Jasper Barenberg: Die Jusos bleiben dabei. Die Jugendorganisation der Sozialdemokraten bleibt bei ihrem strikten Nein zu einem weiteren Regierungsbündnis mit der Union. Die Parteispitze in Berlin dagegen gibt sich inzwischen gesprächsbereiter. Vorbehalte gibt es allerdings immer noch zuhauf. Wohl auch deswegen signalisiert der frühere Parteichef Sigmar Gabriel bereits: So oder so - es wird dauern.
Zitat Sigmar Gabriel: "Keiner darf erwarten, dass das schnell geht. Ich meine, CDU/CSU, Grüne und FDP haben Wochen und Monate gebraucht und sind zu nichts zustande gewesen. Da werde ich doch ein bisschen um Verständnis dafür bitten dürfen, dass jetzt nicht der Druck bei uns liegt, sondern es muss jetzt auch die Union zeigen, was sie denn will. Und bei uns ist es so, dass wir jetzt reden auf Bitten des Bundespräsidenten, und dann werden wir sehen, welche Möglichkeiten es gibt. Aber mal eben so jetzt in die Rolle des Koalitionspartners zu gehen, das wird mit der SPD nicht gelingen."
Barenberg: Soweit Sigmar Gabriel und am Telefon ist der Wirtschaftswissenschaftler Clemens Fuest, Präsident des Münchener ifo-Instituts. Schönen guten Tag, Herr Fuest.
Clemens Fuest: Ich grüße Sie. - Schönen guten Tag.
Barenberg: Herr Fuest, die Institute und viele Wirtschaftsverbände haben in den letzten Tagen ja schon signalisiert, das Scheitern von Jamaika und die Aussicht auf eine längere Regierungsbildung ist gar kein großes Problem. Die Wirtschaft läuft und wir können das ein paar Wochen, ein paar Monate aushalten. Gilt das auch für eine längere Hängepartie, möglicherweise bis weit ins neue Jahr hinein?
Fuest: Auch eine Hängepartie, die ins neue Jahr hineinreicht, ist kein großes Problem. Wenn es Februar wird oder auch März, ist das in Ordnung. Es wäre was anderes, wenn wir auf Dauer Schwierigkeiten hätten, eine stabile Regierung zu bilden, oder häufige Regierungswechsel hätten, wie wir es eine Zeit lang zum Beispiel aus Italien kannten. Das wäre sicherlich nicht gut. Aber dass das jetzt noch ein paar Monate dauert, das sehe ich nicht als großes Problem an.
"Koalitionsbildungen werden schwieriger"
Barenberg: Sie sehen aber auch nicht die Gefahr, was Sie angedeutet haben, dass wir es auf Dauer mit einer instabilen Situation in der Bundesregierung zu tun haben könnten?
Fuest: Das halte ich nicht für wahrscheinlich. Wir haben allerdings ein breiteres Spektrum an Parteien mittlerweile. Das haben wir gesehen. Der Bundestag sieht jetzt etwas anders aus und es wird schon möglicherweise länger anhalten. Darauf muss man sich einstellen. Aber die Koalitionsbildungen werden sicherlich schwieriger. Es werden dann immer drei bis vier Parteien am Tisch sitzen. Damit würde ich schon rechnen. Aber ich denke nicht, dass wir hier generell italienische Verhältnisse bekommen.
Barenberg: Nun wissen wir alle, das Projekt Jamaika ist geplatzt. Ist das eigentlich eine gute oder eine schlechte Nachricht für eine gute und zukunftsweisende Wirtschaftspolitik in Deutschland?
Fuest: Das kommt darauf an, was die Alternative ist. Wenn es jetzt auf eine Große Koalition zuläuft, muss man sehen, was macht diese Große Koalition. Es gab bei Jamaika, weil viele am Tisch saßen, natürlich schon auch sehr viele Begehrlichkeiten, Wünsche, den Wunsch, dass die jeweilige Klientel bedient wird. Es ist ja nicht zu einem Regierungsprogramm gekommen, aber auch da war jetzt nicht alles großartig. Und jetzt muss man sehen, was die Große Koalition macht. Ich denke, da kann es so ausgehen, dass ebenfalls die Parteien auch aus strategischen Gründen wieder versuchen, ihrer jeweiligen Klientel was zuzuschanzen. Nötig wäre es eigentlich, dass man die Nachhaltigkeit in der Wirtschaftspolitik stärkt, dass wir überlegen, was müssen wir heute tun, damit Deutschland auch morgen ein Land ist mit gutem Wirtschaftswachstum und hoher Beschäftigung. Wenn das so läuft, dann ist es in Ordnung.
Barenberg: Wenn ich Sie richtig verstanden habe, Herr Fuest, gibt es ja derzeit unter den Sachverständigen, die das letzte Jahresgutachten erstellt haben, und im Kreis der Wirtschaftswissenschaftler im Grunde genommen zwei Schulen. Die einen sagen, wir müssen die gute Konjunktur jetzt nutzen, um wichtige Reformen anzustoßen, und die anderen sagen, na ja, die Wirtschaft läuft so gut und das heißt eigentlich auch, dass die Wirtschaftspolitik viel richtig gemacht hat, da können wir so weitermachen wie bisher. Wie sehen Sie das?
