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"Kühlen, kühlen, kühlen!"

Laut Lothar Hahn muss die Kühlung der Reaktoren in Fukushima "über Monate aufrecht erhalten werden". Wenn das nicht gelänge, sei eine vollständige Kernschmelze mit entsprechend hohen Freisetzungen die Folge.

Lothar Hahn im Gespräch mit Martin Zagatta |
    Martin Zagatta: Zunächst der heute erst recht bange Blick nach Japan, denn in dem beschädigten Atomkraftwerk Fukushima soll die befürchtete Kernschmelze nun tatsächlich stattgefunden haben, auch wenn die Regierung jetzt von einer teilweisen Kernschmelze spricht. Mitgehört hat Lothar Hahn, der frühere Leiter der Gesellschaft für Reaktorsicherheit, die die Bundesregierung informiert und auch berät. Guten Tag, Herr Hahn.

    Lothar Hahn: Guten Tag!

    Zagatta: Herr Hahn, was bedeutet teilweise Kernschmelze, so wie das von der japanischen Regierung, von den Experten dort jetzt genannt wird? Was sagt das dem Experten, was sagt das Ihnen?

    Hahn: Das heißt, dass die Brennstäbe im Innern des Reaktordruckbehälters, in denen ja noch Wärme produziert wird, auch nach Abschaltung des Reaktors, dass diese infolge des Kühlungsausfalles sich erhitzen, überhitzen und dann teilweise schmelzen.

    Zagatta: Und das kann gestoppt werden von alleine, oder kann das passiert sein jetzt – da ist man sich ja im Unklaren – durch den Einsatz von Wasser, oder wie ist das wieder zum Stillstand gekommen, oder einigermaßen zum Stillstand gekommen?

    Hahn: Das wissen wir noch nicht genau, aber offensichtlich ist es gelungen. Wenn das stimmt, was wir hören, ist es gelungen, die Kühlung wieder zumindest teilweise in Gang zu setzen.

    Zagatta: Können die Helfer in dieser Situation – wir haben da ja von Werten gehört in dem Bericht gerade, die um das 100.000-fache über Normalwerten liegen sollen – an den Reaktoren überhaupt noch arbeiten?

    Hahn: Wenn überhaupt, dann nur kurzfristig.

    Zagatta: Das heißt, was bedeutet das dann aus Ihrer Sicht für die Zukunft? Kommt man da überhaupt richtig heran? Kann diese Kühlung dann noch weiterlaufen?

    Hahn: Das hängt davon ab, ob man die Stromversorgung wieder zum Laufen kriegt, ob man die Kühlsysteme wieder einigermaßen in Gang kriegt. Da muss man wahrscheinlich vor Ort Maßnahmen ergreifen, und das wird natürlich umso schwerer, je höher die Strahlung ist. Teilweise wird das auch unmöglich, wie in der Vergangenheit schon mehrfach gewesen.

    Zagatta: Was bedeutet das, wenn das Ganze jetzt so weitergeht auf diesem Stadium? Wie lange kann das noch gehen? Es gab gestern Berichte aus Japan, dass dort japanische Experten befürchten, so eine Strahlung könne möglicherweise über Jahre, wenn nicht 100 Jahre sogar dauern.

    Hahn: Der Unfall selber, die Kühlung selber muss über Monate aufrecht erhalten werden oder hergestellt werden. Wenn das nicht gelingt und es zu einem Totalausfall kommt, dann haben wir ein vollständiges Kernschmelzen mit entsprechend hohen Freisetzungen.

    Zagatta: Was kann man jetzt ganz konkret noch tun, um diesen Supergau zu verhindern? Weiter mit Wasser arbeiten?

    Hahn: Kühlen, kühlen, kühlen! Das ist die einzige Möglichkeit, denn die Nachwärme lässt sich nicht abschalten oder ausschalten. Die wird weiterhin produziert, unabhängig davon, dass der Reaktor abgeschaltet ist.

    Zagatta: Jetzt beschwert man sich ja in Japan. Experten sagen, dieses Eingeständnis der Regierung, das sei reichlich spät gekommen, weil Experten schon davon ausgegangen sind, dass diese Kernschmelze, darauf hätten Indizien hingedeutet, schon vor Tagen stattgefunden hat. Ist das so?

    Hahn: Es sieht so aus, als hätte es bereits ganz zu Beginn des Unfallablaufes Schäden an den Brennelementen gegeben. Darauf deuten einige Indizien hin, etwa die gefilterte Druckentlastung und die Wasserstoff-Explosionen, die die Gebäude der Reaktoren zerstört haben. Das deutet also darauf hin, dass bereits ganz am Anfang es zu einer Überhitzung des Kernes gekommen ist mit entsprechenden Schäden an den Brennstäben. Ob es da schon zu Kernschmelzen gekommen ist, wissen wir nicht genau, das kann man aber im Nachhinein erst feststellen.

    Zagatta: Trauen Sie nach dem, was Sie da hören, den Verantwortlichen dort noch, was die da informieren?

    Hahn: Nicht sonderlich, muss ich sagen. Das ist schon sehr erstaunlich, mit welcher Zurückhaltung hier Informationen geliefert werden, die dann zum Teil noch widerrufen werden und korrigiert werden müssen.

    Zagatta: Herr Hahn, was bedeutet das für die Bevölkerung dort im Umkreis? Würden Sie die Evakuierung jetzt ausweiten, oder hat sich jetzt durch diese neue Information von heute an der Lage nichts geändert?

    Hahn: Die Lage war ja schon bedrohlich seit einigen Tagen, eigentlich seit zwei Wochen, und mir scheint, die Evakuierungszone mit 20 Kilometern etwas knapp zu sein. Die Regierung empfiehlt ja auch, nach Möglichkeit bis 30 Kilometer von der Anlage entfernt das Land zu verlassen. Es könnte sogar noch weiter gehen müssen.

    Zagatta: Das waren Einschätzungen von Lothar Hahn, dem früheren Leiter der Gesellschaft für Reaktorsicherheit. Herr Hahn, ich bedanke mich für das Gespräch.

    Hahn: Bitte! Gerne geschehen.