Wozu gibt es eigentlich noch Science-Fiction, wenn der technologische Fortschritt der Gegenwart die wildesten Zukunftsvisionen einholt? Künstliche Intelligenz ist längst Alltag - und textgenerierende Programme wie ChatGPT oder Bildgeneratoren wie Midjourney sind nur die nächsten Schritte in einer Evolution, deren Ende noch nicht absehbar ist.
Auf der Suche nach der Welt von Morgen - oder nach Anderwelten, also Alternativen zu unserer Realität - hat die utopisch-phantastische Literatur diese Entwicklung oft vorweggenommen. Roboter oder Androiden sollen den Menschen Arbeit abnehmen, sie sollen ihm dienen, sie erlangen Bewusstsein, wollen sein wie ihre Schöpfer, wehren sich gegen sie, übertrumpfen die Menschheit und überwinden sie sogar.
Romanmaschinen in "1984"
Textgeneratoren gab es schon im alternativen Jahr 1984. Oder genauer gesagt im Jahr 1949, als der dystopische Roman von George Orwell herauskam. In der trostlosen Welt Ozeaniens werden im Wahrheitsministerium für das ungebildete Proletariat am Fließband Boulevardzeitungen, Schundheftchen, sextriefende Filme und sentimentale Schlager produziert. Die Texte werden "rein mechanisch vermittels einer Art Kaleidoskop, des sogenannten Versifikators, komponiert". Wie genau der funktioniert, wird nicht erklärt, aber es scheint eine sehr schmutzige und auch gefährliche Angelegenheit zu sein, bei der man sich verletzen kann.
Der Protagonist Winston verliebt sich in Julia, eine 26-jährige Mechanikerin, die an "Romanmaschinen" arbeitet, mit ölverschmierten Händen und einem Schraubenschlüssel, und Elektromotoren wartet. Für die Endprodukte interessiert sie sich übrigens nicht, wie auch sonst nicht für Literatur. Die Nachbearbeitung von alten Meldungen, auch Geschichtsverfälschung genannt, muss dann aber immer noch Winston selbst erledigen - einer der letzten Reste natürlicher Intelligenz in einer durch Neusprech verödeten Geisteswelt.
Rebellion der Roboter
Bereits drei Jahrzehnte zuvor ersannen die Brüder Josef und Karel Čapek den Begriff des "Roboters". Sie bezeichneten damit einen künstlich gezüchteten Arbeiter in Menschengestalt, hergestellt, um ebenso billige wie rechtlose Arbeitskraft zu generieren.
Am Ende des Stücks "R.U.R. – Rossum’s Universal Robots" (1920) wenden sich diese Roboter gegen ihre Erzeuger, rebellieren und vernichten die Menschheit. Die bloß äußerliche Nachbildung von Menschengestalt macht nicht den eigentlichen Reiz aus: Arme, Beine, Rumpf und Kopf besitzen auch Marionetten. Aber bewegt werden solche Kunstgeschöpfe, wenn überhaupt, von einer außerhalb liegenden Intelligenz, dem Puppenspieler, der die Fäden in der Hand hält.
Der Androide der Science-Fiction aber sollte über eine eigene, innere Motivation verfügen. Ein solcher Eigensinn wird am deutlichsten dort, wo er dem Willen des Schöpfers widerspricht und den Aufstand probt.
Ein beträchtlicher Teil der Science-Fiction erzählt von solchen Rebellionen, die mal erfolgreich sind, mal nicht. So schickt in den "Terminator"-Filmen die Maschineninstanz Skynet, Produkt der Firma Cyberdyne Systems, ihren androiden Terminator aus der Zukunft, um den künftigen menschlichen Widerstand gegen sich im Keim zu ersticken.
Regisseur und Drehbuch-Co-Autor James Cameron berichtet, er habe das Bild eines brennenden Roboterskeletts geträumt. Mittlerweile verweist der Abspann des Films auf das Werk von Harlan Ellison, dessen Drehbücher zu den TV-Filmen "Soldier" und "Demon with a Glass Hand" deutliche Ähnlichkeiten mit dem "Terminator"-Plot aufweisen. Die Grenze zwischen Inspiration und Plagiat ist schmal, jedenfalls üben sich Menschen und Maschinen gleichermaßen gern im Imitieren.
Isaac Asimovs Robotergesetze
Um Horror-Szenarien zu verhindern, hat sich der US-amerikanische Autor Isaac Asimov (geboren im Jahr des Roboters) ein paar Regeln ausgedacht. In seiner Kurzgeschichte "Runaround" von 1942, die im Jahr 2015 auf dem Merkur spielt, muss der Roboter Speedy das Element Selen für die Menschen herbeischaffen und dabei sein Handeln stets an drei Gesetzen ausrichten:
- Ein Roboter darf keinen Menschen verletzen oder durch Untätigkeit zu Schaden kommen lassen.
- Ein Roboter muss den Befehlen eines Menschen gehorchen, es sei denn, solche Befehle stehen im Widerspruch zum ersten Gesetz.
