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Küstenschutz
Künstliche Wellenbrecher

Der Meeresspiegel steigt. Müssen deshalb neue Deiche höher oder sogar anders gebaut werden? In künstlichen Anlagen simulieren Forscher Wellen und Stürme, um Antworten auf diese Frage zu finden. In den Niederlanden geht nun ein Wellenkanal in Betrieb, der die weltweit höchsten Wellen erzeugen kann.

Von Christoph Kersting |
    Passanten trotzen am 09.01.2015 in Dagebüll (Schleswig-Holstein) am Nordseedeich dem Sturm. Gleich zwei Orkanausläufer werden an diesem Wochenende den Norden streifen.
    Wagemutige Spazierganger auf einem Damm in Schleswig-Holstein (picture alliance / dpa / Carsten Rehder)
    Land unter an diesem Morgen auf dem Gelände der privaten Forschungsfirma Deltares am Stadtrand von Delft. Im Abstand von vier bis fünf Sekunden brettern meterhohe Wellen auf einen Deich. Im unteren Teil besteht der aus fußballgroßen Natursteinen, darüber sind die Steine mit Beton zu einer glatten Fläche übergossen.
    Marcel van Gent ist zufrieden mit den Wellen heute. Der Deltares-Ingenieur steht auf einer Metallplattform über dem fünf Meter breiten Deichabschnitt und beobachtet die schäumenden Wassermassen unterhalb der Plattform. Die Niederlande sind flach, 450 Kilometer des kleinen Landes grenzen an die Nordsee – doch von der Stadt Delft bis ans Meer sind es dann doch knapp 20 Kilometer. Die Wellen, die Marcel van Gent beobachtet, sind künstlich. Neun Millionen Liter Wasser türmen sich in einem 300 Meter langen, neun Meter tiefen Kanal auf, um dann auf die einem Deich nachempfundene Rampe zu krachen. "Delta Flume" heißt die Anlage, die die weltweit höchsten Wellen zu Forschungszwecken erzeugt:
    "Das ist eine neuartige Wellen-Simulation, mit der wir alle möglichen Arten von Deichen und Dünen untersuchen können. Wir wollen damit bestehende Deiche auf ihre Widerstandskraft hin testen, aber auch herausfinden, wie neue Deiche an diesem oder jenem Küstenabschnitt beschaffen sein müssen, also bevor sie gebaut werden."
    Bis zu viereinhalb Meter hohe Wellen
    Die bis zu viereinhalb Meter hohen Wellen werden von Motoren mit einer Leistung von zwei Megawatt produziert. Die stehen am anderen Ende des Kanals, gegenüber der Deichrampe und schieben computergesteuert immer wieder eine große Stahlplatte gegen das Wasser, das sich so mal mehr, mal weniger stark auftürmt. Natürlich hätte man die riesige Anlage theoretisch auch kleiner bauen können, sagt Projektleiter Marcel van Gent, im Maßstab 1:10 etwa, und entsprechend verkleinerte Deichmodelle damit testen. Doch verhalte sich das Wasser bei solchen Modellen völlig anders als in der Natur oder eben im Wellenkanal in Originalgröße.
    90 Minuten dauert eine Testreihe, in der die Wellenhöhe langsam aber stetig gesteigert wird. Danach inspizieren die Ingenieure, ob der künstliche Deich oberflächlich noch intakt ist und kontrollieren zusätzlich das Innere der Deichstruktur mit einem 3D-Laserscanner. Bei der aktuellen Testreihe gehe es um die Standhaftigkeit eines existierenden Deichs, erklärt Marcel van Gents Kollegin Dorothea Kaste:
    "Der Deich, den wir hier testen, der existiert so im Norden von Holland, und der wurde vor mehr als 100 Jahren dort angelegt. Und jetzt wollen die Behörden gerne wissen, ob dieser Deich noch stabil genug ist oder nicht."
    Denn eine Deichsanierung verschlingt viel Geld. Zwar hat Deltares auch 26 Millionen Euro in den neuen Wellenkanal investiert, und jede Testreihe muss bezahlt werden. Marcel van Gent aber geht davon aus, dass die Versuche am Delta Flume am Ende helfen, Geld zu sparen:
    "Wenn wir uns Statistiken anschauen, dann wissen wir, wie hoch die größte Welle, die innerhalb der nächsten 3.000 bis 10.000 Jahre zu erwarten ist, maximal werden dürfte. Bislang hat dieser Deich in seinen 100 Jahren eine solche Riesenwelle noch nie gesehen. Wir müssen aber wissen, ob er einer solchen Welle, die vier bis viereinhalb Meter hoch ist, standhält. Darum brauchen wir diese Testanlage. Und für den Deich, den wir hier nachgebaut haben, können wir schon jetzt sagen: Er ist sogar stabiler als wir dachten. Und das bedeutet, dass dieser Deich vorerst nicht saniert werden muss. Wir sparen also eine Menge Geld, das wir dann dort verwenden können, wo es wirklich notwendig ist.
    Neben Deichen werden auch Fundamente von Offshore-Windkraftanlagen getestet
    Marcel van Gent schätzt, dass sich so alleine in den Niederlanden jährliche Sanierungskosten im hohen dreistelligen Millionen-Bereich einsparen oder zumindest zeitlich strecken lassen.
    Nicht nur Deiche, auch Dünen oder die Fundamente von Offshore-Windkraftanlagen wollen die Deltares-Ingenieure in ihrem riesigen Wellenkanal testen.
    "Außerdem wird es künftig so sein, dass man in den Niederlanden den Bereich vor den Deichen vermehrt bepflanzt, mit Bäumen zum Beispiel, die die Kraft der Wellen mindern, bevor sie auf den Deich treffen. Aber auch hier müssen wir wissen, ob diese Bäume Jahrtausend-Sturmfluten standhalten. Und darum müssen wir das schon im Vorfeld untersuchen, das ist eines unserer nächsten Projekte. Wir nehmen diese Pflanzen, seien es Bäume, seien es Gräser, und pflanzen sie in den Kanal, um sie unter Extrembedingungen zu testen."