Fuest: Weitermachen ist sicherlich nicht die richtige Antwort. Die Konjunktur läuft gut. Das hat aber weniger mit der Wirtschaftspolitik der letzten Jahre zu tun. Die hat sich ja aufs Umverteilen konzentriert und auf Eingriffe in Märkte, die dann auch schiefgegangen sind. Ein Beispiel ist die Mietpreisbremse, die ja di Wohnungsknappheit eher verschärft. Das heißt, das etwa ist ein Problem, mit dem sich die Politik auseinandersetzen muss, und zwar so, dass das Problem auch gelöst und nicht verschärft wird. Wir brauchen mehr Wohnungen. Es ist schon sehr viel zu tun. Ein Weiter-so wäre jetzt ganz falsch. Wir kennen ja die Herausforderungen, die Digitalisierung, die Integration der Flüchtlinge, der Migranten, die zu uns gekommen sind, zumindest derjenigen, die dann auch dauerhaft hier bleiben. Die Digitalisierung der Wirtschaft wird bei uns den Arbeitsmarkt auf den Kopf stellen, viele Branchen neu ordnen. Das müssen wir hinkriegen. Wir haben eine hochgradig irrationale Energiepolitik seit vielen Jahren in Deutschland. Das muss sich ändern. Im Grunde muss das EEG grundlegend reformiert sein. Wir geben sehr, sehr viel Geld aus im Klimabereich und erreichen trotzdem unsere Klimaziele nicht. Da liegt einiges im Argen.
"Ausgaben überprüfen"
Barenberg: Sie haben jetzt einige Aufgaben aufgelistet. Ich könnte noch andere Stichworte dazu nehmen: Es gibt nicht genug Lehrer, es gibt nicht genug Pflegekräfte, wir haben es mit einer bröselnden Infrastruktur zu tun. Spricht das nicht alles dafür, dass wir weiter einen starken Staat brauchen und auch einen Staat, der viel Geld in die Hand nimmt, um da einiges zu korrigieren?
Fuest: Es gibt Dinge, in denen man sinnvoll investieren kann. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass wir die Ausgaben, die wir heute haben, auch mal durchforsten müssen daraufhin, ob wir da wirklich alles brauchen. Darüber wird viel zu wenig geredet. Wir sprechen überhaupt nicht über Ausgabenüberprüfung, überhaupt nicht über Subventionsabbau. Es ist ganz dringend notwendig, dass wir auch diese Frage gerade jetzt im Aufschwung stellen. In einem Abschwung ist es dann wieder zu spät. Jetzt ist eigentlich die Zeit, Ausgaben zu überprüfen und in erster Linie Geld umzuschichten. Das ist aus meiner Sicht wichtiger, als jetzt zusätzliches Geld in die Hand zu nehmen. Die Steuereinnahmen steigen ja massiv seit vielen Jahren. Der Staat braucht nicht mehr Geld, er hat genug. Wir müssen eher kritisch sein, in welchen Bereichen wird Geld ausgegeben. Das dürfen wir nicht vergessen.
Barenberg: Haben Sie da einige Beispiele im Kopf? Wo würden Sie als erstes ansetzen, wenn es darum geht, Ausgaben zu überprüfen?
Fuest: Zu allererst müssen wir uns mal fragen etwa im Bereich der Transfers, die eingeführt worden sind. Klassisches Beispiel ist die Rente mit 63. Da werden Milliarden ausgegeben. Erreichen wir eigentlich die Richtigen? - Dann gibt es eine ganze Reihe von Subventionen, bei denen man sich fragen muss, ist das eigentlich sinnvoll. Das beginnt mit der Förderung von Agrar-Diesel und geht weiter mit der Förderung des Bausparens. In dieser Zeit - ist das eigentlich noch zeitgemäß, dass wir da Subventionen zahlen in diesem Bereich? Es gibt jede Menge Ausgaben, bei denen man kritisch hinschauen kann und sollte.
"Eine Umverteilungskoalition wäre schlecht"
Barenberg: Und wenn es jetzt die Aussicht gibt auf eine Neuauflage einer dann nicht mehr ganz so großen Koalition, dann klingt das bei Ihnen ein bisschen, als sei das für Sie eher eine abschreckende Vorstellung, wenn wir im Hinterkopf haben, dass die SPD ja die Rente mit 63 durchgesetzt hat, dass die CSU gerne einen Nachschlag bei der Mütterrente hätte, dass die SPD wiederum den Mindestlohn gerne erhöhen will. Da liegen ja einige Ausgaben jedenfalls in den Parteiprogrammen, in den Regierungsprogrammen auf dem Tisch.
