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Kuba im Wandel
"Hier herrscht eine mächtige Stasi"

Die neue Öffnung Kubas wirke sich nicht auf die innere Lage des Landes aus, sagte der kubanische Menschenrechtler Elizardo Sanchez im Deutschlandfunk. Im Gegenteil: "Die Unterdrückung friedlicher Dissidenten, Frauen und Männer nimmt noch zu." Sanchez verglich das heutige Kuba mit der DDR zu Honecker-Zeiten.

Elizardo Sanchez im Gespräch mit Christoph Heinemann |
    Der kubanische Menschenrechtler Elizardo Sanchez
    Elizardo Sanchez: "Die diktatorische und totalitäre Regierungsform muss zerstört werden - zugunsten eines demokratischen Rechtsstaates." (AFP / Adalberto Roque)
    Hinweis: Dieses Interview mit Elizardo Sanchez können Sie auch in der spanischen Originalfassung hören.
    Christoph Heinemann: Ruinen schaffen ohne Waffen, das gehört weltweit zur Bilanz des Sozialismus. Dazu kommen die Verbrechen der jeweiligen Regime gegen Menschen und Menschenrechte. Das kann man auch in Kuba besichtigen, einer der letzten Diktaturen sowjetischer Prägung. "Ein Gefängnis namens Kuba" titelte die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" am vergangenen Wochenende. Die Eröffnung der US-Botschaft vor drei Wochen in Havanna hat daran nichts geändert und der Besuch des Papstes in zwei Wochen wird voraussichtlich auch keine Linderung bringen. Mehr als acht Jahre verbrachte Elizardo Sanchez in Gefängnissen der Castro-Diktatur. "Das war noch gar nichts", sagt er gern. "In Kuba gab es Menschen, die saßen länger im Knast als Nelson Mandela." Elizardo Sanchez ist ehemaliger Professor für Philosophie an der Universität von Havanna, Präsident der kubanischen Kommission für Menschenrechte und nationale Versöhnung. Den gelernten DDR-Bürgern unter unseren Hörerinnen und Hörern muss man an dieser Stelle nicht erklären, dass Sanchez jahrzehntelang von der kubanischen Stasi besucht oder besser gesagt heimgesucht wurde. Wir haben ihn vor der Sendung in Havanna erreicht. Ich habe ihn gefragt, ob die Eröffnung der US-Botschaft und der Papstbesuch für Kuba historische Ereignisse darstellen.
    Elizardo Sanchez: Das sind wichtige Ereignisse, vor allem der Besuch von Papst Franziskus. Was die Wiederherstellung der diplomatischen Beziehungen betrifft: es ist doch normal, dass Staaten Beziehungen dieser Art unterhalten und nicht gegenseitig Krieg führen, sei er kalt oder heiß. Diese diplomatischen Beziehungen wirken sich aber nicht auf die innere politische und wirtschaftliche Lage in Kuba aus. Das gilt vor allem für die Menschenrechte. Ich habe sogar den Eindruck, dass wir in der nahen Zukunft die schlechteste Lage in ganz Lateinamerika haben, was zivile, politische und andere grundlegende Rechte betrifft.
    Heinemann: Also kurzfristig keine Anzeichen für Veränderungen in Kuba?
    Sanchez: Es gibt keine glaubwürdigen Anzeichen. Eher solche für eine Verschlechterung. Die Unterdrückung friedlicher Dissidenten, Frauen und Männer nimmt noch zu. Ich hoffe, dass der Besuch von Papst Franziskus dazu beiträgt, dass die Regierung versteht, dass sie die Lage hier verbessern, und sie dem kubanischen Volk fundamentale Rechte garantieren muss. Dazu gehört das Recht auf Arbeit, die Hoffnung auf ein besseres Leben in Kuba. Der Durchschnittslohn der Arbeiter beträgt zwischen 20 und 25 Dollar. Mit diesem Betrag können Sie nicht einmal in Burundi leben.
    Heinemann: Gibt es überhaupt keine positiven Reformen in Kuba?
    Sanchez: Keine Reformen. Es gab in den letzten zwei oder drei Jahren Veränderungen ohne großen Tiefgang, die nichts mit den Reformen zu tun hatten, die das kubanische Volk benötigte. Die Regierung sendet falsche Signale der Veränderung an die internationale Gemeinschaft.
    Heinemann: Es gibt inzwischen kleine private Unternehmen, die es vor 20 Jahren nicht gab ...
    Sanchez: Kleine Läden, Familienbetriebe, das heißt: Cafés, kleine Restaurants. Etwas Überschaubares, die Regierung spricht von Arbeit auf eigene Rechnung. Sehr begrenzt. In keinem Land kann man damit die Wirtschaft wieder aufbauen. Die Regierung müsste die Erlaubnis für kleine und mittlere Unternehmen erteilen. So, wie es sie in Europa und in anderen Regionen der zivilisierten Welt gibt. In Kuba ist das bisher undenkbar. Es wurde ein Gesetz verabschiedet, dass ausländische Investitionen in die verschiedenen Bereichen der Wirtschaft ermöglicht. Aber es gibt kein Gesetz für Investitionen von Kubanern.
