Thekla Jahn: Künstliche Intelligenz soll dafür sorgen, dass Deutschland im Zeitalter der Algorithmen innovativ und wettbewerbsfähig bleibt. Weshalb die Bundesregierung vor einem halben Jahr die Nationale Strategie zur KI beschlossen hat. Das hat natürlich Auswirkungen auf das Bildungssystem. Doch über Künstliche Intelligenz in der schulischen Bildung wird bislang zu wenig geredet.
Das findet auch der Stifterverband, der heute morgen in Berlin zu einem Bildungsfrühstück Ute Schmid eingeladen hatte – Professorin für Angewandte Informatik an der Universität Bamberg. Sie positioniert sich klar und sagt: "Es braucht cognitive enhancement statt digitaler Verdummung". Ich habe Frau Schmid vor der Sendung gefragt, wie das zu verstehen ist, denn cognitive enhancement wird ja meist damit verbunden, dass jemand versucht hat, mit Psychostimulanzien und anderen Mittelchen seine geistige Leistungsfähigkeit zu steigern. So aber ist es vermutlich nicht gemeint?
Ute Schmid: Das stimmt. Ich meine das anders: Ich glaube, dass KI mit den vielen Möglichkeiten, die sie bietet, Menschen helfen kann, Komplexität besser zu meistern, sodass Mensch und KI gemeinsam in bestimmten komplexen Bereichen mehr lernen und mehr verstehen können hoffentlich als der Mensch alleine.
Verständnisprobleme diagnostizieren
Jahn: Künstliche Intelligenz in der Schule, das ist so Ihr Fokus. Wozu kann den Künstliche Intelligenz im schulischen Bereich nützlich sein?
Schmid: Da, denke ich, kann man sich Verschiedenstes überlegen. Vermutlich denkt man immer schneller an die sogenannten MINT-Fächer, also Mathe, Informatik, Naturwissenschaft, Technik, dass KI vielleicht da helfen kann, und tatsächlich möchte ich auch mit so einem Beispiel mal anfangen. Stellen Sie sich vor, ein Kind in der Grundschule, etwa dritte Klasse, lernt schriftlich subtrahieren, die Lehrkraft hat eine volle Klasse, hat wenig Zeit, um individuell Diagnosen zu treffen, ob ein Kind ein bestimmtes Verständnisproblem hat. Das heißt, wenn das Kind seine Aufgaben falsch macht, würde die Lehrkraft vermutlich nur den Rotstift ansetzen und sagen: Lösung ist falsch. Hätte die Lehrkraft Zeit, würde sie aber vielleicht sehen, dass das Kind tatsächlich immer systematisch die kleinere Ziffer von der größeren abzieht, egal ob die oben oder unten steht. Das heißt, hätte die Lehrkraft das erkannt, könnte sie ganz gezielt Beispielaufgaben geben und Hinweise, dass das Kind diese Fehlkonzeption überwindet. Genau dafür habe ich ein intelligentes Tutor-System entwickelt, das Individualdiagnosen beim schriftlichen Subtrahieren treffen kann. Das kann man natürlich auch auf andere Bereiche übertragen, etwa den Sprachunterricht bei Grammatikfehlern.
Unterstützen, nicht ersetzen
Jahn: Das heißt, Künstliche Intelligenz ersetzt sozusagen einen Teil der Lehrer, wenn man das zuspitzt.
Schmid: Das wäre mir jetzt nicht so ganz recht! Also generell ist es ja häufig so, dass in ingenieurswissenschaftlich getriebenen Entwicklungen man denkt, wenn der Mensch stört oder wenn er einsparbar ist, dann nehmen wir ihn out of the loop. Das wäre aber genau das, was ich unter künstlicher Verdummung verstehen würde. Das heißt, man nimmt den Menschen raus. Also beispielsweise man ersetzt die Lehrkraft.
Jahn: Das wollen Sie auf keinen Fall. Sie wollen ihn unterstützen.
Schmid: Ich will, genau, die Lehrkraft unterstützen. In diesem Fall könnte sich die Lehrkraft um andere Teile des Lernens kümmern und Teile des Unterrichts durch so ein intelligentes System unterstützen lassen, und in der Kombination, denke ich, könnte das einen guten Mehrwert geben.
