Sarah Zerback: Es ist eine Zäsur in der deutschen Parteienlandschaft. Zum ersten Mal eine rot-grün-rote Regierung in einem westdeutschen Bundesland. Die geht heute in Bremen nun auch offiziell an den Start, knapp drei Monate nach der Wahl. Zumindest müsste es da schon mit dem Teufel zugehen, wenn das Bündnis in diesen Minuten nicht ins Amt gewählt würde in der Bremer Bürgerschaft, mit dem Sozialdemokraten Andreas Bovenschulte an der Spitze. Dabei hat es nach der Wahl zunächst mal nach einer ganz anderen Regierung ausgesehen.
Aber taugt das, was wir gerade in Bremen sehen, auch als Blaupause für den Bund, oder hinkt dieser Vergleich? In die Analyse gehen können wir jetzt mit Wolfgang Schröder. Er ist Politikwissenschaftler an der Uni Kassel und arbeitet am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. Guten Tag, Herr Schröder!
Wolfgang Schröder: Schönen guten Tag, Frau Zerback.
Zerback: Die SPD hat bei der Wahl in Bremen das schlechteste Ergebnis seit Kriegsende eingefahren und steht jetzt trotzdem an der Spitze dieser neuen Koalition. Kann sich die SPD da auch im Bund Hoffnungen machen?
Schröder: Na ja, sie kann zumindest den Impuls aufnehmen und die Gespräche mit der Linkspartei über eine gemeinsame Perspektive ernsthaft längerfristig und strategisch anlegen, was ja in der Vergangenheit nicht der Fall war. Dafür gab es gute Gründe, weil Bremen ist nicht der Bund und umgekehrt auch nicht. Die Hindernisse, die bislang einer engeren Kooperation entgegenstanden, waren ja mehr außenpolitischer Art, rüstungspolitischer Art, und das müsste man mal stärker zur Debatte stellen.
GroKo sei für den Wähler problematisch
Zerback: Diese guten Gründe, warum gelten die nicht mehr? Gerade diese sicherheits- und außenpolitischen Querelen, diese Unterschiede zwischen SPD und Linken in Richtung NATO etc., die gibt es ja immer noch.
Schröder: Die gibt es immer noch. Wir müssen aber vielleicht eine andere Perspektive finden, weil das deutsche Parteiensystem ist ja im Zustand einer immerwährenden großen Koalition und das ist nicht nur für diese beiden Parteien problematisch im Hinblick auf ihre eigene Profilbildung, sondern das ist vor allen Dingen für den Wähler problematisch, weil der Wähler dann ja kaum noch eine Alternative hat. Und wenn man sich jetzt mal die Zahlen anschaut, dann kann man durchaus sagen, Rot (SPD) und Grün zusammen hätten schon eine Mehrheitsperspektive. Und wenn das so ist, dann kann man ja nicht so einfach weiter fortfahren wie in den letzten 30 Jahren, dass man sagt, na ja, gut, so ist das eben, sondern man muss eine dynamische Perspektive finden, die für dieses Land gut ist. Das heißt natürlich, dass sich die beteiligten Akteure dann auch anders orientieren müssen. Man kann in der Außenpolitik auf Seiten der Linken nicht so weiter verfahren, wie das in der Vergangenheit war, und man kann auf Seiten der SPD auch nicht so weiter verfahren, dass man sagt, das sind jetzt die SED-Nachfolger und mit denen wollen wir nichts zu tun haben, sondern muss über Brückenbildungen nachdenken. Da spielen die Grünen eine ganz entscheidende Rolle, weil der entscheidende Punkt für eine neue strategische Mehrheit sind ja weniger die Linken als die Grünen, und von denen wird es abhängen, ob so ein Bündnis mit den Linken denkbar ist.
"Wieder stärker den Wettbewerb in der Mitte entfalten"
Zerback: Die halten sich aber im Moment noch bedeckt. Robert Habeck und Annalena Baerbock, die haben sich jetzt zu diesem Gedankenspiel noch nicht geäußert. Wie schätzen Sie das ein?
Schröder: Die haben ja auch Interesse an einer Machtperspektive, die auch inhaltlich fundiert ist, die zur inhaltlichen Übersetzung einer klimapolitischen, sozialen Alternative zum Status quo entwickelt werden kann. Dafür ist es natürlich auch für eine grüne Partei interessant, wenn man Alternativen hat, weil wenn man jetzt einfach nur auf Schwarz-Grün setzt, dann sind die Handlungsspielräume begrenzt. Wenn man aber die anderen Möglichkeiten auch mit ins Kalkül zieht, gibt es neue, weitergehendere Möglichkeiten, die sich insgesamt auch im Hinblick auf die Revitalisierung des deutschen Parteiensystems positiv auswirken könnten, weil gegenwärtig haben wir ja ein Parteiensystem, was sehr stark über die Polarisierung von AfD und Grünen geprägt wird. Wenn man aber wieder stärker in der Mitte den Wettbewerb entfalten könnte, und das heißt zwischen Grünen, CDU und SPD, dann wäre das für den Wähler und für die Problemlösungsfähigkeit dieses Landes sehr positiv, meine ich.
