Der Dom leuchtet. In 72 Farben von Königsblau über Orange bis hin zu Veilchenlila erstrahlt das Fenster im Südquerhaus. Es besteht aus fast 11.500 kleinen Farbquadraten, die je nach Sonneneinfall kleine Lichtpunkte durch die Kathedrale tanzen lassen.
"Glasmalerei muss man an Ort und Stelle überprüfen. Die Farben verändern sich unter Licht. Deswegen haben wir für dieses Fenster 17 Entwürfe gemacht, bis wir den hatten."
Sagt die ehemalige Dombaumeisterin Barbara Schock-Werner. Sie war es, die den in Köln lebenden Künstler Gerhard Richter um einen Entwurf bat. Ihr Wunsch: Der Künstler sollte sich Gedanken machen, wie das ursprüngliche Fenster, das im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde, ersetzt werden könnte.
"Ich fand keinen Glasmaler, der dieses Programm auf hohem Niveau bilden konnte. Glasmalerei der letzten 30 Jahren ist nicht figürlich. Der Dom fordert ein Niveau ein, das geht nicht. Erst einmal stand ich hilflos da..."
"Passt besser in eine Moschee als in den Dom"
Eigentlich ist Gerhard Richters abstrakter Farbflächen-Entwurf ganz anders, als ihn sich die katholische Kirche ursprünglich gewünscht hatte. Die will als Motiv zunächst lieber sechs Märtyrer aus dem 20. Jahrhundert - etwa Edith Stein oder Maximilian Kolbe. Das neue Fenster soll sich gut in die Zyklen der übrigen mittelalterlichen Fenster einfügen.
Doch genau diese Anforderung erfüllt Gerhard Richter nicht. Entsprechend schnell und heftig fallen die Reaktionen auf seinen Entwurf aus. Kritiker wie der Kölner Erzbischof, Kardinal Joachim Meisner, halten das Fenster für unpassend. Sein Kommentar: Es passe besser in eine Moschee als in den Dom. Der Künstler selbst ist sich von Anfang an der Schwierigkeiten bewusst. Die Entscheidung gegen eine figürliche Darstellung fällt ihm nicht leicht.
"Ich war begeistert über die Anfrage und erschrocken, weil ich ahnte, dass ich überfordert bin und war kurz davor, es abzusagen."
Erst als Richter durch Zufall eine Fotografie von einem seiner Gemälde aus dem Jahr 1974 mit dem Titel "4096 Farben" wieder in die Hände fällt, kommt ihm die zündende Idee. Er legt eine Schablone des gotischen Maßwerkfensters auf das Foto. Und ist begeistert. Auf die Frage, ob das abstrakte Raster-Bild für ihn auch eine religiöse Seite habe, antwortet der Künstler – der sich selbst als Atheist bezeichnet - bei der Vorstellung des Entwurfs wortkarg:
"Kunst hat immer was damit zu tun."
Kirche und Kunst – das war jahrhundertelang eine feste Größe, ein Paar, das eng zusammengehörte. Der Künstler verstand sich bis ins 15. Jahrhundert als Handwerker, der überwiegend für religiöse Auftraggeber arbeitete.
Die Kirchenfenster symbolisieren den Übergang von materieller zu immaterieller Welt. Ihr Leuchten gilt auch als Emanation des göttlichen Lichts selbst.
"Wände, die gleichzeitig Lichtquellen sind"
Georg Meistermann – einer der Künstler, die deutschlandweit die meisten Kirchenfenster gestalteten, hielt 1959 anlässlich der Fertigstellung der von ihm entworfenen Fenster in der evangelischen Christuskirche in Nürnberg-Steinfühl eine Rede. Darin beschrieb er eindringlich die besondere Rolle des Lichts in Gotteshäusern:
"Das Licht, das in solch einem Hause wirksam ist, ist ein verwandeltes Licht, es ist nicht das Licht, das uns in der Natur überall umgibt. Nicht die Sonne, die uns an sich schon am Tag erfreut und erst recht an einem Festtag wie diesem erfreut, ist es, die uns dort scheint, wo wir beten. In den Fenstern dieser Wände und in den Wänden, die gleichzeitig Lichtquellen sind, offenbart sich etwas anderes, nämlich, dass das Licht, das Christus ist, die Wände zu durchdringen vermag."
Schon im 6. Jahrhundert gibt es leuchtende Glasfenster in Kirchen. Und im späten 9. Jahrhundert ist erstmals von "in den Fenstern gemalten Bildern" die Rede. Doch die Blütezeit dieser Kunst endet nach dem Mittelalter. Im Barock fällt die Gestaltung von Glasfenstern in eine Art Dornröschenschlaf. Mit kurzer Unterbrechung in der Romantik dauert er an - bis ins 20. Jahrhundert.
Nach dem Zweiten Weltkrieg liegen viele Städte, und damit auch Kirchen in Trümmern. Die meisten Fenster sind nicht zu retten. Scherben allüberall. Beim Wieder- oder beim Neuaufbau kommen oft Künstler zum Zuge, wenn es darum geht, die Fenster neu zu gestalten.
