Benedikt Schulz: Ende November, da war Jean Claude Juncker noch nicht lange Präsident der EU-Kommission, da kündigte der Luxemburger eine sogenannte Investitionsoffensive an. 315 Milliarden Euro sollten mobilisiert werden, um Europas Wirtschaft in Gang zu bringen. Das Geld stammt nicht direkt aus dem EU-Haushalt, das Ganze soll folgendermaßen funktionieren: Die EU und die Europäische Investitionsbank stellen zusammen 21 Milliarden Euro bereit, und damit sollen die privaten Investoren angelockt werden, die dann insgesamt 315 Milliarden Euro in die Wirtschaft stecken. Klingt gut, aber die Milliarden müssen erst mal irgendwo herkommen. Und die Kommission plant, dass ein Teil der Summe, 2,7 Milliarden, um genau zu sein, dass dieser Teil woanders abgezwackt wird, nämlich bei der Forschungsförderung Horizon 2020. Soweit der Plan. Bevor es dazu kommt, muss das Parlament noch zustimmen. Am Telefon ist jetzt Christian Ehler. Er sitzt für die CDU im EU-Parlament, und er ist Mitglied im Forschungsausschuss. Ich grüße Sie!
Christian Ehler: Grüße Sie, Herr Schulz!
Schulz: Die gekürzten Mittel stammen also aus Horizon 2020, und zwar aus der Grundlagenforschung, und sie sollen jetzt stattdessen private Investoren anlocken. Hat die Kommission Juncker kein Interesse an Forschung und Innovation?
Ehler: Das würde ich nicht so sagen, aber Kommission und Mitgliedsstaaten wollen für das große Programm nichts zahlen. Und jetzt schaut man sich nach den Haushaltsmitteln um, wo man ohne große politische Kompromisse am schnellsten Geld holen kann, und das ist eben leider oft die Forschung.
Schulz: Aber setzt man da nicht die falschen Prioritäten, wenn man es lieber in die Wirtschaft steckt anstatt langfristig in die Forschungsförderung?
Ehler: Das ist vor allen Dingen ein Linke-Tasche-rechte-Tasche-Geschäft. Die erste Säule des europäischen Haushalts ist für Wachstum und Innovation, und wir haben in dieser Säule bereits, bezogen auf Horizon 2020 Finanzierungsinstrumente, wo wir einen großen Hebel haben, privatwirtschaftliches Geld aktivieren und so weiter. Aber wie es oft ist bei so einem Programm, ist es so ein bisschen ein Liar's Poker: Die einen wollen nicht zahlen, und die anderen wollen Geld haben, und dann verabredet man sich zuungunsten Dritter.
Schulz: Aber welchen Wert hat denn ein solches Forschungsförderprogramm – es ist ja nicht das erste, es gibt ja auch die mehrjährigen Forschungsrahmenprogramme – was auf sechs, sieben Jahre angelegt ist und dann bei jeder politischen Gemengelage, die sich ein bisschen ändert, dann sofort wieder abgezogen werden kann. Da gibt es ja keine –
Ehler: Sie haben vollkommen Recht, das ist ein riesen Problem. Wir haben ja schon im Herbst, als die erste Milliarde mal im Haushalt fehlte, sollte die aus Horizon kommen. Wir werden im Herbst natürlich wieder bei den allfälligen Haushaltsproblemen – belegt man sich eben gerne nach diesen Bereichen um, die vermeintlich keine große Lobby haben. Und das macht überhaupt keinen Sinn, denn es ist ja nicht so, dass das einfach verlorenes Geld ist, sondern es ist, und die Zahlen haben wir ja, wir bekommen für jeden Euro, den wir in die Forschung investieren, noch mal 13 Euro aus der privaten Wirtschaft, aus den Hochschulbereichen, aus dem Mitgliedsstaaten. Also, das sind erfolgreiche Programme. Und insofern macht es überhaupt keinen Sinn, Wachstum fördern zu wollen, indem man andere Bereiche, wo man Wachstum geriert, kürzt.
