"Vor allem in Alt-Havanna leben viele Menschen gemeinsam in sehr kleinen Räumen. Alle wollen hier leben. Weil es hier Fortschritt gibt, weil man hier alles in der Nähe hat. Für Alt-Havanna ist es daher typisch, dass vier, fünf, sechs Personen in einem kleinen Zimmer zusammenleben."
Auch Yelina de Armas ist so in Alt-Havanna geboren und aufgewachsen. Die zierliche 37-Jährige mit den dunklen Locken erinnert sich gerne an ihre Kindheit und Jugend in den fast rund um die Uhr belebten Straßen und Gassen von Alt-Havanna.
"Ich bin zwischen Museen aufgewachsen, mit den anderen Kulturen, die meine Freunde vom Land mitbrachten – ganz in der Nähe des Hauses unseres Nationalhelden Martí, das war für mich ganz natürlich. Da war das Museum der Revolution und natürlich der Hügel 'Loma del Ángel', der für viele so besonders schön ist."
Seit Kurzem aber kommt Yelina de Armas nur noch zum Arbeiten in Havannas wohl berühmtestes Stadtviertel. Das Haus, in dem sie zuletzt wohnte, war einsturzgefährdet. So wie viele Häuser in Alt-Havanna. Yelina de Armas hatte Glück: Der Staat bot ihr eine neue Unterkunft im Vorort Alamar an. Fast täglich pendelt sie jetzt von der anderen Hafenseite hier nach Alt-Havanna, wo sie als Zimmermädchen in einer privaten Ferienwohnung für Ordnung sorgt.
Wärme, Luft und zu viele Bewohner setzen den Häusern zu
Havannas alte Gebäude leiden unter dem schwülwarmen Klima, den tropischen Regengüssen und der salzigen Meeresluft. Außerdem: Immer mehr Menschen ziehen aus den Provinzen zu. Oft nehmen die alten Kolonialhäuser Schaden, weil zu viele Menschen auf zu wenig Raum in ihnen leben.
"Das ist typisch für Alt-Havanna. So kam es auch zu dem Lied 'Havanna kann nicht mehr'."
Yelina de Armas fällt ein Lied der kubanischen Gruppe Los Van Van ein. Sie hat die Überstrapazierung von Alt-Havanna musikalisch thematisiert.
Aber nicht nur die Kubaner zieht es nach Havanna, auch immer mehr Touristen lockt die Karibikstadt. Der Kokosnuss-Verkäufer Ebelio Martín in der Calle de los Oficios kann das an seinem beständig steigenden Kokosnuss-Umsatz festmachen. Mit einem Bein steht er auf der Kopfsteinpflasterstraße, ein anderes ruht auf einer Stufe vor seinem Verkaufsstand.
"Es kommen immer mehr Touristen. Heute ist ein US-amerikanisches Kreuzfahrtschiff im Hafen eingelaufen. Das passiert, seitdem sich die Beziehungen zwischen Kuba und den USA verbessert haben. Auch ein italienisches Schiff soll gekommen sein. Vor Kurzem noch sprach man von einer Hoch- und einer Nebensaison. Jetzt ist der Zustrom an Touristen immer gleich hoch."
Seit mehr als 20 Jahren lebt der schlanke Mann mit dem dichten grauen Haar in Alt-Havanna. Sein kleiner Verkaufsstand, auf dem sich die Kokosnüsse im grünen Faserkleid stapeln, ist in einem der bereits restaurierten Kolonialhäuser untergebracht.
Viele Materialien müssen importiert werden
Auch José Ramón Rosete kommt ab und an auf eine Kokosnuss vorbei. Er leitet nur wenige Türen weiter die Abteilung Konservierung und Restaurierung, die dem Stadthistoriker von Havanna untersteht. Ein mächtiger Schreibtisch und zwei gelb bezogene Chaiselongues beherrschen sein Arbeitszimmer mit den hohen Decken. José Ramón Rosete widmet sich hier dem Wiederaufbau Alt-Havannas.
"Es ist natürlich viel einfacher, ein Gebäude abzureißen und mit neuen Techniken, mit Glas und Aluminium, ein Neues zu bauen. Schwierig aber ist es, die visuelle Ästhetik zu bewahren, die Werte unseres Kulturguts. Die Buntglasfenster sind schwer zu bekommen, weil Kuba sie nicht selbst produziert. Hochwertiges Holz, das sich nicht verformt, muss meist importiert werden, weil Kubas große Zedern- und Mahagoni-Wälder abgeholzt sind. Das sind die Herausforderungen der Restaurierung von Alt-Havanna."
