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Künstler in Hongkong
"Die Angst darf den Drang nach Freiheit nicht besiegen"

Seit Monaten gehen in Hongkong Woche für Woche zehntausende Menschen auf die Straßen. Viele Künstler wie der Maler und Galerist San Mu sind bei pro-demokratischen Massenprotesten dabei. Der Riss zwischen Hongkong und Festlandchina zeigt sich seiner Meinung nach auch in der Kunstszene.

Von Steffen Wurzel |
Hongkonger Maler und Galerist San Mu vor seinem Bild "Guernica"
Auch der Maler und Galerist San Mu engagiert sich bei den Protesten in Hongkong (Deutschlandradio / Steffen Wurzel)
Viele Kunstwerke gibt es in der Galerie von San Mu nicht mehr zu sehen. Denn der 57-Jährige zieht gerade aus. An der Wand lehnen abgehängte Gemälde und halb verpackte Skulpturen. Auf dem Boden sind Werkzeuge verstreut und überall stehen halb gepackte Kisten herum. Freiwillig räumt San Mu seine Galerie im Hongkonger Stadtteil Kowloon nicht aus.
Der Mietvertrag wurde nicht verlängert. Ihm fehle die entsprechende Lizenz für Gewerbe in den Bereichen Freizeit und Unterhaltung, das hat ihm der städtische Betreiber Ende vergangenen Jahres überraschend mitgeteilt. Doch das hält San Mu für ein vorgeschobenes Argument. Er vermutet, dass ihm aus politischen Gründen gekündigt wurde. Denn die Kunstwerke, die San Mu ausstellt und selber macht, kritisieren sehr häufig Chinas Staats- und Parteiführung oder die von ihr unterstützte Hongkonger Regierung.
"Wir organisieren regelmäßig Kunst-Ausstellungen zu politischen und sozialen Themen. Wir hatten zum Beispiel eine Ausstellung über die vielen festgenommenen Bürgerrechtsanwälte in China. Einige unserer Ausstellungen sind so politisch, dass sie in Festlandchina keine Chance hätten und verboten würden."
Viele Künstler unterstützen die Proteste
Seit Anfang Juni, seit dem ersten Tag der Hongkonger Massenproteste gegen die Regierung unterstützt San Mu die Demonstranten. Er habe in den vergangenen Wochen kaum eine Protestaktion in Hongkong ausgelassen, erzählt er.
"Wir haben eine Menge Banner und Slogans entworfen. Zuletzt hatten wir unser Galerie-Schild abgehängt und stattdessen ein Protest-Banner angebracht."
Viele in der Kultur- und Kunstszene Hongkongs unterstützen dieser Tage die pro-demokratischen Massenproteste: Bildende Künstler, Autoren und Musiker etwa. Trotzdem gebe es den Riss zwischen Hongkong und Festlandchina auch in der Kunstszene. Wenn er, der selbst vom Festland kommt, Künstler von dort in einer Ausstellung präsentiere, interessierten sich die Hongkonger dafür viel weniger als für Künstler, die gebürtig aus der früheren britischen Kolonie kommen, erzählt er. Nicht nur im Bereich der Kunst, aber auch dort gelte: So richtig warm werden Hongkonger mit Festlandchinesen in der Regel nicht.
"Für die meisten Hongkonger sind Festlandchinesen einfach nur Schmuggler oder Shopping-Süchtige. Oder sie betrachten sie pauschal als unzivilisiert: Festlandchinesen wollen sich nicht in Warteschlangen anstellen und sie pissen auf die Straße. Das sind die gängigen Vorurteile. Und ich bin sicher: Die da oben sind ganz froh darüber, dass der untere Teil der Gesellschaft sich über so etwas die Köpfe einschlägt."
"Solche Kunst ist wichtig, weil sie in Festlandchina nicht erlaubt ist"
San Mu zeigt eine Installation, die aus kleinen, grau-schwarzen Figuren besteht, die eine Plastiktüte in der Hand halten. Sie stellen den sogenannten Tank Man dar. Also den Mann, der sich während der Niederschlagung der Demokratiebewegung in Peking am 4. Juni 1989 mit einer Einkaufstüte vor mehrere Panzer stellte. Das entsprechende Foto ist weltberühmt.
"Solche Kunst ist wichtig, weil sie in Festlandchina nicht erlaubt ist. Selbst hier in Hongkong gehören wir zu den wenigen, die sich noch trauen, mit kritischer Kunst zu arbeiten."
Eine neue Bleibe für seine Galerie hat San Mu noch nicht. Denn bisher hat er nichts Bezahlbares gefunden in Hongkong. Doch er will nicht aufgeben.
"Natürlich macht mir das Sorgen. Aber die Angst darf den Drang nach Freiheit nicht besiegen."