Ann-Kathrin Büüsker: Über die Anhörung der Kommissionskandidatinnen und Kandidaten habe ich vor dieser Sendung mit Joachim Fritz-Vannahme gesprochen, Direktor des Programms "Europas Zukunft" bei der Bertelsmann-Stiftung. Und ich wollte von ihm wissen, ob wir gerade das neue Selbstbewusstsein des Europäischen Parlamentes erleben.
Joachim Fritz-Vannahme: Neu ist das mit dem gewachsenen Selbstbewusstsein mittlerweile nicht mehr. Wir haben das bei den letzten Nominierungen der Kommissare vor fünf Jahren, vor zehn Jahren auch schon erlebt.
Im Grunde genommen war die Urszene das Erweckungserlebnis in Zeiten eines italienischen Premierministers Berlusconi sein Versuch, einen sehr kultivierten Universitätsprofessor, Rocco Buttiglione, als Kommissar für Kultur zu nominieren, der dann dummerweise mitten in der Anhörung auf einmal zu erkennen gab, dass er von Homosexuellen gar nichts und von Frauenrechten auch nicht besonders viel hielt. Das war der erste spektakuläre Fall, das datiert nun schon etliche Jahre zurück.
Wir haben jedes Mal immer wieder Kandidaten gehabt, die in den Anhörungen oder kurz vor den Anhörungen gescheitert sind, die Hürde gerissen haben, weil sie aus irgendeinem Grund - das kann in ihrer Vita gelegen haben, es kann aber sehr häufig auch in ihrer fachlichen Eignung gelegen haben - die Parlamentarier nicht überzeugt haben. Dieses Parlament ist, was das angeht, sehr selbstbewusst, hat sich diese Rechte ja auch erkämpfen müssen - sie waren ja nicht irgendwo von vornherein gegeben - und wendet sie fast schon in einem amerikanischen Hearing-Stil mittlerweile mit großem Erfolg an. Ich bin da manchmal sogar schon fast ein bisschen bewegt zu sagen, seid mal vorsichtig, bleibt wirklich bei dem, was euch da vorgegeben ist. Ihr sollt eigentlich nicht beurteilen, ob euch die Nase passt oder das politische Denken passt, sondern ihr sollt beurteilen, haben diese Kandidaten eventuell einen Loyalitätskonflikt zu erwarten, weil sie vorher beruflich anders gebunden waren, oder sind sie fachlich nicht geeignet. Das sind im Grunde genommen die Fragen, die die Parlamentarier im Hearing beantworten müssen.
"Man muss auch die nötige Integrität mitbringen"
Büüsker: Aber genau das sind ja die Fragen, die jetzt auch in den zwei konkreten Fällen von den Parlamentariern negativ beschieden wurden, wo tatsächlich konkrete Interessenskonflikte befürchtet wurden. Ist das aus Ihrer Sicht in den beiden Fällen kein plausibles Argument?
Fritz-Vannahme: Doch, doch! Ich finde, in beiden Fällen ist das sauber argumentiert. Wir werden ja noch mehr Anhörungen erleben. Wir haben heute den ersten Tag hinter uns gebracht. Von den 26 stehen ja schon noch ein paar mit Fragezeichen zu Buche. Es sind ja nicht nur die Rumänin und der Ungar gewesen, die bei den Buchmachern im Vorfeld schon, sprich bei den journalistischen Kollegen, aber auch bei den sonstigen professionellen Beobachtern des EU-Geschehens mit großen Fragezeichen, um nicht zu sagen mit großer Skepsis bewertet worden sind.
Ich will jetzt einen Fall zitieren, der mit Sicherheit fast sogar der spektakulärste werden könnte: Die Französin Sylvie Goulard, eine Vertraute des französischen Präsidenten, ist eine untadelige Europäerin, hoch geeignet für das Ressort, was ihr eigentlich zugedacht ist. Aber sie hat in ihrer Vorgeschichte als Parlamentarierin ein paar Verträge eingegangen, die sie zwar ausgewiesen hat, wo sich dann aber jeder fragt, braucht eine Europaparlamentarierin eigentlich noch einen Vertrag mit einem Think Tank über 10.000 Euro pro Monat. Das wird mit Sicherheit in der Befragung ein ganz großes Thema werden und das hat natürlich was mit der moralischen und professionellen Integrität zu tun. Das hat mit der Qualifikation überhaupt nichts zu tun. Ich glaube nicht, dass die Qualifikation von Frau Goulard von irgendeinem der Befrager in Zweifel gezogen wird, aber das ist nun mal heute Politik. Es reicht nicht nur, dass man die nötige Qualifikation mitbringt, sondern man muss auch die nötige Integrität mitbringen.
