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Kükenschreddern
"Das ist Agrarkriminalität"

Mit der Entscheidung für das Kükenschreddern stelle das Gericht wirtschaftliche Gründe über den gesetzlich verankerten Tierschutz, sagte die Grünen-Politikerin Renate Künast im Dlf. Bis die Technik zur Frühbestimmung des Geschlechts ausgereift sei, könnten Jahre vergehen.

Renate Künast im Gespräch mit Silvia Engels |
Renate Künast im Bundestag am 22.5.2015
Renate Künast forderte im Dlf, dass die Geflügelzüchter zu alten Zuchtlinien zurückkehren sollten, bei denen weniger Eier ausgebrütet würden und die männlichen Tiere auch zum Verzehr tauglich seien (picture alliance/dpa/Rainer Jensen)
Silvia Engels: Jedes Jahr werden in Deutschland als feste Regel Millionen männlicher Küken direkt nach der Geburt getötet – und das, weil weder die Legehennen-Züchter, noch die Mastbetriebe Verwendung für sie haben. Heute hat in dieser Sache das Bundesverwaltungsgericht gesprochen.
Am Telefon mitgehört hat Renate Künast. 2001 bis 2005 war sie Landwirtschafts- und Verbraucherschutzministerin, später Fraktionschefin der Grünen. Für Bündnis 90/Die Grünen sitzt sie heute im Landwirtschaftsausschuss des Bundestages und in Berlin erreichen wir sie auch. Hallo, Frau Künast.
"45 Millionen Küken pro Jahr werden geschreddert oder vergast"
Renate Künast: Hallo! – Guten Tag.
Engels: Die massenhafte Kükentötung bleibt übergangsweise erlaubt, bis andere Verfahren, die das Geschlecht schon im Ei bestimmen können, serienreif sind. Haben Sie irgendwas an Verständnis dafür?
Künast: Ich muss tief Luft holen, auch als Juristin. Gerichtsentscheidungen muss man akzeptieren. Aber rein juristisch bin ich trotzdem entgeistert, welche Pirouetten dort gedreht werden. Das Gericht, wie Ihr Korrespondent ja gesagt hat, hat erst mal gesagt, wirtschaftliches Interesse ist kein vernünftiger Grund, über dem man einem Tier Leid zufügen darf oder es töten darf – so Paragraph 1 auch Tierschutzgesetz. Damit ist es übrigens eine Straftat. Das ist Agrarkriminalität, um es mal ganz bewusst zu machen. Um dann aber als Gericht zu sagen, wir haben gehört, es könnte in einiger Zeit eine Technik geben, mit der man es dann feststellt, bevor das Tier ausgebrütet ist, und deshalb gibt es eine Übergangsfrist. Dazu kann ich nur sagen, das habe ich gerade noch gelesen: Ein Professor aus Hohenheim sagte, ja, wir testen es ja schon. Ab dem neunten Tag kann man das an den Hormonen feststellen und es könnte in einigen Jahren zur Verfügung stehen. Heißt: In einigen Jahren mal 45 Millionen Küken pro Jahr, die geschreddert oder vergast werden. Nicht mal eine Frist an der Stelle, und ich muss mal sagen: Ich finde, das Gericht hat sich hinter die Fichte führen lassen. Es hat einfach diese alte Methode gemacht von der Massentierhaltung, dass sie so tun, als wollten sie anders entscheiden, um am Ende doch dem wirtschaftlichen Interesse das Prä zu geben.
Es gibt auch andere Dinge. Man muss nicht Tiere so züchten, dass sie massenhaft Eier legen und man den Bruder immer schreddern muss, sondern man könnte auch sagen, gehen wir zurück zu den alten Zuchtlinien, wo man die männlichen Tiere dann immer noch als Brathähnchen nutzen kann. Das gibt es ja auch, aber das ist natürlich der Geldgier der Geflügelwirtschaft, der großen, nicht angemessen. Das wollen die nicht. – Ich bin entgeistert.
"Wieder die anderen Zuchtlinien verfolgen"
Engels: Hätten Sie sich gewünscht, dass das Gericht hier eine klare Frist setzt, um diesen Prozess der Forschung einfach damit auch zu beschleunigen?
Künast: Ja! Ich hätte mir gewünscht, dass es eine klare Frist setzt, aber nicht nur auf den Blick der Forschung, sondern auch zu sagen, der Tierschutz ist seit 2003 Staatsziel-Bestimmung im Grundgesetz und danach muss man sich richten. Dann gibt es entweder technische Möglichkeiten, oder wenn es die nicht gibt, muss man mittlerweile anfangen, wieder die anderen Zuchtlinien zu verfolgen, wo das weibliche Tier zwar weniger Eier legt, weil es nicht so eine Grund-Aggressivität hat, aber das männliche Tier auch verzehrt werden kann.
Sehen Sie mal: Vorhin wurde gesagt, der vom Geflügelzüchterverband hat gesagt, er möchte gerne das ethische Problem lösen. Aber es ist nicht nur ein ethisches Problem. Es ist eine Straftat. Das gelingt uns doch nirgendwo anders wie jetzt hier im Agrarbereich bei der Massentierhaltung, dass am Ende die wirtschaftlichen Interessen immer drübergehen. Ich kann ja auch nicht sagen, mein wirtschaftliches Interesse ist, keine Steuern zu zahlen, das ist mir irgendwie nicht zuzumuten, und deshalb sagt dann ein Gericht: Okay, Frau Künast, müssen Sie nicht. – Verstehen Sie? Man muss den Tierschutz doch auch mal endlich ernst nehmen. Und das ist nicht nur in dem Bereich, in anderen auch. Ob und wann die Technik zur Verfügung steht – im Augenblick geht es ab dem neunten Tag. Sachverständige sagen, ab dem siebten Tag empfinden die Föten schon Schmerzen. Dann dürfte es nach Tierschutzgesetz gar nicht möglich sein. Ich höre, die Sachen sind teuer. Kann sich das jeder Bauer leisten, oder nur die großen Massenbetriebe? Was ist dann mit den kleinen? Werden die auch unterstützt in Alternativen, alte Zuchtlinien? – Ich bin ehrlich entgeistert, ja. Eine rechtliche Pirouette, wo sie sich am Ende selber mit widerlegt haben.