Einer von ihnen ist der 1911 in Solingen geborene Maler Georg Meistermann. Meistermanns Werke werden in Nazi-Deutschland als entartet diffamiert. Wie vielen seiner Kollegen scheint ihm nach dem Nationalsozialismus eine realistische Bildsprache nicht mehr möglich.
"Abglanz der Herrlichkeit Gottes anschaubar machen"
Er bekommt öffentliche Aufträge und gestaltet in ganz Deutschland Kirchenfenster. Seine Motive bei der Arbeit beschreibt er so:
"Der Mensch ist angelegt auf das Heil. Christus starb nicht als Sozialarbeiter. Er starb nicht für die Wohlfahrt. Er starb für die Erlösung der Menschen. Er starb für ihr Heil."
Barbara Schock-Werner ist begeistert davon, wie es Meistermann gelingt, das einzufangen, was sie die metaphysische Kraft des Lichts nennt. In seinen Fenstern tauchen zwar Engel auf, auch Propheten oder Szenen aus dem Leben Jesu. Doch statt das, was er als das Unaussprechliche, die Kraft Gottes, ansieht, in eine Form zu zwingen, und dabei plakativ zu werden, arbeitet Meistermann mit Symbolen, Zeichen, Farbfeldern.
Die ehemalige Dombaumeisterin Barbara Schock-Werner führt regelmäßig Studentengruppen zu den Kirchenfenstern von Georg Meistermann:
"Weil: Das ist etwas, was die Fenster auszeichnet, die Rhythmisierung der Fensterfläche, dass man die Emotion und das Religiöse durch Struktur und nicht nur durchs Bild herausarbeiten kann."
"Etwas Mystisches, das durch das Fenster dringt"
Was Meistermann für Deutschland ist, ist Marc Chagall für Frankreich. Auch er ein Quereinsteiger in das Feld der Glasmalerei, auch er der Religion tief verbunden:
"Für mich stellt ein Kirchenfenster die durchsichtige Trennwand zwischen meinem Herzen und dem Herz der Welt dar."
Der französische Maler russisch-jüdischer Herkunft lernt 1958 den Glaskunstmeister Charles Marq und dessen Frau Brigitte Simon kennen. Das erste Ergebnis dieser langjährigen Zusammenarbeit sind die Fenster für die Kathedrale Saint-Etienne in Metz mit biblischen Themen. Die Kathedrale gilt als eine der größten und schönsten gotischen Kirchen Frankreichs. Chagall gestaltet im Laufe seines langen Lebens zahlreiche weitere Kirchenfenster. Aber die Ehrfurcht angesichts der Aufgabe – sie bleibt.
"Die Glasmalerei scheint so einfach: die Materie, das Licht. In einer Kathedrale oder in einer Synagoge wirkt sie auf gleiche Weise: etwas Mystisches, das durch das Fenster dringt. Dennoch hatte ich große Angst, wie bei meinem ersten Rendezvous. Die Materie ist natürlich und alles Natürliche ist religiös. Wenn das, was ich hinzugebe, neben der Materie besteht, habe ich gewonnen, denn dahinter ist Gott."
Die Fenster für Metz, mit denen Chagall 1960 beginnt, zeigen Motive aus dem Alten Testament. Dass er als Jude mit der Darstellung biblischer Themen in einer im 13. Jahrhundert errichteten Kathedrale bedacht wird, kommentiert er so:
"Ich bin einfach ein Mensch, ein Maler, ein Künstler für alle: ein Künstler für den Frieden und für alle Religionen und für die Freiheit aller Menschen."
Viele zeitgenössische Künstler beziehen sich in ihren Entwürfen für eigene Kirchenfenster auf Georg Meistermann und auf Marc Chagall.
"Weit weg vom irrationalen Hype auf dem Kunstmarkt"
Die meisten zeitgenössischen Glasfenster illustrieren keine Bibelgeschichten, sondern haben eine ganz eigene Bildsprache. Sie tragen die persönliche Handschrift ihrer Urheber und sind schlicht "Künstlerfenster".
"Ich glaube, das ist genau der Grund für etliche zeitgenössische Künstler etwas zu machen, was nicht per se auf den Markt abzielt. Wenn wir gucken, wie Kunst heute rezipiert wird, dann lesen wir als erstes die Preise, wir lesen bei welchen Galerien, auf welchen Biennalen die Künstler ausgestellt werden, und bei einem Auftraggeber wie der Kirche, der ja fast der einzige Auftraggeber ist, der noch Kunst als Gebrauchsobjekt benötigt, hat man die Möglichkeit sich dem zu entziehen."