"Eine Dimension, die natürlich das Programm in Frage stellt"
Schulz: Die Hochschulrektorenkonferenz hat in einer Erklärung jetzt gesagt, sie sieht den Forschungsstandort Europa in Gefahr. Sehen Sie das auch so?
Ehler: Ja. Wenn Sie die Dimension der Kürzungen sehen – das sind ja alles so abstrakte Zahlen, aber jetzt mal in praktischen Zahlen sind die knapp drei Milliarden über 10.000 Projekte mit innovativen kleinen und mittelständischen Unternehmen oder 650 Großforschungsprojekte mit 7.000 Industriepartnern oder 8.000 Marie-Curie-Grants, also sozusagen für Forscher in Europa. Und das hat eine Dimension, die natürlich das Programm in Frage stellt, zumal wir ja ohnehin schon zehn Milliarden Zahlungen haben noch aus dem alten Programm, die nicht bezahlt sind. Das heißt, wir fallen unter den Standard oder unter den Stand von 2013 im Ende des letzten Programmes zurück.
Schulz: Knapp drei Milliarden, 2,7 Milliarden, das klingt, sagen Sie ja selbst, das klingt jetzt erst mal relativ viel. Aber das Programm hat ja ein Volumen, jetzt nenne ich die andere Zahl, von knapp 80 Milliarden. Muss man da nicht zumindest sagen, dass da auf sehr hohem Niveau gejammert wird?
Ehler: Das Niveau ist ja von uns selber definiert. Wir haben gesagt, um weltweit mithalten zu wollen, wollen wir drei Prozent des Bruttosozialprodukts für Forschung und Innovation ausgeben. Das haben wir nicht nur nicht geschafft, sondern wir werden wahrscheinlich durch diese Kürzungen unter zwei Prozent sinken. Wenn man sich überlegt, dass Asien in etwa das Doppelte seines Bruttoinlandsprodukts ausgibt für Forschung und Innovation, dann kann man nicht reden, dass man auf hohem Niveau jammert, sondern wir reißen alle von uns selbst in den Sonntagsreden postulierten Ziele ein. Und es ist ja nicht das erste Mal, ich hatte ja schon davon gesprochen. Uns fehlen zehn Milliarden ohnehin schon im Haushalt. Das Programm wird im Moment gar nicht aus seinen eigenen Mitteln gezahlt, so knapp sind die Mittel, sondern es wird aus anderen Programmen, aus ITA, der Kernfusion, aus übrig gebliebenen Mitteln anderer Programme überhaupt finanziert, weil wir so große Finanzierungsschwierigkeiten hatten. Nein, das ist nicht eine kleine Lässlichkeit, so, wo man sagt, da müssen doch alle mal, sondern wir greifen substanziell ein, und das ist leider auch nicht das erste Mal.
Schulz: Ist denn jetzt zu befürchten, weil Horizon 2020 läuft ja schon, dass bereits zugesagte Gelder nicht ausgezahlt werden können?
Ehler: Das ist ohnehin schon eines der Probleme, aber ein weiteres Problem ist natürlich auch, wie attraktiv das ist. Wenn Sie beispielsweise in der Verbundforschung im Bereich Gesundheit sehen, dass bei manchen der Ausschreibungen gerade mal drei Prozent der sich Bewerbenden Geld bekommen, oder im Bereich der kleinen und mittelständischen Unternehmen, wo wir ja besondere Interessen haben, gerade mal sechs Prozent, dann ist es natürlich so, dass irgendwann mal auch die Attraktivität dann in der Industrie, bei Forschung, bei Wissenschaftlern sinkt und natürlich auch in irgendeiner Weise der Gedanke, europäische Forschungsförderung zu machen, dann auch endlich ist.
Schulz: Christian Ehler, Mitglied des EU-Parlaments, über mögliche Kürzungen im Forschungsförderprogramm Horizon 2020. Herzlichen Dank!
Ehler: Danke Ihnen!
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