"Wieso nehmen wir Millionen männliche Küken als Sache?"
Engels: Sie haben gerade schon Friedrich-Otto Ripke angesprochen, Präsident des Zentralverbands der deutschen Geflügelwirtschaft, den wir gerade auch noch einmal gehört hatten, der dieses ethische Problem angesprochen hat. In dem Interview heute Früh im Deutschlandfunk hat er aber auch argumentiert: Ein sofortiger Stopp würde die Branche gerade im Wettbewerb mit anderen EU-Staaten schwer schädigen. Und da kommen wir ja dahin: eine EU-weite Regelung. Warum tut sich hier nichts und ist das nicht der vielversprechendere Vorstoß?
Künast: Das ist an der Stelle schwierig. Sie können EU-weit Haltungsregeln machen, wo wir immer für sind. Da muss man aber Mehrheiten für kriegen, eine Mehrheit mit den Mitgliedsstaaten und im Parlament, wobei sich das Parlament da mehr bewegt. Aber der Ausgangspunkt ist immer, gibt es die alten Zuchtlinien.
Ich sage Ihnen auch eines: Wir können uns auch in anderen Dingen nicht darauf berufen, dass es das in der EU noch nicht gibt. Wir haben mit zwei Drittel Mehrheit des Deutschen Bundestages und bestätigt durch den Bundesrat gesagt, dass der Schutz der Tiere Staatsziel ist. Wir haben geregelt, dass unvernünftige Gründe, nicht vernünftige Gründe der Tötung, des Verletzens von Tieren eine Straftat ist. Das würde man bei seinem Haustier auch nicht akzeptieren. Wieso nehmen wir dann Millionen männliche Küken als Sache oder wie wahr? – Verstehen Sie? – Wir müssen das schon irgendwie gleich behandeln und da ist eine ethische Entscheidung im Grundgesetz getroffen worden und der muss man dann irgendwann auch folgen. Nachdem wir das so lange zugelassen haben, muss man eine Übergangsfrist haben, aber auch nicht mehr.
Engels: Die massenhafte Tötung der männlichen Nachkommen von Legehennen gibt es seit Jahren und Jahrzehnten. Sie haben es angesprochen, es ist ein altes Problem. Warum haben Sie in Ihrer Amtszeit als Ministerin 2001 bis 2005 nichts dagegen unternommen?
Künast: Sehen Sie mal, das ist eine ganz gute Frage. Ich hätte gerne noch mehr unternommen, wenn nicht zum Beispiel die CDU und CSU so vehement gegen alles gekämpft hätte, was ich für den Tierschutz tun wollte.
Engels: Aber das war damals eine rot-grüne.
Künast: Ja, ja! Aber den Bundesrat gab es auch, der dagegen stimmte. – Ich habe damals mit dafür gesorgt, dass wir erstens die Staatsziel-Bestimmung im Grundgesetz haben, um einen Ausgleichungsmaßstab zu haben, und Sie werden sich vielleicht erinnern können, dass ich damals angefangen habe damit, die Legehennen-Verordnung zu verändern, so dass diese alten Käfige, in denen eine Legehenne sich nicht mal wirklich bewegen konnte, abgeschafft worden sind. Deshalb gibt es heute größere Einheiten. Wir haben drei Durchläufe gegen den erbitterten Widerstand im Bundesrat gemacht, bis wir die alten Käfige, Massentierhaltungskäfige der Legehennen abgeschafft haben. – Eins nach dem anderen!
Engels: Aber eine Grundlage, um gegen diese massenhafte Kükentötung vorzugehen, hätten Sie nicht damals schon mit langen Übergangsfristen, die jetzt vielleicht wirken würden, auf den Weg bringen können?
Künast: Wenn Sie mir gesagt hätten, wie ich das im Bundesrat durchkriege, ja. Aber jetzt mal Spaß bei Seite: Sie können natürlich mit mir darüber diskutieren, was ich alles hätte in fünf Jahren tun sollen und müssen. Ich habe die Agrarreform gemacht, ich habe diese Legehennen-Verordnung auf den Weg gebracht, ich habe ein Biosiegel gemacht für Klimaschutz und Artenvielfalt, ich habe Gentechnik-Regeln gemacht. Ich war wirklich mit Überstunden beschäftigt und konnte nicht alles in diesen fünf Jahren regeln, aber, sage ich mal, gerne wieder und beim nächsten Mal. Sie können auch biozertifizierte Hühner kaufen. Da haben Sie auch schon wieder ein Stück bessere Tierhaltung. Sie können ja jetzt nicht bei fünf Jahren, wo ich den Donner hatte und 7000 Bauern vor mir standen, aufgeheizt vom Bauernverband und der CDU und Buh riefen, mir jetzt vorwerfen, ich hätte Dinge nicht angepackt. Ich habe sehr viel angepackt!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.