Der Sänger Ljavon Volski gehört zu jener kleinen Gruppe von Intellektuellen in Weißrussland, die seit Jahren gegen das Regime von Andrej Lukaschenko Widerstand leistet. Mit Volskis Liedern auf den Lippen prangerten in Minsk Zehntausende Wahlmanipulationen an und forderten Demokratie.
Doch Weißrussland ist nicht Libyen, nicht Ägypten und auch nicht Tunesien. Anders als dort hat die Opposition in unserem Land keinen Rückhalt im Volk, meint die Dichterin Svetlana Aleksijewitsch:
"Das Problem besteht darin, dass Lukaschenko von Russland billiges Öl bekommt. Mit diesem billigen Öl verwirklicht er die Träume der kleinen Leute: Zu sozialistischen Zeiten träumte meine Schwester immer von einer Waschmaschine. Unter Lukaschenko gibt es Waschmaschinen ohne Ende. Wie meine Schwester verwenden die meisten heute ihre ganze Lebensenergie auf den Konsum. Das ist der Deal, den der Diktator mit der Mehrheit der Weißrussen geschlossen hat. Ihr kriegt was zu kaufen und ich mache Politik. Erst wenn dieses Geschäft platzt, werden auch die Bauern auf die Straße gehen. Erst dann geht es richtig los. Davor hat Lukaschenko Angst. Um das zu verhindern, würde er sogar mit dem Teufel einen Pakt schließen."
Das Regime wird wohl auch die jüngste Bombenexplosion in der Minsker U-Bahn nutzen, um noch härter gegen die Regime-Kritiker vorzugehen. Das Ziel: die komplette Okkupation jener Freiräume, die sich die unabhängige weißrussische Kunst- und Kulturszene in den letzten Jahren erkämpft hatte. Einen Vorgeschmack haben Weißrusslands Intellektuelle, Künstler und Autoren bereits im letzten Wahlkampf bekommen, als der Dichter Vladimir Nekljajev, Präsidentschaftskandidat der Opposition, zusammengeschlagen, mehrere Wochen eingesperrt und dann unter Hausarrest gestellt wurde. Erst vor kurzem wandte sich Svetlana Aleksijevitsch, die 1998 den Leipziger Buchpreis für Europäische Verständigung erhalten hatte, in einem offenen Brief an den Diktator. Wir sind wieder in den dreißiger Jahren gelandet, schrieb sie darin. Es fehlt nicht mehr viel und wir werden wieder Schauprozesse haben."
"Sich keine Gedanken zu machen, Fehler nicht zu
analysieren – das beobachte ich bei den meisten unserer Jugendlichen. Die Mehrheit sucht die Schuld stets bei anderen. Das Ausland ist schuld. Oder die Russen. Doch nicht Russen, sondern Weißrussen haben Nekljajev und andere Oppositionelle verprügelt und ins Gefängnis gesteckt. Als einige von ihnen entlassen wurden, sagte ein Mädchen zu mir: Der Archipel Gulag ist also keine Geschichte. Haben wir das heute wieder? Geht es so leicht wieder von vorne los?"
Alles deutet darauf hin. Angesichts der gewaltsamen Repressionen sah auch Svetlana Aleksijevitsch keinen anderen Ausweg mehr, als ihr Land zu verlassen. Ein Land, in dem wie zu Stalins Zeiten die Angst zum Instrument der Unterdrückung wird. So teilt der Geheimdienst Künstler ganz offen in zwei Gruppen ein: die Gehorsamen und die Ungehorsamen. Während die Gehorsamen publizieren und im Fernsehen auftreten dürfen, werden die Schulbibliotheken von allen Büchern und Gedichten kritischer Autoren "gesäubert", wie es heißt, das Radio von kritischen Liedermachern wie Ljavon Volski.
"Der einzige Radiosender, der meine Lieder spielte, wurde geschlossen. Vor einiger Zeit wurde verordnet, dass 75 Prozent aller Lieder im Radio weißrussisch sein sollen. Zur gleichen Zeit existiert eine schwarze Liste von Musikern, die nicht gespielt werden dürfen, obwohl sie weißrussisch sind. Dabei will die offizielle Musik eigentlich niemand hören. Wenn sie im Autoradio kommt, stellen alle sofort leiser. Es ist paradox - viele denken, diese Musik wird nur gefördert, weil sie niemand hören mag."
