Monika Seynsche: Wenn ein Computer oder ein Roboter so programmiert ist, dass er eigenständig Probleme lösen kann, spricht man von künstlicher Intelligenz. Wie damit umzugehen ist, wie sie gefördert oder reglementiert werden soll, darüber berät ab morgen das Bundeskabinett. Im Dezember dann soll eine Strategie der Bundesregierung zur künstlichen Intelligenz verabschiedet werden. Mein Kollege Jan Rähm hat sich das zugrunde liegende Eckpunktepapier schon mal angeschaut - was hat die Bundesregierung in Sachen künstliche Intelligenz vor?
Jan Rähm: Die Bundesregierung möchte Deutschland zum weltweit führenden Standort für künstliche Intelligenz machen. Man wolle mit "Artificial Intelligence Made in Germany" ein weltweit anerkanntes Gütesiegel schaffen und setzen, und dazu soll die KI-Forschung gefördert und der Transfer Wissenschaft zur Wirtschaft beschleunigt werden. Man wolle also die Potenziale der neuen Technologie heben und eine verantwortungsvolle und gemeinwohl-orientierte Nutzung von KI voranbringen. Zu hören ist; das Eckpunktepapier klingt in weiten Teilen ziemlich nach Marketing-Deutsch.
Eckpunktepapier klingt nach Marketing-Deutsch
Seynsche: Was versteht denn die Bundesregierung eigentlich unter künstlicher Intelligenz?
Rähm: Das ist eines der Probleme dieses Eckpunktepapiers. Es wird nämlich nicht ganz klar, was ist unter KI eigentlich zu verstehen. Zwischen den Zeilen wird dann etwas deutlicher, dass es vor allem in die Richtung des maschinellen Lernens gehen soll. Aber klar ist das eben nicht, kritisiert beispielsweise Stefan Heumann von der Stiftung Neue Verantwortung und Mitglied der Enquetekommission Künstliche Intelligenz. Es seien bisher weder konkrete Handlungsfelder noch Sektoren benannt worden.
Seynsche: Was wäre denn dieses maschinelle Lernen?
Rähm: Dieses maschinelle Lernen ist, wenn Maschinen, also Computer in diesem Fall, aus großen Datenmengen Muster erkennen oder Strukturen erkennen und daraus zu neuen Erkenntnissen kommen.
Seynsche: Wie steht Deutschland im internationalen Vergleich da, wenn es um diese künstliche Intelligenz geht?
Rähm: Sagen wir so, mit dem Eckpunktepapier und der KI-Strategie am Horizont verlässt Deutschland das Feld der Nachzügler. Wenn man sich in Europa und international allerdings umschaut, sind andere Länder deutlich weiter; europäischer Primus beispielsweise ist derzeit Großbritannien, das im Bereich KI nicht nur starke Forschung, sondern auch erste wirtschaftliche Erfolge vorweisen kann. Frankreich wiederum hat eine ziemlich klare Strategie formuliert; einen Koordinator auf Regierungsebene eingesetzt und auch Mittel in Höhe von 1,5 Milliarden Euro für die künstliche Intelligenz, für die Forschung dahingehend bereitgestellt. Als global führend in Sachen KI gilt derzeit China.
Umschwenken von Forschungsförderung zu Forschungs-Wettbewerb
Seynsche: Wie will Deutschland das denn verhindern, dass es weiterhin ein Nachzügler bleibt bzw. welche konkreten Maßnahmen sind in dieser Strategie enthalten?
Rähm: Das sind einige, also man will zum Beispiel von längerfristiger Forschungsförderung hin zu mehr Forschungswettbewerb umschwenken, nach Vorbild der US-amerikanischen Forschungsagentur DARPA, Stichwort ist hier die geplante Agentur für Sprunginnovationen. Man wolle außerdem das Umfeld so verbessern, dass Fachleute in Deutschland bleiben und auch andere Fachleute nach Deutschland gelockt werden. Bisher verläuft die Wanderung eher in die umgekehrte Richtung: Fachleute gehen ins Ausland, und zwar nicht nur unbedingt wegen des Verdienstes, sondern weil sie dort bessere Forschungsbedingungen vorfinden, hieß es heute in einem Hintergrundgespräch zum Thema. Weitere Maßnahmen sind außerdem geplant und es soll finanziell gefördert werden; bisher werden dafür veranschlagt 50 bis 60 Millionen Euro. Aus Potsdam, das wird jetzt vermutet, werden ab morgen aber höhere Mittelzusagen erwartet.
Seynsche: Wie schätzen denn Experten dieses Papier ein und die Strategie der Bundesregierung?
Rähm: Ich möchte sagen, sehr kontrovers. Professor Philipp Slusallek von der FU Berlin meint, die Eckpunkte der Bundesregierung gingen in die richtige Richtung und zeigten, dass Deutschland die Bedeutung der künstlichen Intelligenz klar erkannt habe. Dagegen kritisiert Professor Key Pousttchi von der Uni Potsdam, dass die Bundesregierung auch auf diesem Handlungsfeld der Digitalisierung viel zu spät handle. Problematisch sieht er, dass analog zum Koalitionsvertrag keine klaren Eckpunkte einer klaren Strategie formuliert worden seien, sondern eher so eine Art Weihnachtswunschzettel. Stefan Heumann von der Stiftung Neue Verantwortung und Mitglied der Enquete-Kommission KI kritisiert die fehlende Konkretisierung der Handlungsfelder und Sektoren, und er befürchtet Abstimmungsprobleme, da es immer noch keine klare Digitalstrategie innerhalb der Regierung gäbe oder sie erkennbar sei; außerdem habe sich die Bundesregierung ja in ein Glaubwürdigkeitsproblem gebracht, denn weder die bisherigen Digitalstrategien noch die Breitbandstrategie hätten irgendwelche klaren Fortschritte, geschweige denn deutliche Erfolge gebracht. Zur KI-Enquete meint Martin Schallbruch, er ist ehemals IT-Direktor des Bundes gewesen, jetzt Direktor des Digital Society Instituts an der European School of Management and Technology in Berlin; er meint, die Einrichtung einer solchen Enquetekommission sei ein Fehler, die arbeite viel zu lange und zu gründlich, sodass die resultierenden Empfehlungen eher unbedeutend seien.
Seynsche: Jan Rähm war das über die Strategie der Bundesregierung zur künstlichen Intelligenz - wir werden sehen, was dabei herauskommt.