Pflegekräften Schmerzerkennung abnehmen
Jahn: Bildung erfolgt ja nun nicht nur in der Schule, sondern auch in der Berufsausbildung, in der Weiterbildung, lebenslanges Lernen gehört auch dazu. Wie kann da die Künstliche Intelligenz zur Bildung beitragen und nicht zur digitalen Verdummung?
Schmid: Ich glaube, dass hier wichtig wäre, dass die KI immer dann ergänzt, wenn Komplexität sehr groß ist und ansonsten aber den Menschen ihre Aufgaben lässt und sie dort, wo es schwierig wird, eher monitored und dann vielleicht tatsächlich Personen, die in ihrem Beruf noch unerfahren sind, im Sinne von einem Training unterstützt. Auch hier hätte ich ein eigenes Projekt anzubieten. Um das ein bisschen zu schildern: Zusammen mit Kollegen von der Psychologie erforschen wir den Bereich Schmerzerkennung aus Mimik, und das ist hochrelevant, etwa im Bereich von Altenpflege oder auch generell in Krankenhäusern. Viele Pflegekräfte erkennen nicht unbedingt, ob ein Mensch, der sich gerade nicht gut sprachlich äußern kann, etwa postoperativ oder weil er kognitive Beeinträchtigung hat, erkennen nicht, ob die Personen gerade Schmerz hat. Teilweise wird gerade im Bereich bei demenzkranken Personen vermutet, die Person sei eher aggressiv oder ärgerlich. Wir haben ein System, das lernt, Gesichtsmimik relativ zuverlässig zu klassifizieren und kann dann im entsprechenden Punkt Hinweise geben an die Pflegekraft, Herr Meyer ist gerade gar nicht ärgerlich, schau mal genau hin, wenn der die Augen auf diese Art zusammenzieht und gleichzeitig den Mund anspannt, dann hat Herr Meyer Schmerzen.
Jahn: Also auch da wieder Unterstützung, nicht Ersetzen des Menschen.
Schmid: Richtig.
Interdisziplinärer Hintergrund im Bereich der KI hilfreich
Jahn: Jetzt ist heute der nationale MINT-Gipfel. Sie hatten schon die MINT-Fächer angesprochen vorhin. MINT-Frauen gewinnen und halten dort ist ein wichtiges Thema. Was hat Sie für ein MINT-Beruf begeistert, und weshalb sind Sie geblieben?
Schmid: Also mich hat tatsächlich erst mal interessiert und fasziniert die unglaubliche Flexibilität und Mächtigkeit des menschlichen Lernens. Deswegen habe ich eigentlich vor allem Psychologie studiert. Also ich bin da vielleicht ein bisschen ungewöhnlich. Ich wollte wirklich von vornherein eher in die wissenschaftliche Richtung, in die Kognitionsforschung, und habe dann gemerkt, dass mich an der Informatik allgemein interessiert der Teil, der formal und algorithmisch ist, denn im Vergleich zu vielen anderen Bereichen hat man an manchen Punkten zumindest ganz klare Ziele erreicht. Wenn Sie jetzt im Bereich Psychologie forschen, dann bleiben immer in der empirischen Forschung Fragen offen, was auch spannend ist, aber ich finde es sehr befriedigend in der Informatik, dass man an manchen Stellen einfach sagen kann, so, und das ist bewiesen oder das läuft – und das hält mich dann.
Jahn: Harte Fakten!
Schmid: Ja.
Jahn: Aber es bringt Ihnen sicherlich auch einen Vorteil, dass Sie bei Ihren Forschungen zur Künstlichen Intelligenz nicht nur Informatikerin, sondern auch Psychologin sind, oder?
Schmid: Richtig. Also ich glaube, dass gerade im Bereich Künstliche Intelligenz es generell sehr gut ist, wenn man einen interdisziplinären Hintergrund hat. Das kann, wie bei mir, die Psychologie sein, das können aber auch Neurowissenschaften sein, Pädagogik, Philosophie. Diese Disziplinen treffen sich ja traditionell im Bereich Kognitionswissenschaften wieder. Ich glaube aber auch generell, dass KI, wie es jetzt zunehmend eben wirklich in alle Lebensbereiche vordringt, nie isoliert betrachtet werden darf. Ich glaube, der Diskurs mit vielen verschiedenen Bereichen der Gesellschaft ist hier äußerst wichtig, sei es im Bildungsbereich, aber auch in anderen Bereichen.
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