Fuest: Man sollte jetzt eine Große Koalition nicht in Bausch und Bogen verdammen, bevor sie überhaupt gebildet worden ist und gesagt hat, was sie denn tun will. Aber es ist klar: Es wäre sehr, sehr schlecht, wenn die Große Koalition vor allem eine Umverteilungskoalition wäre, etwa die Rentenleistungen auszuweiten, Dinge, die viele, viele Milliarden an Steuergeldern kosten und dieses Land nicht wirklich weiterbringen. Das darf nicht im Mittelpunkt der Politik stehen. Natürlich muss die Politik auch dafür sorgen, dass die Rentner vernünftig versorgt sind, aber die Herausforderungen sind doch eigentlich bekannt. Es geht darum, dafür zu sorgen, dass Kinder aus benachteiligten Familien bei uns besser durchs Schulsystem kommen, wie Sie gesagt haben, nicht flächendeckend, aber gezielt in die Infrastruktur zu investieren, dort wo Engpässe sind. Das sind Dinge, die eigentlich auch in der Union und in der SPD bekannt sind, und man muss hoffen, dass die Große Koalition sich eher auf diese produktiven Ausgaben konzentriert und das Umverteilen mal hinten anstellt. Wenn das funktioniert, dann kann auch eine Große Koalition erfolgreich sein. Aber wenn sie sich auf so ein Umverteilen spezialisiert, dann wäre das sehr bedauerlich.
Barenberg: Wenn das gelänge, Herr Fuest, wie gut wären dann die Aussichten, dass es mit der Konjunktur, mit der Wirtschaftsleistung in unserem Land weiterhin so gut laufen wird?
Fuest: Wenn die Weichen richtiggestellt werden, dann kann sich dieser Aufschwung durchaus noch verlängern. Man muss natürlich sehen, dass die Konjunkturentwicklung auch sehr stark von Dingen abhängig ist, die außerhalb Deutschlands liegen. Wir sind ja nach wie vor sehr exportabhängig. Wie ist die Wirtschaftsentwicklung im Rest Europas, in Ostasien? China ist für uns ein sehr wichtiger Markt. Wenn da die Konjunktur abkühlt, dann kann auch eine deutsche Regierung daran nichts ändern. Aber die deutsche Politik muss sich darauf vorbereiten, dass es nicht immer so hervorragend weiterläuft, dass man einen Abschwung auch auffangen kann. Jetzt in guten Zeiten muss man vorsorgen für schlechte. Das muss die Politik wissen. Jetzt ist nicht der Zeitpunkt, den Weihnachtsmann zu spielen und jedem Geld zu verteilen, der gerne welches hätte.
"Mittelstandsbauch abschaffen"
Barenberg: Würden Sie denn empfehlen, beispielsweise bei dem Abbau der Reduzierung oder gar der Streichung des Solidaritätszuschlags zu bleiben und bei dem Vorhaben, doch in irgendeiner Form durch eine Steuerreform bei der Einkommenssteuer zu entlasten?
Fuest: Das ist natürlich eine politische Entscheidung. Viele öffentliche Leistungen bedeuten hohe Steuern und etwas weniger bedeuten weniger. Ich halte es für sinnvoll, die Linie zu verfolgen, wir wollen eigentlich keine dauerhafte Expansion der Steuerquote, des Anteils des Staates an der gesamten Wirtschaftsleistung. Wenn wir das nicht wollen, dann müssen wir Steuern senken, denn die Steuerquote steigt seit vielen Jahren. Mein Vorschlag wäre, dass wir vielleicht beim Solidaritätszuschlag runtergehen, aber auch den Mittelstandsbauch abschaffen in der Einkommenssteuer. Das würde in den unteren Einkommensbereichen für Entlastung sorgen, und da ist die Belastung sehr hoch durch die Kombination aus Einkommenssteuer, Sozialversicherungsbeiträgen und auslaufenden Transfers. Da würden wir auch bei der Verbesserung von Arbeitsanreizen durch die Steuerentlastung mehr erreichen als in den oberen Einkommensbereichen. Deshalb würde ich denken, da könnte die Politik einen Schwerpunkt setzen, Steuern senken vor allem bei niedrigen und mittleren Einkommen.
Barenberg: Trauen Sie den drei Parteien, die dann beteiligt werden und jetzt Gespräche aufnehmen werden, trauen Sie denen das zu?
Fuest: Noch mal: Ich glaube, es ist nicht gut, schon bevor diese Koalition überhaupt gebildet worden ist, zu schimpfen und zu sagen, die können es nicht. Man sollte ihnen wirklich die Chance geben, das Richtige zu tun. Da sind ja auch viele Leute dabei, die wissen, was erforderlich ist. Natürlich sollte man auch sagen, das ist nicht die einzige Option. Auch eine Minderheitsregierung kann gut funktionieren. Aber ich halte eigentlich wenig davon, schon jetzt zu klagen, dass die Große Koalition es nicht bringt. Das ist ein bisschen früh.
Barenberg: Clemens Fuest, der Präsident des Münchener ifo-Instituts, hier live im Deutschlandfunk. Vielen Dank für das Gespräch!
Fuest: Herzlichen Dank.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.