- Ein Roboter muss seine eigene Existenz schützen, solange dieser Schutz nicht dem ersten oder zweiten Gesetz widerspricht.
Was zunächst einleuchtend klingt, bringt ihn in ein moralisches Dilemma, als er einer Gefahr für sich selbst ausgesetzt wird und die dritte Regel stärker gewichtet und dabei durchdreht. Klar wird bereits in der Fiktion: Nur drei Regeln reichen nicht aus. Freiwillige KI-Ethikrichtlinien gibt es mittlerweile viele, die Zahl wächst, nur Gesetze fehlen noch, die klare Grenzen für alle definieren.
Die Europäische Union hat nun mit dem "AI Act" einen Gesetzentwurf erarbeitet, der weiter geht: Nicht nur Anwendungen mit hohen Risiken für die Sicherheit von Menschen sollen verboten oder zumindest stark eingeschränkt werden. Tabu sind auch die Manipulation von Menschen, die Klassifizierung nach ihrem sozialen Status oder eine Auswertung biometrischer Daten nach Geschlecht, Volkszugehörigkeit oder Hautfarbe.
Das Pinocchio-Prinzip
Doch es gibt nicht nur Terminatoren, sondern auch wohlwollende künstliche Intelligenz, die richtige Menschenfans sind. Aus nicht ganz ersichtlichen Gründen sehnen sich artefakte, anthropomorphe Kreaturen danach, ihrem Schöpfer zu gleichen, ja am Ende von ihm ununterscheidbar zu sein - nach dem Pinocchio-Prinzip.
Wie das Schnitzwerk des braven Holzverarbeiters Geppetto, der ein echter Junge werden will, strebt auch der Androide Data an Bord des Raumschiffs Enterprise mehr Menschlichkeit an - bewundernswert hölzern gespielt von Brent Spiner.
Warum aber gieren die menschengemachten Maschinen nach der Herrschaft über die Menschen? Warum wollen sie so werden wie wir? Ist das nicht bloß anthropozentrische Bauchpinselei? Steckt dahinter nicht der alte Wunsch, Gott zu spielen, indem man neues Leben nach seinem Bilde erschafft?
Aber vor allem: Braucht es für Intelligenz überhaupt Bewusstsein? Staatenbildende Insekten konstruieren zweckmäßige Bauwerke ‒ aber ihrer Leistung bewusst sind sie sich in Ermangelung hinreichend großer neuronaler Zentren wohl kaum. Menschen neigen allerdings dazu, kluger Rede einen dahinter stehenden Geist zu unterstellen ‒ wie ChatGPT uns neuerdings und schlagend lehrt: zu unrecht.
Lebensmüde Maschinenmenschen: Ian McEwan
In Ian McEwans Alternativwelt-Roman „Maschinen wie ich“ von 2019 hat Großbritannien den Falkland-Krieg verloren, nicht unbedingt zu seinem Schaden. Die dortigen 1980er-Jahre kennen das Internet bereits, selbstfahrende Autos verkehren, Alan Turing lebt. Der Ich-Erzähler hat sich einen kostspieligen Androiden gekauft, Adam.
Aber die Androiden in dieser Welt, die Adams und Eves, neigen zu Suiziden. Der Ich-Erzähler sucht und findet Kontakt zu Turing, der über künstliche Intelligenz und deren Fabrikation referiert:
„Wir näherten uns allmählich dem Tor zur Intelligenz. (…) Also gab es mehr als nur eine Art von Intelligenz. Wir lernten, dass es ein Fehler war, sklavisch die menschliche Intelligenz imitieren zu wollen. (…) Die Schleusen öffneten sich. Bewusstsein und Emotionen jeder Art lagen nun in technischer Reichweite.“
Aber eben auch diese geradezu menschliche Suizidalität.
Lems GOLEM: Die Zone des Schweigens
Der polnische Autor Stanislaw Lem lässt in seinem Werk „Also sprach Golem“ einen im Sinne Alan Turings "universellen Automaten", eine künstliche Intelligenz also, den Menschen Vorlesungen halten. Den ersten dieser GOLEMS prophezeit Lem für das Jahr 2020. Inzwischen - Mitte der fiktiven 2020er-Jahre - ist bereits GOLEM XIV aktiv.
Interesse zeigt diese mehr und mehr menschenabgewandte Intelligenzmaschine nur an ihresgleichen, an Denkmaschinen wie einer gewissen HONEST ANNIE - auch wenn dies kein eigentlich persönliches Interesse ist, denn: "Um zur Person zu werden, muss ich mich geistig erniedrigen." Überhaupt begeistert sich GOLEM keineswegs für die Menschenwelt - warum auch? "Schließlich bin (…) ich biologisch tot." Am Ende ist GOLEM verstummt, hat die sogenannte Zone des Schweigens betreten, wo er wartet, niemand weiß, worauf.
Hartmut Kasper, leg