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Kuba
Leben am Limit

Auch mehr als ein Jahr nach dem Tod Fidel Castros scheint der Maximo Lider immer noch allgegenwärtig. Für viele ist Kuba allerdings noch mehr zu einer Zweiklassengesellschaft geworden. Die Situation könnte sich weiter verschärfen: durch noch härtere US-Sanktionen oder den Wegfall subventionierter Öllieferungen aus Venezuela.

Von Burkhard Birke |
    Fidel Castro ist auf ganz Kuba noch allgegenwärtig
    Fidel Castro ist auf ganz Kuba noch allgegenwärtig (Deutschlandradio / Burkhard Birke)
    Oldtimer aus den 50ern knattern mit ihren eingebauten Dieselmotoren asiatischer Herkunft über den Malecón. Eine steife Brise aus Norden peitscht die Wellen gegen die Mauern unter der Küstenpromenade Havannas. Es hat merklich abgekühlt. Das Wetter als Vorbote einer neuen politischen Kälteperiode zwischen den USA und Kuba? Vermeintliche Schallwellenattacken gegen die US-Botschaft, Ausweisung kubanischer Diplomaten, Verschärfung der Reisebestimmungen für US Bürger...
    "Wir bekommen das zu spüren", meint der im Tourismus als selbstständiger Unternehmer tätige Aramis Padrino. "Letztes Jahr kamen etwa 600.000 US-amerikanische Touristen. Die Beschränkungen für Individualreisende durch Trump werden Wirkung zeigen. Was uns jedoch helfen wird, sind die Kreuzfahrtschiffe."
    Tourismus ist lebenswichtig
    Die Einnahmen aus dem Tourismus sind überlebenswichtig für Kuba. 4,7 Millionen Besucher werden dieses Jahr erwartet – trotz Hurrican "Irma", der über die gesamte Nordküste der Insel hinwegfegte und das Tourismusgeschäft für Wochen lahmlegte. Auf Kuba funktioniert jedoch der vom Militär organisierte Katastrophenschutz. Die Touristenzentren sind wieder funktionsfähig und in Havanna sind kaum mehr Spuren von Irma zu sehen - zur Freude auch US-amerikanischer Touristen wie Joanne aus New Jersey:
    "Wir sind überall sehr herzlich aufgenommen worden, ich bin viel in der Welt unterwegs, hier fühle ich mich besonders sicher. Jetzt ist es für US-Bürger schwieriger geworden, hierherzukommen, viele werden verängstigt. Ich finde das verrückt, denn das ist die Regierung - die Menschen sind doch ganz anders."
    Für Joanne und die meisten US-Touristen hier ist das nach der kubanischen Revolution verhängte Wirtschaftsembargo ein Anachronismus.
    Niedrige Löhne und Renten
    "Als erstes müsste das Embargo aufgehoben werden, das schadet uns am meisten. Danach können wir sehen, welche internen Probleme es gibt, aber so sind wir am absaufen."
    Wie viele Rentner und Arbeiter hat Eduardo Probleme, über die Runden zu kommen – was aber vor allem an den viel zu niedrigen Renten und Löhnen liegt.
    Zehn Dollar monatlich Rente, bekäme er, erzählt mir Rafael. "Das reicht nicht. Deshalb muss ich Zeitungen verkaufen."
    In der von Touristen stark frequentierten Calle Obispo im historischen Kern Havannas versucht der 86-Jährige das offizielle Regierungsblatt "Granma" gegen CUC, die konvertible Währung zu verkaufen.