Büüsker: Und genau da stellen sich ja auch viele Bürgerinnen und Bürger die Frage, warum die einzelnen EU-Staaten Kandidatinnen und Kandidaten aufstellen, die nicht über jeden Zweifel erhaben sind. Das könnte man ja alles viel leichter haben, wenn man Leute nimmt, bei denen man weiß, okay, die haben auf jeden Fall eine weiße Weste.
Fritz-Vannahme: Wenn man von der Milch der frommen Denkungsart genossen hat, dann würde man wahrscheinlich genauso vorgehen wollen. Aber ich nehme jetzt mal zwei Beispiele von osteuropäischen, mitteleuropäischen Regierungen. Herr Orbán ist als ungarischer Ministerpräsident seit Jahren über Kreuz mit der Europäischen Kommission, weil ihm Kritik von dort entgegenschlägt für die Politik, die er zuhause betreibt.
Die Partei, die in Polen mit absoluter Mehrheit regiert, die PiS, und von Herrn Kaczynski immer noch gesteuert und beeinflusst wird, ist in einem Verfahren drin, wo die Europäische Kommission nachprüfen soll, ob die rechtsstaatlichen Standards noch halten. Wenn ich in der Situation des polnischen Ministerpräsidenten und des ungarischen Ministerpräsidenten wäre, dann würde ich doch nicht gegenüber Brüssel besonders freundlich auftreten, sondern ich würde versuchen, da so eine Art Trojanisches Pferd reinzubewegen, das dann hinterher meine eigenen Interessen dort umso härter, umso konsequenter, womöglich mit Vetosituation zu vertreten weiß und nicht einfach einen Herrn Saubermann oder eine Frau besonders nett nach Brüssel schicken.
"Juncker ist ein Stück weit machtbewusster vorgegangen"
Büüsker: Wobei Ursula von der Leyen, Kommissionspräsidentin, dann ja hätte sagen können, Moment mal, dieser Kandidat, diese Kandidatin, das geht so aber nicht. Hat sie aber in den Fällen nicht gemacht.
Fritz-Vannahme: Ja, wobei man da jetzt - Ich bin da ein bisschen zögerlicher geworden, je länger ich da zugeschaut habe. Juncker hat das genau vor fünf Jahren so gemacht. Er hat im Vorfeld Kandidaten an die Regierungen zurückverwiesen und hat gesagt, der kommt mir nicht in die Kommission rein. Frau von der Leyen ist nicht diesen Weg gegangen.
Heißt das aber, dass sie nachlässiger, weicher ist, oder heißt das nicht, dass sie vielleicht genau die Kleiderordnung, die da heißt, in letzter Instanz entscheide nicht allein ich, sondern das Europäische Parlament, respektiert hat?
Im Grunde den Ball den Parlamentariern, die ja genau stolz darauf sind und genau darauf erpicht sind, dieses Verfahren zu steuern, zurückgespielt hat und gesagt hat, dann macht ihr erst mal, dann kann ich immer noch, wenn ihr hinterher Bedenken habt, mit guten Argumenten in dem Fall in Warschau und in Bukarest vorstellig werden und sagen, ihr müsst da was tun, diese Kandidaten kommen hier nicht durch.
Büüsker: Das heißt, wenn ich das mal zusammenfassen darf, das Verfahren der Kommissionsbildung wäre, wenn Ihre Deutung stimmt, damit im Prinzip demokratischer geworden?
Fritz-Vannahme: Ja, ich glaube schon. Das wäre eher noch ein Schritt voran. Es ist vielleicht Juncker mit seiner ganzen Erfahrung, was europäische Politik angeht – das sind ja Jahrzehnte, die da kumuliert und geballt in dieser Person auftraten -, der ist vielleicht auch ein Stück weit maskuliner vorgegangen, ein Stück weit machtbewusster vorgegangen, während von der Leyen eher gesagt hat, na ja, ich muss das ja gar nicht.
Die erste Hürde, die jeder Kandidat nehmen muss, sind die Ausschüsse im Europäischen Parlament. Ich lasse diesen Ausschüssen das Recht und kann dann hinterher unter Berufung auf die Entscheidung in den Hauptstädten eigentlich viel, viel leichter und schneller nachverhandeln. Hat ja in diesen zwei Fällen auch so geklappt.
Ich habe einen Fall genannt, wo es unendlich viel schwieriger werden würde, sollte tatsächlich das Parlaments-Hearing dazu führen, dass man zum Beispiel eine Sylvie Goulard ablehnt. Denn dann wird sich Frau von der Leyen ausgerechnet mit dem Mann anlegen müssen, der ja im Grunde genommen alles dafür getan hat, dass sie Kommissionspräsidentin geworden ist, nämlich dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron.
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