José Ramón Rosete steht von seinem Schreibtisch auf. Jetzt zieht es ihn nach draußen in die schwülwarme Karibikluft. Er will am lebenden Beispiel zeigen, was für ihn bei der Sanierung von Alt-Havanna am Wichtigsten ist:
"Es soll eine lebendige Stadt bleiben. Eine Stadt, die die Menschen genießen können. Hier auf der Plaza Vieja sieht man wie viel Bewegung. Nicht nur wegen der Touristen. Auch an einem Sonntagnachmittag ist das hier so wegen der Kubaner, die ihre Stadt genießen. Hier ist eine Grundschule, da drüben sind Wohnhäuser und Geschäfte. Überall dort, wo die Balkone sind, leben Menschen."
Die Plaza Vieja füllt sich am Abend
Die Sonne steht fast im Zenit. Am belebtesten ist die Plaza Vieja dort, wo sie die dreistöckigen Häuser in verschiedenen Gelb-, Blau- und Ockertönen säumen. In den rundumlaufenden Säulengängen wechseln sich Licht und Schatten ab. Noch sind die Schaukelstühle auf den Balkonen und Terrassen am Platz verwaist. Erst wenn die Sonne in der Karibik untergegangen ist, werden sie sich füllen.
José Ramón Rosete steuert auf eine Seitenstraße zu. Dort neben Restaurants, aus denen schon am frühen Mittag Live-Musik schallt, lebt er selbst mit seiner Familie im Erdgeschoss eines kunstvoll renovierten Hauses.
"Schau, wie ruhig es hier ist. Man glaubt nicht, dass man in Alt-Havanna ist."
Im Patio des Hauses grüßt ein grüner Papagei den Restaurator aus dem ersten Stock.
"Ursprünglich hatten die Häuser in Alt-Havanna zwei Stockwerke. Wegen der Hitze baute man hohe Decken, um eine gute Ventilation zu haben. Irgendwann wollte man den Raum besser nutzen und zog ein Zwischengeschoss ein. Im Erdgeschoss lebten die Tiere oder waren Geschäfte untergebracht, im Zwischengeschoss befanden sich Büros und im dritten Stock wohnte der Hauseigentümer."
José Ramón Rosete verabschiedet sich, er muss zurück in sein Büro.
Wenige Straßen weiter bietet ein Mann aus einer blauen Plastiktonne Tamal feil: ein im Maisblatt gekochter Maisteig, den Angestellte als Mittagssnack kaufen. Nicht alle Häuser sind hier so herausgeputzt wie auf der Plaza Vieja. Aus den meisten spanischen Barockfassaden bricht großflächig der Putz, statt Glas schließen Holzlatten Fensteröffnungen.
Mehr alte Bauwerke erhalten als anderswo in Lateinamerika
Der historische Kern Havannas zählt seit 1982 zum Unesco-Weltkulturerbe. Immer wieder war die Sorge um dieses Erbe groß. Fernando Brugman von der Unesco möchte aber nicht darüber sprechen wie viel zerfällt, sondern über das Wunder, dass so viel erhalten ist:
"Das ist ein Ausnahmefall. In den meisten historischen Stadtkernen in Lateinamerika und Europa sind viele alte Gebäude wegen Bodenspekulationen verschwunden. Im Fall von Havanna, von Kuba, ist das anders. Hier gab es keinen Immobilien- oder Spekulationsmarkt – und so wurde auch nichts zerstört. Was wir also in Havanna an alten Bauwerken sehen, ist viel mehr als das, was es gäbe, wenn es ein anderes Land wäre."
Auf der Plaza de Armas ist es Nachmittag geworden. Der pensionierte Elektroingenieur Juan Sánchez hat sich mit Freunden zum Musizieren unter einem Ficus niedergelassen. Die Annäherung mit den USA sieht er positiv. Er hofft aber, dass in Havanna auch weiterhin kein Ausverkauf stattfindet. Gleichzeitig sieht er die Notwendigkeit für noch mehr Investitionen in die Häuser Alt-Havannas:
"Für mein Land würde ich sterben, aber es beschämt mich, zu sehen, dass die Häuser zerfallen. Alles muss neu gemacht werden, nach und nach renoviert werden. Damit es wieder schön aussieht und nicht kaputt ist oder beschädigt wird."
Und trotz Zerfall – das sei sein "Habana Vieja". Die Stadt, die ihm und seinen Musikerfreunden so sehr gefällt. Darauf stimmen sie ein Lied an: "Me gustas" - "Du gefällst mir".