Die Arbeitswelt hat sich durch technologischen Fortschritt stets verändert. Bisher sind dabei vor allem Arbeitsplätze in Bereichen weggefallen, in denen viel körperliche Arbeit nötig war und ist. Durch künstliche Intelligenz (KI) trifft dieser Prozess jetzt stärker auch Bürotätigkeiten und kreative Berufe.
Wird Künstliche Intelligenz zu hoher Arbeitslosigkeit führen?
Wie sich der Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI) auf Arbeitsplätze auswirkt, wird sehr unterschiedlich eingeschätzt. Einig sind sich die Fachleute darin, dass sich die Arbeitswelt und viele Berufsbilder stark verändern werden. Unklar ist aber, ob Arbeitsplätze dadurch wegfallen.
Das World Economic Forum (WEF) erwartet etwa, dass etwas mehr als jeder zehnte Job weltweit binnen fünf Jahren von KI übernommen wird – etwa 80 Millionen Jobs insgesamt wären das. Allerdings erwarten die meisten der vom WEF befragten Arbeitgeber, dass infolge des KI-Einsatzes mehr Stellen entstehen als gestrichen werden.
Was ist Künstliche Intelligenz (KI)?
Künstliche Intelligenz ist vorhanden, wenn ein System teilweise autonom, also ohne menschlichen Einfluss arbeitet. KI nutzt Daten, Theorien und Konzepte, um daraus eigenständig abzuleiten, wie bestimmte Ziele erreicht werden können. KI kann Vorhersagen, Empfehlungen oder Entscheidungen generieren. Diese Eigenschaften hat der Rat der Europäischen Union in der KI-Verordnung aufgelistet. Eine allgemeingültige Definition zu KI gibt es noch nicht.
Analysten der Bank Goldman Sachs haben in einer Studie sogar prognostiziert, dass weltweit 300 Millionen Jobs durch KI übernommen werden könnten. Doch auch sie gehen davon aus, dass KI unterm Strich nicht für Arbeitslosigkeit sorgt. Sie argumentieren dabei historisch: In der Geschichte der Menschheit gab es schon immer technischen Fortschritt. Dieser hat menschliche Arbeit an manchen Stellen ersetzt, es sind aber stets neue Berufsbilder entstanden. Technischen Fortschritt bezeichnen sie gar als den Haupttreiber für zusätzliche Arbeitsplätze.
Gefahren und Chancen für Deutschland
Der Ökonom Jens Südekum sieht allerdings einige Gefahren für den deutschen Arbeitsmarkt. Die Forschung und der Einsatz von KI seien sehr stark US-amerikanisch dominiert, Deutschland hänge zurück. „Ganz oft sieht man, dass die Arbeitsmarktprobleme nicht bei denjenigen entstehen, die diese neuen Technologien einsetzen, sondern bei denen, die sie gerade nicht einsetzen“, sagt Südekum. Denn diese Länder fielen im Wettbewerb zurück, verlören Marktanteile und müssten in der Folge Arbeitsplätze abbauen.
Mit drastischen Auswirkungen für Arbeitnehmer rechnet Südekum aber nicht. Der Fachkräftemangel werde Unternehmen tendenziell davon abhalten, Angestellten zu kündigen, denn neue Kräfte zu finden, sei enorm schwierig. Es gebe starke Anreize, Angestellte zu Tätigkeiten zu befähigen, die nicht von künstlicher Intelligenz übernommen werden können. Gerade wenn die Arbeit von gut qualifizierten Menschen von KI übernommen werde, gebe es gute Möglichkeiten, diese Arbeitnehmer weiterzubilden.
Welche Jobs sind durch Künstliche Intelligenz bedroht?
Künstliche Intelligenz kann viele Aufgaben schneller erledigen als Menschen. Das betrifft insbesondere Routinetätigkeiten wie das Anlegen von Excel-Tabellen oder die Erstellung von Abrechnungsbescheiden. Je klarer Bürojobs strukturiert sind und je weniger Ermessensspielraum für menschliches Abwägen vorhanden ist, desto eher wird die Arbeit zukünftig von künstlicher Intelligenz übernommen werden, meint Harald Müller von der Bonner Wirtschaftsakademie.
Geoffrey Hinton, einer der KI-Entwickler der ersten Stunde und bis Mai 2023 Chef-KI-Entwickler bei Google, warnt eindringlich davor, zu glauben, KI werde nur öde Jobs für uns übernehmen. Sie werde wahrscheinlich viel mehr Tätigkeiten ersetzen. Auch hoch qualifizierte menschliche Arbeit könnte KI künftig ersetzen. Als Beispiel werden dafür oft Juristen angeführt. Diese müssen viele Informationen im Kopf haben – das kann KI besser.
Der Mensch als letzte Instanz
Aber auch im medizinischen Bereich könnte KI viel Arbeit übernehmen. KI kann heute schon Röntgenaufnahmen und Computertomografien ziemlich gut interpretieren und Therapievorschläge machen. Aber sowohl für Juristen als auch für Ärzte gilt wohl noch lange: Wenn es dann zu einer Entscheidung kommt, wenn abgewogen wird, dann wird so schnell nicht auf eine menschliche Instanz verzichtet werden.