"GroKo hat wirklich sehr gut Resultate"
Zerback: Sie sagen jetzt, Alternativen. Wenn wir mal darauf schauen, was die SPD gerade an Gedanken öffentlich ventiliert. Da fällt schon auf, dass das genau von den Protagonisten kommt, die auch in der Vergangenheit gegen die Groko waren und alles daran gesetzt haben, da jetzt so schnell wie möglich rauszugehen. Ist das die einzige Alternative, die da im Blick ist, die auch realistisch ist?
Schröder: Ich glaube, man muss das längerfristiger anlegen. Es kann nicht sein, dass die Frage nach der zukünftigen Führung der SPD eine ist, die reduziert wird auf die Frage, wie hältst Du es jetzt mit der Groko, weil Groko hat ein schlechtes Image in der Gesellschaft, hat wirklich sehr gute Resultate, wenn man sich anschaut, was im Koalitionsvertrag stand und was umgesetzt worden ist. Insofern meine ich, dass die Anlage der strategischen Orientierung so sein müsste, dass eine Sozialdemokratie, die so gute Ergebnisse in der Koalition hat, daran interessiert sein sollte, diese Koalition zu Ende zu bringen und parallel dazu Alternativen aufzubauen gegenüber der Groko.
Zerback: Was glauben Sie denn, wer setzt sich da durch in der SPD, Linke wie Karl Lauterbach, den wir heute Morgen auch in unserem Programm gehört haben, der sich ja ganz klar für ein Bündnis mit den Linken ausspricht, oder Konservative wie die Mitglieder des Seeheimer Kreises? Wer sitzt da gerade am längeren Hebel?
Schröder: Erstens mal: Diese Auswahl läuft ja noch zwei Wochen. Zweitens ist es so, dass die Gegenüberstellung, wie gerade von Ihnen gewählt, rechts-links, da, glaube ich, gar nicht weiterführend ist, sondern man braucht jetzt in der Tat Leute, die auch das Erreichte gebührend würdigen können und auch vermitteln können, und die müssen ihren Hut in den Ring werfen. Wir haben ja bisher aus der ersten Reihe leider niemanden, der sich da zur Wahl stellt, aber das wird vermutlich in den nächsten beiden Wochen anders sein. Dann hat man eine wirkliche Wahl. Dann kann man sagen, okay, die einen wollen direkt raus, die anderen haben eine etwas längerfristigere Perspektive, und das würde einem Wettbewerb gut anstehen und dann weiß man auch eher, in welche Richtung das Ganze gehen kann.
Zerback: Sie rechnen schon noch damit, dass auch Schwergewichte aus den Reihen der Minister oder Ministerpräsidenten da den Finger heben?
"Offenheit gegenüber einer links-SPD-grünen Regierung"
Schröder: Ja, auf jeden Fall.
Zerback: Wen haben Sie da im Blick? Stephan Weil vielleicht schon mal ganz konkret?
Schröder: Die Riege aus Niedersachsen auf jeden Fall, weil die haben unter Beweis gestellt, dass sie auch unter schwierigen Bedingungen regieren können. Wenn aus diesem Kreis auch eine Offenheit gegenüber einer links-SPD-grünen Regierung zustande käme, mittelfristig, nicht kurzfristig, dann wäre hier ja eine Bewegungsorientierung, die wir bisher nicht hatten, und die würde zur Stabilisierung des deutschen Parteiensystems, glaube ich, eher förderlich sein.
Zerback: Ist es schon ausgemacht, dass es ein Duo wird, oder sind da auch noch Einzelkandidaten möglich?
Schröder: Es ist durchaus möglich. Das ganze Verfahren ist ja so, dass es ein Duo sein kann, dass es aber kein Duo sein muss. Das Problem in der Sozialdemokratie in den letzten Jahren war ja, dass es nicht einfach nur die Frage ist, wer die Partei führt, sondern ob die Partei bereit ist, Führung zu akzeptieren, und es müsste eigentlich jetzt doch sich stärker durchgefressen haben, dass diese Partei Führung akzeptieren muss, weil weder der Bürger, noch das politische System verträgt es, wenn permanent in Frage gestellt wird, was eigentlich der Kurs einer Partei ist.
Zerback: Das Problem der SPD war, immer weniger über Inhalte wahrgenommen zu werden. Ist es da klug, so lange zu warten, wirklich ein halbes Jahr einen Prozess daraus zu machen, bis das Spitzenduo oder der Einzelkandidat steht?
Schröder: Besser wäre es gewesen, man hätte da in einem überschaubaren Zeitraum diese Wahl realisieren können. Aber da es viele Unsicherheiten gegeben hat und die letzte Vorsitzende von heute auf morgen das Amt beendet hat, brauchte man wohl etwas mehr Zeit. Und dann kommt ja auch noch die Sommerpause, in der wir uns jetzt befinden. Aber ich bin da zuversichtlich: In zwei Wochen wissen wir mehr.
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