    Kuba im gleichen Zustand wie Ostdeutschland unter Honecker
    Heinemann: Die Regierung sagt, dass die Armut und die Hoffnungslosigkeit, unter der die Mehrheit der Kubaner leiden, Folgen des US-Embargos seien. Trifft das zu?
    Sanchez: Nein, im Gegenteil. Die Kommission für die Menschenrechte, für die ich arbeite, hat sich immer gegen die Embargo-Politik der US-Regierung gegen Kuba ausgesprochen, weil diese internationales Recht verletzt. Aber: der vorrangige Grund für Armut und Hoffnungslosigkeit der überaus großen Mehrheit der Kubaner ist die totalitären Verfassung der Regierung. Es ist der gleiche Zustand wie in Ostdeutschland in den Zeiten von Honecker. Und wie Sie wissen, ruinieren diese totalitären Modelle die Länder, solange sie die fundamentalen Rechte mit Füßen treten.
    Heinemann: Kann oder will sich das Castro-Regime nicht verändern?
    Sanchez: Es will sich nicht verändern. Es könnte, weil es über eine außergewöhnliche Machtfülle verfügt. Dazu gehören auch der Einschüchterungs-Apparat und die soziale Kontrolle. Hier herrscht eine mächtige Stasi. Ein großer politischer Polizei-Apparat, der die Menschen einschüchtert. Die Bürger werden kontrolliert. Tausende Kubaner sitzen im Gefängnis. Das ist eine große Macht. Aber sie nutzen diese Macht nicht, um Reformen auf den Weg zu bringen, sondern um sich an der Macht zu halten. Sie regieren seit 57 Jahren. Und zwar schlecht.
    Kein US-Kapitalismus: Kuba benötigt ein eigenes Modell für Wiederaufbau und Fortschritt
    Heinemann: Welchem Modell sollte Kuba nach dem Ende der Diktatur folgen?
    Sanchez: Diese Form der totalitären Regierung, der stalinistische Staat, ruiniert die Länder. Kuba hat sich zu einem der ärmsten Länder Lateinamerikas entwickelt. Kein Zweifel: die diktatorische und totalitäre Regierungsform muss zerstört werden, zugunsten eines demokratischen Rechtsstaates. Auch wenn wir arm sind.
    Heinemann: Wäre der US-Kapitalismus ein Modell, dem Kuba folgen sollte?
    Sanchez: Nein. Wir sollten in der Lage sein, unser eigenes Modell zunächst des Wiederaufbaus und dann des weiteren Fortschritts zu entwickeln. Wir können nicht Modelle entwickelter reicher Länder kopieren. Unsere politische Führung sollte allerdings bereits sein, die besten Erfahrungen der Länder auf den verschiedenen Kontinenten der Welt zu berücksichtigen, die weiter vorangekommen sind.
    Heinemann: Wenn Sie sich den Arabischen Frühling, die Lage in Syrien anschauen. Ist in Kuba ein kontrollierter politischer Übergang möglich, ohne Tote auf der Straße?
    Sanchez: Das wünschen wir uns. Und es wird wahrscheinlich so kommen, denn die Kubaner haben es satt, dass dauernd von Tod gesprochen wird. Die Parolen der Regierung führen immer den Tod an. Vaterland oder Tod, dann Sozialismus oder Tod. Die große Mehrheit der Kubaner möchte in Frieden leben. Sie würden den hier unvermeidlichen Übergang unterstützen. Für eine friedliche, politische Sache. Hoffentlich haben wir dieses Glück.
    Heinemann: Sie haben mehr als acht Jahre als politischer Häftling in Gefängnissen verbracht. Welche Erfahrungen haben Sie in den Gefängnissen der Familie Castro gemacht?
    Sanchez: Der Familie Castro war das sowjetische Gulag-System sehr wichtig. Sowjetische Berater haben erklärt, wie das System der Gefängnisse und der Konzentrationslager organisiert werden sollte. Beratung und hochrangige Offiziere kamen auch von der Stasi, um die politische Polizei aufzubauen, um die Bevölkerung zu unterdrücken. Die Regierung lässt keine internationale humanitäre Organisation in unser Land. Denn die Regierung hat viel zu verbergen.
    Heinemann: Und dieses System funktioniert immer weiter?
    Sanchez: Es funktioniert, schlecht, die Regierung respektiert nicht einmal die Mindestregeln der Vereinten Nationen. Die Lage in den Konzentrationslagern erinnert an die Zeit des Zweiten Weltkrieges oder die von Stalin.
    Heute gibt es Tausende militante Dissidenten in Kuba
    Heinemann: Wie haben Sie die Repression überlebt?
    Sanchez: Trotz der Angst, die ich immer hatte und noch habe, denn die Unterdrückungs-Maschinerie ist furchtbar: Vor 25 bis 30 Jahren waren wir weniger als zehn militante Dissidenten. Heute sind wir Tausende im ganzen Land. Das ist ein hoffnungsvolles Signal, wir müssen allerdings noch wesentlich weiter vorankommen.
    Heinemann: Sind Sie mit Blick auf die Zukunft Kubas zuversichtlich?
    Sanchez: Ja, ich bin optimistisch, allerdings nur mittel- oder langfristig. Gegenwärtig haben wir hier weiterhin die gleiche Lage wie in den vergangenen Jahrzehnten.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.