Wie von Natur aus ist es ein Hingucker, wenn ein Vorhang zwar zugezogen ist, aber trotzdem Silhouetten dahinter erahnen lässt. So bleibt man auf dem Bürgersteig in Köln Kalk erstmal stehen, vor dem Ausstellungsraum mit dem originellen Namen "Büro für Brauchbarkeit". Die Künstlerin Olga Jakob lässt durchblicken und stellt Stoff mit Altpapier-Kruste aus:
"Der Stoff ist besonders, drei Meter breit, eher selten, die meisten Stoffbahnen sind ja begrenzt auf einen Meter vierzig. Ich begebe mich schon seit Jahren auf die Suche nach Stoffen, die eher aus der Industrie stammen."
Das Netz als begehbare Metapher
Die in Kiew geborene 31-Jährige sammelt Stoffe und hat inzwischen ein ausgewachsenes Textillager. Das halb durchsichtige Gaze-Gewebe aus Zweimillimeter-Rechteck-Maschen, ist in normaler Verwendung Dämmstoff, nun ist es tragendes Gewebe der Installation "C.M.Y.K". "Cyan, Magenta, Yellow, Black": der Titel ist der Drucker-Fachsprache entlehnt. Olga Jakob macht eine begehbare Metapher daraus. Man erlebt durch abgehängte Wege im Raum eine begehbare Metapher. Das Netz. Als Großraumbüro mit angedeutetem Sichtschutz? Als Schutzraum oder doch Käfig? Wo ist drinnen, wo draußen? Das abstrakte, konkrete Werk ist ganz offen für Interpretationen:
"Das Netz, der Textgedanke, die Metapher: kommt ja aus dem Verflechten. Das ist ja wiederzufinden in allen Bereichen unseres Lebens. Diese textilen Techniken ... wie wir uns alles vorstellen. Ich übertreibe vielleicht, aber es ist alles auf ein verbildlichtes Netz zurückzuführen."
Heißt vernetzt aktuell nicht auch manipuliert? Kann man als Endverbraucher von Massenware überhaupt individuell sein? Olga Jakob interessieren die Denk-Räume - und die Laufmaschen - zwischen Gegenstand und Abbild, Semantik und Semiotik. Ihre Arbeiten nennt sie: Untersuchungen. Mit genähter Kunst - so ein Frauen-Klischee - hat das nichts zu tun:
Spuren einer brauchbaren Welt?
"Klar gibt es diese Assoziation. Da werde ich auch immer darauf angesprochen. Aber zum Beispiel: Ich habe vor einem Jahr meinen Abschluss gemacht, an der Akademie in Karlsruhe und in Parallelklassen haben alle mit Stoff gearbeitet. Also meine Welt ist gender-frei!"
Olgas Welt enthält stattdessen Spuren der Welt, draußen vor dem Büro für Brauchbarkeit. Die Künstlerin macht sich die Mühe, weggeworfene Werbung aufzusammeln, zu zerschnibbeln und in komplexer Pappmaché-Technik umzumodeln. Wie DNA-Stränge sind diese Reste der Prospekt- und Wurfware-Informationsgesellschaft auf den grauen Stoff geklebt, in akribischer Feinarbeit.
"Reste, die hier in Kalk überall auf dem Boden liegen, diese Bilderflut, Farbenflut hat mich interessiert. Wenn man alles wegnimmt, was bleibt an Farbe da, ist es grau?"
Die Neunziger glitzern, die Siebziger sind sandfarben
In einer anderen Arbeit hat sie Museumsplakate aus fünf Jahrzehnten untersucht. Also wieder Rohmaterial in aufwändiger Handarbeit seziert und neu collagiert. Mit dem Ergebnis: Ohne Text - und Preise - nur durch Farbzusammenstellungen lassen sich die Jahrzehnte identifizieren.
"Man kann genau sehen, wann die Neunziger Glitzerwelle dran war und wann die Naturtöne der Siebziger, mit starken Sandtönen."
Bei der gut besuchten Vernissage ließ sich auch einiges identifizieren, in textiler Hinsicht. Vegane Pelze trugen die einen, Frühneunziger-Pullover in Türkis-magenta-Zickzack-Muster vom Sozialkaufhaus die anderen. Dazu ein Andre-Agassi-Schweißband. Ironische Spielchen der Künstler-Blase, die hier als Guerilla aufpoppt? Nein, auch ein paar Kalker Teenager, normalerweise keine Galeriebesucher, interessieren sich: Mal gucken, was gibt es hier?
Die Stadt sponsert die Miete für das "Büro für Brauchbarkeit". Der Stadtteil hat das Image des Prekären. Wer hier nicht wohnt, kommt, um in großen Malls wie in jeder Stadt-Peripherie einzukaufen, um dann wieder weg zu sein. Auch damit hat Olga Jakobs Kunst inhaltlich zu tun. Dass hier auch etwas wächst und anlockt: Ein absolut brauchbarer Gedanke. Entdeckens-wert.