Warum der Diktator gerade eine kleine Gruppe von Kulturschaffenden ins Visier nimmt, hat seinen Grund: Der Protest gegen ihn wird heute weniger von Oppositionsparteien, als vielmehr von den künstlerischen Idolen einiger Jugendgruppen getragen. Die aber präsentieren die von ihnen favorisierte Literatur, Musik oder auch Aktionskunst im kaum zu kontrollierenden Internet. Dabei bedienen sie sich einer Art Guerilla-Taktik, deren einigende Philosophie der "Anti-Lukaschismus" ist. Für den Schriftsteller und Herausgeber des einzigen Magazins für zeitgenössische Kunst, Artur Klinau, haben diese Gruppen heute die Rolle, die einst die Partisanen im Krieg gegen Hitler innehatten. Folgerichtig hat er seine Zeitschrift "pARTisan" genannt.
"Unter diesen Bedingungen kann man keinen literarischen Prozess organisieren, der mit anderen europäischen Ländern vergleichbar wäre. Ich habe vielleicht 10.000 Leser. Von neun Millionen Einwohnern können nur etwa 200.000 Weißrussisch lesen. Vor diesem Hintergrund ist eine wirklich ernst zu nehmende literarische Produktion eigentlich unmöglich. Man kann aber nicht von einer direkten Zensur sprechen. Denn jeder, der bei uns Geld hat, kann Bücher herausgeben lassen. Wer will, schreibt einen Roman und treibt das Geld bei Freunden wieder ein."
Durch das Internet und den durch ihn ermöglichten sozialen Netzwerken werden aber auch in Weißrussland Veränderungen nicht mehr aufzuhalten sein. Dass dies in seinem Land länger dauern wird als anderswo in Osteuropa, hänge auch mit der weißrussischen Geschichte zusammen, glaubt Artur Klinau.
"Die Weißrussen können sich nie einigen. Das ist ein sehr unangenehmer Charakterzug. Fast 500 Jahre folgte auf dem Territorium Weißrusslands ein Krieg auf den anderen. Das Volk musste überleben. Wie bei den Partisanen entwickelte jeder Weißrusse für sich selbst ein individuelles Überlebensprogramm. Deshalb ist es für die Opposition so schwer die Weißrussen zu vereinen."
Der Publizist Artur Klinau, die Dichterin Svetlana Alexejevitsch aber auch der Sänger Ljavon Volski hegen kaum Hoffnung auf eine baldige Revolution in ihrer Heimat. Dennoch haben sie die Hoffnung nicht aufgegeben, dass ihre Kunst dazu beitragen kann, das Bewusstsein zu verändern, ein Prozess, an dessen Ende der Sturz des Diktators stehen wird.
Doch Weißrussland ist nicht Libyen, nicht Ägypten und auch nicht Tunesien. Anders als dort hat die Opposition in unserem Land keinen Rückhalt im Volk, meint die Dichterin Svetlana Aleksijewitsch:
"Das Problem besteht darin, dass Lukaschenko von Russland billiges Öl bekommt. Mit diesem billigen Öl verwirklicht er die Träume der kleinen Leute: Zu sozialistischen Zeiten träumte meine Schwester immer von einer Waschmaschine. Unter Lukaschenko gibt es Waschmaschinen ohne Ende. Wie meine Schwester verwenden die meisten heute ihre ganze Lebensenergie auf den Konsum. Das ist der Deal, den der Diktator mit der Mehrheit der Weißrussen geschlossen hat. Ihr kriegt was zu kaufen und ich mache Politik. Erst wenn dieses Geschäft platzt, werden auch die Bauern auf die Straße gehen. Erst dann geht es richtig los. Davor hat Lukaschenko Angst. Um das zu verhindern, würde er sogar mit dem Teufel einen Pakt schließen."
Das Regime wird wohl auch die jüngste Bombenexplosion in der Minsker U-Bahn nutzen, um noch härter gegen die Regime-Kritiker vorzugehen. Das Ziel: die komplette Okkupation jener Freiräume, die sich die unabhängige weißrussische Kunst- und Kulturszene in den letzten Jahren erkämpft hatte. Einen Vorgeschmack haben Weißrusslands Intellektuelle, Künstler und Autoren bereits im letzten Wahlkampf bekommen, als der Dichter Vladimir Nekljajev, Präsidentschaftskandidat der Opposition, zusammengeschlagen, mehrere Wochen eingesperrt und dann unter Hausarrest gestellt wurde. Erst vor kurzem wandte sich Svetlana Aleksijevitsch, die 1998 den Leipziger Buchpreis für Europäische Verständigung erhalten hatte, in einem offenen Brief an den Diktator. Wir sind wieder in den dreißiger Jahren gelandet, schrieb sie darin. Es fehlt nicht mehr viel und wir werden wieder Schauprozesse haben."