In einer Studie haben Forschende im Jahr 2022 für zahlreiche Berufe analysiert, wie wahrscheinlich sie von Maschinen und Computern übernommen werden könnten. Dazu haben sie aufgelistet, welche Fähigkeiten es für einen bestimmten Beruf braucht: Metzger müssen etwa geschickt sein, ein gutes Auge haben und sich konzentrieren können. Anwälte müssen sich ausdrücken können und Schlussfolgerungen treffen. In einem zweiten Schritt, haben sie analysiert, wieviel Prozent der Fähigkeiten, die in einem bestimmten Beruf nötig sind, auch von Maschinen, Robotern und KI beherrscht werden.
Mit den Daten haben die Forschenden dann einen Automatisierungsrisiko-Index entwickelt, der anzeigt, wieviel Prozent der nötigen Fähigkeiten Computer, Roboter und Maschinen heute schon haben. Nach ihrer Analyse sind Schlachter der Beruf, wo am ehesten Arbeitsplätze wegfallen könnten, wobei es hier wohl noch um Automatisierung geht und nicht um KI. Auch Kassierer und Tellerwäscher stehen oben auf der Liste, aber auch Taxifahrer, deren Berufsbild von selbstfahrenden Autos und smarter Mobilität infrage gestellt werden könnte.
Chemische und metallverarbeitendende Industrie vor Umwälzungen
Müller sieht am Standort Deutschland insbesondere auch Arbeitsplätze in der chemischen oder metallverarbeitenden Industrie im Risiko. Denn dort seien die Prozesse stark strukturiert und digitalisiert. Noch schrecke man wegen Sicherheitsrisiken vor dem Einsatz von KI zurück, aber das könne sich ändern. Auch Berufe in der Verwaltung oder Buchhaltung dürften stark betroffen sein, weil es hier eben klare Regularien gibt, an denen sich KI orientieren kann.
Die Studie ist aus dem April 2022 – in der sich schnell drehenden Entwicklung um KI eine lange Zeit. Gut möglich also, dass die Forschenden inzwischen auch andere Berufsbilder schon stärker in Gefahr sehen würden. Bildgeneratoren können mithilfe von KI beeindruckende Bilder erstellen. Seit der Veröffentlichung von Chat GPT ist auch in aller Munde, wie gut KI Texte erstellen kann und dabei auch kreative Formulierungen nutzt. Dadurch verändert sich auch unser Blick auf die Arbeit von Künstlern und Autoren.
Welche Arbeitsplätze sind relativ sicher?
Während Maschinen und Roboter Druck auf handwerkliche Berufe ausgeübt haben, macht KI eher Druck auf Menschen, die immaterielle Arbeit verrichten. Berufe im Handwerk oder im Dienstleistungssektor können weniger betroffen sein. Es sei auch durchaus möglich, dass sich das für die Löhne dieser Berufsgruppen positiv auswirke, meint Jens Südekum.
Als relativ sicher gelten zudem noch Berufe, die hohes abstraktes Denkvermögen verlangen. Auch Berufe, in denen Menschen Entscheidungen treffen und dafür Optionen gegeneinander abwägen müssen, seien weniger bedroht, meint Müller. Ebenso Berufe, in denen es um Entwicklung und Innovation geht. Wer sich beispielsweise mit der Konzeption von Anlagen, neuen Produkten oder auch neuer Software beschäftige, sei damit nicht so stark der Konkurrenz durch KI ausgesetzt. Die Richtung vorzugeben, das werde in menschlicher Hand bleiben.
Der sicherste Beruf laut dem Automatisierungs-Risiko-Index ist der des Physikers. Aber auch Chirurgen, Ärzte, Ingenieure, Piloten und Fluglotsen brauchen sich nicht so sehr sorgen.
Wie kann die Anpassung an eine Arbeitswelt mit KI gelingen?
Dabei geht es natürlich zum einen um die Anpassung der menschlichen Arbeit. Hier müsse viel in Aus- und Weiterbildung investiert werden, sagt Müller. Unternehmen schöpften die Potenziale ihrer Mitarbeitenden oft nicht aus.
Ein wichtiger Faktor sei hier, wie die Arbeitnehmenden organisiert seien, meint Südekum. Als durch Roboter zunehmend Arbeitsplätze in der Industrie eingespart wurden, hätten Betriebsräte und Gewerkschaften darauf gepocht, dass es nicht zu betriebsbedingten Kündigungen kommt. Sie seien damit weitgehend erfolgreich gewesen, auch wenn sie dafür Abstriche bei Löhnen hingenommen hätten.
„In den Bereichen, die jetzt betroffen sind, gerade im Dienstleistungsektor, da spielen Betriebsräte und Gewerkschaften klassischerweise eine geringere Rolle“, sagte Südekum. Ohne die Organisation der Arbeitnehmerschaft sei mit härteren Einschnitten für die betroffenen Berufsgruppen zu rechnen.
Es brauche zudem ein Auge darauf, wer von den Effizienzgewinnen durch KI profitiert. Von den höheren Erträgen durch Robotik in der Industrie hätten damals nicht die Arbeitnehmenden profitiert, sondern die Kapitalgeber, sagte Südekum. Auch jetzt sei damit zu rechnen, dass die KI-Gewinne bei den Besitzern der Algorithmen blieben, „also bei den fünf großen Tech-Giganten in den USA“. Die Politik müsse nach Wegen suchen, um diese Gewinne zu verteilen. Klassische Instrumente der Besteuerung und Regulierung würden hier aber nicht greifen, weil die Gewinne eben in anderen Ländern anfielen. Für eine gerechte Verteilung brauche es daher eine Allianz der wirtschaftlich starken Länder.
Quellen: Sandra Pfister, Piotr Heller, Johannes Kuhn; Vladimir Alexeev, pto