"Ich hab so 93 angefangen", sagt Guido Zimmermann. "Es hat unheimlich Spaß gemacht, mit seinen Jungs dazusitzen, irgendwas zu planen, seine Skizzen zu machen. So ein bisschen wie James Bond geht man raus und ist da so undercover. Es ist ein riesen Abenteuer verbunden mit Kreativität."
Ölfarbe und Spraydose auf Haus- und Leinwänden
Frankfurt vor 27 Jahren. Guido Zimmermann war damals ein Jugendlicher, der den Kick im Sprühen gesucht hat. Heute ist der kräftige Mann Anfang vierzig ein etablierter Künstler. Er kombiniert Ölfarbe mit Spraydose auf Haus- und Leinwänden.
"Diese ganze Hip-Hop-Kultur, die hat mir auch so ein bisschen meinen Weg bereitet. Ich hab schon immer figürlich gemalt und es ging auch immer um urbane Geschichten", die er minutiös plant und entwickelt in einem ehemaligen Getränke- und Aktenlager.
Das Frankfurter Atelierhaus am Osthafen ist eine der größten seiner Art in Deutschland. Zimmermanns Hauptarbeitsraum ist hell und gemütlich. Ein Turntable-Set mit LPs steht hinter einem Schreibtisch mit großem Monitor.
Prügelnde Parlamentarier-Tiere
An den Wänden einige Bilder, auf denen man erkennen kann, was der ehemalige Sprayer mit figürlich meint:
"Und zwar hab ich angefangen, sich prügelnde Politiker im Parlament zu malen. Anhand von Pressefotos. Da ist einfach das Spannende diese Anzugträger, ne, die dann wie Tiere übereinander herfallen und ineinander herfallen und ineinander verknotet sind und ich versuche das immer zu abstrahieren, indem ich die Figuren auflöse in Formen."
Ein Stier prescht aus der Bildmitte hervor, wutverzerrte Gesichter, um sie legt sich ein geschwungener Schleier - vielleicht ein rotes Tuch? Blut? Aggression in Bewegung. Zimmermann abstrahiert durch Dynamik.
Murals = Kunst für alle
Als Ausstellungsort seiner Kunst beschränkt er sich auch heute nicht auf Galerien und klassische Kulturinstitutionen.
Guido Zimmermann: "Letztes Jahr habe ich meine größte Wand gemalt, die hatte 1.200 Quadratmeter – ein echtes Monstrum."
Murals, also Wandmalereien, empfand er in Frankfurt als unterrepräsentiert. Ihm ist es wichtig, dass Kunst zugänglich bleibt. Für alle. Über Generationen hinweg.
"Zwei so uralte Omas, die kein Wort Englisch konnten, sind mir über den Weg gelaufen, als ich eine Wand gemalt habe und haben mir auf dem Tablet ein Bild gezeigt, das zufällig auch ein Bild von mir war. Und da haben die mich mit Händen und Füßen gefragt, wo ist das denn und ich habe ihnen dann auf der Karte einen Punkt markiert, dass sie das auch finden konnten. Und das fand ich super gut, dass selbst so alte Leute ein Feeling dafür haben. Eine Stadt mit viel Kultur, da hat jeder was von."
Vom Schwarzwald in den Plattenbau: Die Coocoo-Blocks
Aber der Frankfurter bringt nicht nur die Kunst auf die Straße, er bringt auch die Straße in seine Kunst. Etwa in einer Skulpturen-Serie.
Eine Reihe von Kuckucksuhren – Ähnlich groß wie das Original aus dem Schwarzwald. Nur kommt das Vögelchen hier nicht aus einem Fachwerkhaus, sondern aus dem Fenster eines Plattenbaus. Eine Symbiose aus alter deutscher Tradition und moderner Lebenswirklichkeit.
Mein Block - Mein Kuckuck
Zimmermann erprobte die Idee erstmals mit einem zweidimensionalen Wandbild an einem Jugendzentrum im Frankfurter Stadtteil Bonames. Ein Häuserblock, wie er eben dort stehen könnte, aus dem ein "Asi-Kuckuck" rausspäht. Die Gewichte - sonst Tannenzapfen - malte er als goldene Handgranaten.
Guido Zimmermann: "Und dann kamen halt die Ghetto-Kids vorbei, haben das gesehen und fanden das total super, weil erstmals ihre Heimat gewertschätzt wurde. Und dann habe ich mir eine alte Kuckucksuhr gekauft und ihre Seele, sag ich mal, das Uhrwerk rausgenommen und ihr eine zeitgemäße Hülle gegeben."
Vom Wandbild zur Skulptur. Und die Idee entwickelt sich weiter, weitet sich aus. Zimmermann geht in Serie mit Unikaten von urbanen Gebäuden mit interessanter Geschichte, in Kleinformat.
Individuelle Lebensgeschichten im Sozialbau
Ein Beispiel: Das Hotel Iveria im georgischen Tiflis – ein ehemaligen sowjetischen Vorzeigehotel, das zur Flüchtlingsunterkunft wurde und heute wieder ein Hochglanzhotel ist. Aus Raummangel hatten die Geflüchteten die Balkone selbst mit Holz verschalt, um sie auch im Winter nutzen zu können. Alle Miniaturzimmer sind einzeln eingerichtet. Manche haben einen Teppich, andere eine individuelle Raumbeleuchtung. In einem anderen Modell hat Zimmermann sogar mikroskopische Miniaturen seiner Bilder gehängt. Eine Reibung/Spannung, mit der er hier spielt, ist die zwischen vereinheitlichtem Sozialbau und den individuellen Lebensgeschichten hinter all seinen Fenstern.
Echtes Leben im Beton
Apropos: Der Kuckuck ist mechanisch. Doch Zimmermann interessiert sich für das Leben: "Ich guck natürlich, was kann ich mit meiner Skulpturserie machen und kam dann auf die Idee, einen Nistkasten für Meisen zu kreieren. Das ist der Sozialmeisenbau. Das ist dann schön so einen Ghetto-Block im Garten hängen zu haben, wo dann wirklich die Meisen drin brüten. Ich recherchiere dann beim Naturschutzbund, was die Meisen benötigen. Und danach bau ich das dann."
Auch dem Insektensterben möchte Zimmermann entgegenwirken, mit einem "Sozialbienenbau".
Guido Zimmermann: "Nachempfunden von einem Wohnhochhaus in Hong Kong. Das King Min Estate. Ganz unterschiedliche Löcher für unterschiedliche Wildinsekten. Das ist natürlich schön zu sehen, wie dann die Bienen da ein und ausfliegen."
Zimmermanns Nistkästen sind eine konsequente Erweiterung des Urban Gardenings mit einem interessanten Twist: Während die Städte immer grüner werden, ziehen die Meisen, Bienen und Kuckucke in Guido Zimmermanns Beton.