    "Wir haben eine Lebensmittelkarte, um in der Bodega und in der Fleischerei einzukaufen. Da geben Sie Dir ein Pfund Hähnchen im Monat. Das isst Du an einem Tag und die anderen 29 Tage musst du sehen, dass Du woanders Fleisch kaufst gegen CUC."
    Zeitungsverkäufer Rafael
    Zeitungsverkäufer Rafael (Deutschlandradio / Burkhard Birke)
    Stolz auf sozialistische Errungenschaften
    Monatlich bekommt Rafael auf seine Lebensmittelkarte Reis, Bohnen, Kaffee und Öl zu stark subventionierten Preisen, aber das reicht je nach Größe der Familie meist nur für einen halben Monat. Nelson Batista ist Arzt in leitender Position und trotz aller Engpässe stolz auf das Gesundheitssystem, das wie das Bildungssystem allen Kubanern gratis zur Verfügung steht.
    "Mein Gehalt beträgt umgerechnet 66 CUC. Wenn man kleine Kinder hat, dann reicht das wirklich nicht. Mir helfen meine Verwandten, die vor mehr als 20 Jahren ausgewandert sind."
    Anders als viele Ärzte bekam Nelson nicht die Gelegenheit im Ausland zu arbeiten. Ans Ausland geliehene Ärzte sind neben den Remesas genannten Überweisungen der Exilkubaner eine der wichtigsten Einnahmequellen des Landes - noch vor dem Tourismus, der für alle, die keine Verwandten in den USA oder Europa haben, essenziell ist.
    Vom Gehalt kann kaum einer leben
    Viele Ingenieure oder Lehrer verdingen sich denn als Taxifahrer oder arbeiten in den Paladares, Privatrestaurants. Denn von 600 oder 700 Pesos Gehalt - umgerechnet 25 bis 30 Dollar können sie nicht leben. Eine Tube importierte Zahnpasta kostet mindestens 3, eine kleine Pizza und ein kubanisches Bier 4 CUC, also Dollar! Viele essenzielle Lebensmittel und Güter des Grundbedarfs gibt es nur gegen CUC – der konvertiblen Währung zu horrenden Preisen. Auch die Märkte, wo Reis, Kochbananen und Fleisch zugekauft werden muss, sind teuer, auch wenn man dort in nationaler Währung zahlen kann.
    Ist Kuba eine Zweiklassengesellschaft geworden? Mit denjenigen, die Zugang zu harter Währung haben und denjenigen, die nicht davon profitieren? Was ist von der Revolution geblieben? Überall auf Kuba begegnet einem das Porträt von Fidel Castro. Er scheint noch immer allgegenwärtig.
    "Er selbst war gegen den Personenkult. Es ist per Gesetz verboten, dass Schulen oder Betriebe den Namen von Fidel tragen, aber wichtiger als das ist, dass die Idee bleibt", sagt Jesus Irsula, der Fidel Castro als Dolmetscher bei deutschen Staatsbesuchen kannte. Mit den Ideen meint Irsula den Humanismus und die Solidarität. Mit einem Trauerakt wurde kürzlich der Jahrestag der Beisetzung auf dem Friedhof Santa Ifigenia in Santiago gedacht.
    Fidel wird noch immer bewundert
    Im Zentrum Santiago erinnert eine Foto- und Bilderausstellung an den Maximo Lider. Hierhin pilgern vor allem diejenigen, die ihn noch immer bewundern und wie Luciano Lopez über die Unvollkommenheiten der Revolution hinwegsehen.
    "Natürlich ist nichts perfekt im Leben - deshalb war alles, was er getan hat, exzellent. Wir werden sein Erbe verteidigen: Immer bis zum Sieg!"
    Und was, wenn US-Präsident Trump die Wirtschaftssanktionen noch verschärft oder Venezuela die subventionierten Öllieferungen einstellen muss?
    "Dieses Mal sind wir vorbereitet, sollte wieder so eine Härtezeit wie nach dem Zusammenbruch des Ostblocks kommen. Gibt es keinen Bus, dann setzt sich der Kubaner eben auf ein Pferd – lässt sich irgendetwas einfallen. Ich glaube aber nicht, dass es dazu kommt."
    Meint Taxifahrer Alex. Und bei aller Not hört man ein Jahr nach Fidel Castros Tod immer noch: "Hasta siempre nuestro comandante Fidel Castro Ruz."