"Sich keine Gedanken zu machen, Fehler nicht zu
analysieren – das beobachte ich bei den meisten unserer Jugendlichen. Die Mehrheit sucht die Schuld stets bei anderen. Das Ausland ist schuld. Oder die Russen. Doch nicht Russen, sondern Weißrussen haben Nekljajev und andere Oppositionelle verprügelt und ins Gefängnis gesteckt. Als einige von ihnen entlassen wurden, sagte ein Mädchen zu mir: Der Archipel Gulag ist also keine Geschichte. Haben wir das heute wieder? Geht es so leicht wieder von vorne los?"
Alles deutet darauf hin. Angesichts der gewaltsamen Repressionen sah auch Svetlana Aleksijevitsch keinen anderen Ausweg mehr, als ihr Land zu verlassen. Ein Land, in dem wie zu Stalins Zeiten die Angst zum Instrument der Unterdrückung wird. So teilt der Geheimdienst Künstler ganz offen in zwei Gruppen ein: die Gehorsamen und die Ungehorsamen. Während die Gehorsamen publizieren und im Fernsehen auftreten dürfen, werden die Schulbibliotheken von allen Büchern und Gedichten kritischer Autoren "gesäubert", wie es heißt, das Radio von kritischen Liedermachern wie Ljavon Volski.
"Der einzige Radiosender, der meine Lieder spielte, wurde geschlossen. Vor einiger Zeit wurde verordnet, dass 75 Prozent aller Lieder im Radio weißrussisch sein sollen. Zur gleichen Zeit existiert eine schwarze Liste von Musikern, die nicht gespielt werden dürfen, obwohl sie weißrussisch sind. Dabei will die offizielle Musik eigentlich niemand hören. Wenn sie im Autoradio kommt, stellen alle sofort leiser. Es ist paradox - viele denken, diese Musik wird nur gefördert, weil sie niemand hören mag."
Warum der Diktator gerade eine kleine Gruppe von Kulturschaffenden ins Visier nimmt, hat seinen Grund: Der Protest gegen ihn wird heute weniger von Oppositionsparteien, als vielmehr von den künstlerischen Idolen einiger Jugendgruppen getragen. Die aber präsentieren die von ihnen favorisierte Literatur, Musik oder auch Aktionskunst im kaum zu kontrollierenden Internet. Dabei bedienen sie sich einer Art Guerilla-Taktik, deren einigende Philosophie der "Anti-Lukaschismus" ist. Für den Schriftsteller und Herausgeber des einzigen Magazins für zeitgenössische Kunst, Artur Klinau, haben diese Gruppen heute die Rolle, die einst die Partisanen im Krieg gegen Hitler innehatten. Folgerichtig hat er seine Zeitschrift "pARTisan" genannt.
"Unter diesen Bedingungen kann man keinen literarischen Prozess organisieren, der mit anderen europäischen Ländern vergleichbar wäre. Ich habe vielleicht 10.000 Leser. Von neun Millionen Einwohnern können nur etwa 200.000 Weißrussisch lesen. Vor diesem Hintergrund ist eine wirklich ernst zu nehmende literarische Produktion eigentlich unmöglich. Man kann aber nicht von einer direkten Zensur sprechen. Denn jeder, der bei uns Geld hat, kann Bücher herausgeben lassen. Wer will, schreibt einen Roman und treibt das Geld bei Freunden wieder ein."
Durch das Internet und den durch ihn ermöglichten sozialen Netzwerken werden aber auch in Weißrussland Veränderungen nicht mehr aufzuhalten sein. Dass dies in seinem Land länger dauern wird als anderswo in Osteuropa, hänge auch mit der weißrussischen Geschichte zusammen, glaubt Artur Klinau.
"Die Weißrussen können sich nie einigen. Das ist ein sehr unangenehmer Charakterzug. Fast 500 Jahre folgte auf dem Territorium Weißrusslands ein Krieg auf den anderen. Das Volk musste überleben. Wie bei den Partisanen entwickelte jeder Weißrusse für sich selbst ein individuelles Überlebensprogramm. Deshalb ist es für die Opposition so schwer die Weißrussen zu vereinen."
Der Publizist Artur Klinau, die Dichterin Svetlana Alexejevitsch aber auch der Sänger Ljavon Volski hegen kaum Hoffnung auf eine baldige Revolution in ihrer Heimat. Dennoch haben sie die Hoffnung nicht aufgegeben, dass ihre Kunst dazu beitragen kann, das Bewusstsein zu verändern, ein Prozess, an dessen Ende der Sturz des Diktators stehen wird.