Seit mehr als zwanzig Jahren arbeitet Victor als Internist und liebt seinen Beruf. Auch sein Sohn hat sich entschieden, Medizin zu studieren, obwohl selbst das für einen Arzt auf Kuba exzellente Gehalt seines Vaters kaum zum Überleben reicht.
"Als Arzt verdiene ich umgerechnet 66 Dollar im Monat. Wenn man minderjährige Kinder hat oder am Haus Reparaturen fällig sind, reicht das nicht. Ich kann aber auf die Unterstützung meiner Verwandten zählen, die seit mehr als 20 Jahren im Ausland leben."
Victors Vater war in die USA ausgewandert. Ein Umstand, der seinem Sohn das Leben auf Kuba schwer gemacht hat. Weil er sich als Jugendlicher öffentlich abfällig über den Sozialismus geäußert haben soll, saß Victor acht Monate hinter Gittern. Dass er ausgerechnet im Periodo especial – der Zeit der akuten Unterversorgung nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion Medizin studieren durfte, grenzte schon an ein Wunder. Am internationalen Austauschprogramm für Ärzte freilich durfte Victor nie teilnehmen – angeblich wegen Fluchtgefahr, obwohl er längst verheiratet war und Kinder hatte.
Auslandsaufenthalt löst finanzielle Sorgen
Für das Gros der rund 90.000 Ärzte auf Kuba ist ein Auslandsaufenthalt die Lösung der finanziellen Sorgen und wird vom Staat bewusst als Anreiz eingesetzt. Manuel war fast zwei Jahre in Angola und Bolivien.
"Unser Gehalt in Kuba läuft weiter und für den Rest gibt es ein Regierungsabkommen. Der Staat behält einen Teil des im Ausland gezahlten Gehalts, den anderen erhält der Arzt. Das ist natürlich ein Vorteil für das medizinische Personal. Es ist aber auch ein Opfer, weil die Familie zurückbleibt. Andererseits ist der Auslandseinsatz auch humanitär motiviert, aus Solidarität mit Menschen, die dringend medizinisch versorgt werden müssen."
Mit 35 Ländern hat Kuba formelle Abkommen geschlossen und kassiert kräftig mit. Zu kräftig aus Sicht einiger Betroffener. In Brasilien haben kubanische Ärzte sogar geklagt, weil ihnen nur ein Viertel der 4.000 Dollar ausgezahlt wurden, die Kuba monatlich für ihren Einsatz erhielt.
11,5 Milliarden US-Dollar pro Jahr für den Staat
Für die Zuckerrohrinsel haben sich Ärzte zu einem wahren Exportschlager entwickelt. Der Dienstleistungsexport, und der besteht in erster Linie aus dem Export von medizinischem Personal, hat Kuba im Schnitt der Jahre 2011 bis 2015 mehr als 11,5 Milliarden Dollar pro Jahr an Einnahmen beschert, wurde der frühere Wirtschaftsminister José Luis Rodriguez in der Presse zitiert. Zum Vergleich: Das Tourismusgeschäft brachte nur 2,8 Milliarden Dollar.
Vor der Revolution gab es 6.000 heute 90.000 Ärzte für insgesamt 11,5 Millionen Einwohner – allerdings inklusive der im Ausland tätigen.
Die Kindersterblichkeit ist mit gut vier pro Tausend fast auf deutschem und deutlich unter US-amerikanischem Niveau.
"Im Vergleich zu anderen Ländern, in denen ich war, funktioniert das Gesundheitssystem Kubas gut. Natürlich fehlen immer wieder Medikamente, da wir viel teuer im Ausland einkaufen müssen und da wirkt das Embargo der USA. Unabhängig von den Kosten wird behandelt und die Behandlung ist gratis."
Meint Manuel, der in leitender Funktion an einer Klinik arbeitet. Was nutzt freilich die Gratisbehandlung, wenn Mangel herrscht an praktisch allem, was importiert werden muss. Kuba stellt kaum eigene Medikamente her, geschweige denn medizinisches Gerät. Manchmal sind selbst einfache Schmerzmittel wie Aspirin oder Ibuprofen nicht zu finden. Der 87-jährige Rafael weiß davon ein Lied zu singen.
"Ich muss täglich eine Tablette gegen Bluthochdruck und Parkinson nehmen, die muss ich in der Apotheke kaufen, und manchmal gibt es die nicht."
Versorgungsengpässe in den Apotheken
In den Regalen der Apotheken herrscht gähnende Leere. Und nach Auffassung von Victor sind die Versorgungsengpässe in Kuba nicht nur ein Problem des anachronistischen Wirtschaftsembargos.
"Für mich ist Kuba das Land der Faulenzer, aber die leben am besten! Die kaufen und verkaufen irgendetwas und leben besser als jemand, der studiert hat und morgens um fünf aufsteht, um zu sehen, ob er einen Bus zur Arbeit bekommt und abends nicht weiß, was er zu Hause essen soll. Man malocht für einen miserablen staatlichen Lohn im Vergleich zu denen, die es sich leicht im Leben machen. Solange wir das nicht abstellen, wird es uns schlecht gehen", sagt Victor.
Mit im Monat umgerechnet 66 Dollar kommt er nicht weit. Soviel verdient Taxifahrer Heriberto an eineinhalb Tagen. Für ein gutes Mittagsessen in einem Restaurant müssen schon mindestens 10 bis 15 Dollar gezahlt werden!
Da hilft auch nicht, dass die Kubaner – auch Ärzte – einen Teil der Lebensmittel zu subventionierten Preisen über ihre Libreta bekommen.
Der einzige Trost: die Anerkennung als Arzt und die Solidarität der Patienten, die dem Arzt aus Dankbarkeit auch schon einmal mit dem einen oder anderen unter die Arme greifen.