern möglich, sagen die Bündnisvertreter. Sie fordern, die europäischen Agrarsubventionen anders zu verteilen, weg von den bisher vorherrschenden Zahlungen pro Hektar, die in Deutschland rund 300 Euro im Jahr betragen. Das Geld aus Brüssel reiche aber nicht, um darüber hinaus die Ställe für eine artgerechtere Tierhaltung umzubauen. Frieder Thomas wirbt deshalb für andere Quellen:
"Im Bereich Fleisch bräuchten wir zum Beispiel so etwas wie eine Mehrwertsteuererhöhung. Die würde dazu führen, dass Fleisch teurer wird, und vielleicht dass wir weniger Fleisch essen würden. Das wäre sinnvoll für den Klimaschutz und umgekehrt hätten wir auch Geld, um den Umbau der Ställe in Richtung artgerechter Haltung zu finanzieren."
Weniger Fleisch auf dem Teller
Beim Deutschen Bauernverband oder der jüngsten ländlichen Protestbewegung "Land schafft Verbindung" sieht man dies durchaus ähnlich. Doch darüber hinaus trennen sich die Positionen dann wieder. Denn für Tierschutzbundpräsident Schröder wären in den großen Intensivtierhaltungsunternehmen die Umbauten nur unter einer Bedingung förderwürdig:
"Eines muss deutlich verständen werden und das ist auch ein Konflikt zwischen Stadt und Land und ein Konflikt im ländlichen Raum: Wir können nur unsere Zukunft sichern mit Blick auf Umwelt- und Klimaschutz , wenn wir den Fleischkonsum reduzieren und die Fleischproduktion reduzieren. Das heißt: kleinere Bestände mit höherem Anspruch an Umweltschutz und an Tierschutz."