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Kroatien
Wie die Regierungskrise die Kultur beeinflusst

Vor allem Kroatiens Kulturschaffende fürchten angesichts der akuten Regierungskrise eine Rückkehr zur nationalistischen Politik der 90er-Jahre. Sie gehen nun gegen die erst seit fünf Monaten amtierende Regierung auf die Straße. Sie wünschen sich Neuwahlen. Damit verbunden ist auch die Hoffnung auf einen Wechsel im Kulturministerium.

Von Mirko Schwanitz |
    Demonstranten gehen gegen die Bildungsreformen in Kroatien in Zagreb auf die Straße.
    Protest gegen die Bildungsreform in Zagreb/Kroatien (picture alliance / dpa / EPA / DANIEL KASAP )
    Eine kleine Theaterbühne mitten in Zagreb. Das Ensemble SKROZ probt an seinem neuesten Stück "Die Liste". Es basiere auf einer der ersten Amtshandlungen eines inzwischen zurückgetretenen Ministers, erklärt Regisseurin Nora Krstulovic. Dieser Minister habe allen Ernstes gefordert, eine Liste mit Landesverrätern anzulegen und öffentlich zu machen.
    "Wir haben als Reaktion darauf selbst eine Online-Plattform freigeschaltet, auf der sich die Bürger selbst als Verräter eintragen konnten. In den ersten Tagen hatten sich schon mehr als 7.000 Menschen selbst denunziert. Viele haben dabei Kommentare hinterlassen, welches politische System sie sich in unserem Land wünschen. Und alle diese Wünsche stehen in krassem Gegensatz zu dem System, das wir zurzeit haben."

    Aus den bissigen Einträgen stellt Nora Krstulovic nun ihre jüngste Performance zusammen. Sie und ihr Ensemble sind vehemente Unterstützer der jüngsten Massendemonstrationen gegen die Regierung. Ausgelöst wurden sie durch den Rücktritt einer Expertenkommission zur Reform des Bildungswesens.
    Die hatte auch gefordert, sich kritischer mit dem Krieg in den 90er-Jahren auseinanderzusetzen. Daraufhin verlangte die Regierungspartei HDZ eine strengere Kontrolle der Experten und stemmte sich, in trauter Eintracht mit rechtsradikalen Parteien, gegen solche Reformen.
    Aktuelle Politik wie ein Schlag in den Bauch
    Die Schriftstellerin Ivana Bodrozic ist von dieser Politik angewidert. Sie sieht die Gefahr, dass Kroatiens Politiker das Land wieder in eine Psychose der 90er-Jahre zurückführen. Man müsse endlich offen mit den Fehlern von damals umgehen, sagt sie.

    "Mir wurde angesichts dieser Politik so übel, als ob mich jemand in den Bauch getreten hätte. Das Land war damals okkupiert, täglich starben Menschen, Kriminelle organisierten die Plünderung des Staates. Zu solchen Sachen kann man doch nicht schweigen. Ich jedenfalls werde darauf immer reagieren – so viel ich kann."
    Bodrozics Kollege, der Schriftsteller Edo Popovic, fühlt sich angesichts der derzeitigen Situation an der Staatsspitze wie ein Statist im Film "Reservoir Dogs": Vize-Premier Petrov hatte den unter Korruptionsverdacht stehenden zweiten Vize-Premier, HDZ-Chef Karamarko, zum Rücktritt aufgefordert.
    Regierungschef Oreskovic wiederum wollte, dass gleich beide Vizepremiers ihre Amtssessel räumen. Stattdessen entzogen die ihm einfach das Vertrauen und blieben im Amt.

    "Die Situation erinnert mich an die Szene, in der alle ihre Pistolen aufeinander richten. Zuerst völlige Agonie – dann fängt der erste an zu schießen. Und dann ballern plötzlich alle. Keiner weiß, wer sterben wird und wer am Ende überlebt."
    Hoffen auf Neuwahlen
    Nur Neuwahlen, meint Edo Popovic, könnten das Problem jetzt lösen. Für Kroatiens Künstler verbindet sich mit Neuwahlen auch die Hoffnung auf einen Wechsel im Kulturministerium. Kulturminister Hasanbegovic sieht das Land offen in der Tradition der faschistischen kroatischen Marionettenrepublik im Zweiten Weltkrieg und leugnet das antifaschistische Erbe der Partisanen.
    "Wir wollten mit dem Premier reden und haben mit der Initiative Kulturschaffende 2016 mehr als 3.000 Unterschriften gegen diesen Kulturminister gesammelt. Der muss weg. Aber der Premier ignoriert uns völlig. Wir haben nicht einmal eine Antwort von ihm bekommen."
    Es ist auch dieser Umgang mit den Intellektuellen, der Theaterregisseurin Nora Krstulovic zunehmend wütend macht.
    "Unsere Kultur ist zurzeit völlig paralysiert. Der Minister denunziert jeden kritischen Kulturschaffenden als inkompetenten Parasiten. Man muss darauf mit politischen und künstlerischen Aktionen reagieren. Wir Künstler haben einfach die Verantwortung, uns mit konkreten Aktionen gegen eine solch revisionistische Politik zu wehren."
    Und so soll ihr neuestes Stück mit den Kommentaren jener Menschen, die sich selbst im Online-Register als nationale Verräter eintrugen, auch an einem ganz besonderen Tag Premiere haben – symbolisch an einem der höchsten Staatsfeiertage Kroatiens, dem 22. Juni, dem "Tag der Antifaschisten".