Sagt der Leipziger Künstler Michael Triegel. Er entwirft 2015 zum ersten Mal Fenster für die katholische Kirche in Köthen, einem kleinen Ort in Sachsen-Anhalt. Weit weg vom irrationalen Hype auf dem Kunstmarkt! Sich der Preistreiberei entziehen, zumindest eine Zeitlang! Das wollen viele zeitgenössische Künstler, die Kirchenfenster gestalten. Auch Michael Triegel in der Köthener Hofkirche.
"Die ist von einem Architekten in ganz strengem Stil des Klassizismus erbaut worden. Also dorische Säulen, alles ist in Weiß. Aber die Fenster sind auch sehr hoch, so dass man selbst an einem trüben Tag das Gefühl haben kann, man blicke in den Himmel. Es leuchtet also ungeheuer. Es ist natürlich auch der Reiz, mit Glas umzugehen. Man malt eben nicht das Licht und suggeriert Licht, sondern das Licht ist per se vorhanden."
Michael Triegel schätzt kirchliche Auftraggeber. Bekannt geworden ist er vor allem mit seinem Porträt von Papst Benedikt XVI. Trotz dieses Auftrags war er in Köthen – wie er selbst erzählt – zunächst nur zweite Wahl. Die Verantwortlichen wollten ursprünglich seinen Leipziger Kollegen und Freund, Neo Rauch. Als Rauch absagt, weil er mit dem gewünschten Marienthema nichts anfangen kann, empfiehlt er Michael Triegel. Auch der hat zunächst Bedenken.
Doch den strengen, klassizistischen Kirchenraum zu gestalten, die Möglichkeit, Entwürfe für drei große Fenster zu entwickeln – all das bringt den Leipziger Künstler dazu, weiter nachzudenken.
Die Kirchenfenster in Köthen erzählen auch die Geschichte von Adam und Eva und erinnern bewusst an "Die Erschaffung Adams", Michelangelos Fresko in der Sixtinischen Kapelle in Rom. Angelehnt an das berühmte Deckengemälde sitzt bei Triegel das Jesuskind auf Marias Schoss. Sie stützt einen seiner Arme. Es gehe ihm, sagt Triegel, immer um die Spiegelung des Göttlichen im Menschlichen - und umgekehrt.
Michael Triegel ist einer der wenigen Vertreter der "Arte Sacra"- der Sakralen Kunst. Lange arbeitete er für die Kirche, ohne getauft zu sein. Der in der ehemaligen DDR sozialisierte Maler bezeichnet sich selbst als "Heidenkind". 2014 wurde er katholisch. Seine Taufe fiel mit der Gestaltung der Köthener Fenster zusammen.
"Dass es so eine merkwürdige Koinzidenz gab, Taufe und der Auftrag für die Fenster, war für mich, ich könnte es pathetisch sagen, so was wie eine Gnade, dass ich die Möglichkeit hatte, meinen Glauben selbst im konkreten Kunstwerk zu befragen. Das war auch für mich der Grund, dass ich das zu einem Preis gemacht habe, den ich sonst nicht hätte bieten können. Ich wollte einfach auch ein Geschenk geben."
Kritiker bezeichnen Triegel hin und wieder etwas despektierlich als "Kirchenmaler". Für Irritationen sorgte auch, dass er sich selbst als Jesus und seine Frau als Maria im Köthener Kirchenfenster verewigt hat. Triegel kontert, indem er an Dürer erinnert, bei dem Jesus auch ausgesehen habe, wie der Meister selbst.
Der Wunsch nach Unsterblichkeit
"Für mich war wichtig, ich wollte Figuren malen, von denen man das Gefühl haben könnte, ich kann ihnen auch auf der Straße begegnen. Und wenn ich Maria als den Inbegriff der Liebe zu malen versuche, dann male ich natürlich das, was ich am meisten liebe. Das war für mich der Grund, warum ich meine Frau und unsere Tochter zum Modell genommen habe."
Die Liste jener zeitgenössischen Maler, die Kirchenfenster gestalten, wächst Jahr für Jahr. 2018 kommt ein Fenster des britischen Pop Art Meisters David Hockney hinzu, der ein Fenster für Westminster Abbey entwarf. Der Anlass: der 90. Geburtstag der englischen Königin.
Die wenigsten Künstler handeln aus religiösen Motiven, die wenigsten verlangen aber auch viel Geld für ihre Arbeiten. Warum nehmen sie dennoch die Kirchenaufträge an, statt teure Werke für den Kunstmarkt zu produzieren? Der Grund ist so profan wie erhaben zugleich, glaubt die ehemalige Dombaumeisterin Barbara Schock Werner:
"Das ist der Wunsch nach Unsterblichkeit. Bilder kann man aus Galerien ins Depot hängen, Glasfenster bleiben über Jahrhunderte - und das ist für einen Künstler etwas ganz anderes als ein transportables Bild. Der Wunsch nach unsterblicher Wirkung steckt in jedem Künstler, muss drin sein."
In ganzer Länge wurde dieser Beitrag erstmals ausgestrahlt in der Sendung "Aus Religion und Gesellschaft" am 19.12.2018.