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Kugelstoßerin Schwanitz vor der EM
"Ich glaube, viele Politiker haben nie Sport gemacht"

Ihr Autounfall vor zwei Wochen war ein großer Schreckmoment, dennoch wird Christina Schwanitz bei der Leichathletik-Europameisterschaft in Berlin an den Start gehen können. Im Dlf-Sportgespräch spricht die Athletin über ihre Form und die anstehenden Wettkämpfe. Dabei spart sie nicht mit Kritik am "System Leistungssport".

Christina Schwanitz und Clemens Prokop im Gespräch mit Matthias Friebe |
    Die Kugelstoßerin Christina Schwanitz feiert ihr zweites EM-Gold in Folge in Amsterdam.
    2014 und 2016 jubelte Schwanitz über EM-Gold (hier in Amsterdam 2016). Auch in Berlin möchte die Kugelstoßerin wieder ganz oben stehen. (picture alliance / dpa Michael Kappeler)
    "Wir sind voll im Plan", versichert Schwanitz wenige Tage vor ihrem Auftritt bei der Leichtathletik-EM in Berlin. Die Folgen ihres Autounfalls seien kein Problem mehr. Schwanitz war vor zwei Wochen auf dem Weg ins "Aktuelle Sportstudio" schwer verunglückt, kam jedoch mit einem Schleudertrauma und einer leichten Gehirnerschütterung glimpflich davon.
    Nach dem Schreck liegt der Fokus jetzt wieder voll auf der Heim-EM. Schwanitz will die Atmosphäre dabei mehr genießen, als 2009 bei der WM. "Ich habe ein paar Jahre mehr Erfahrung und kann es mitnehmen, wenn das Publikum mich anfeuert und Leute mich gezielt ansprechen", sagt die 32-Jährige. Schwanitz wurde 2015 Weltmeisterin und ist außerdem zweifache Europameisterin.
    "Die Menschen bekommen mit, dass es nicht nur den Fußball gibt"
    Dass die Leichtathletik-EM in diesem Jahr im Rahmen der "European Championships" stattfindet, hält die Dresdenerin für eine gute Sache. "Man hat mehr Medienpräsenz, die Menschen bekommen mit, dass es nicht nur den Fußball gibt", freut sich Schwanitz. Gleichzeitig betont sie, wie schwierig es selbst als erfolgreiche Leichtathletin ist, vom Sport zu leben.
    "Wenn ich nicht bei der Bundeswehr wäre, könnte ich mein Hobby sicherlich nicht zum Beruf machen", sagt Schwanitz im Dlf-Sportgespräch. "Selbst als Weltmeisterin ist es nicht möglich, davon so leben zu können, dass ich meine Miete und mein Auto bezahlen kann und vielleicht einmal im Jahr in den Urlaub fahre."
    Leistungssportler machen ihre Körper "kaputt"
    Zudem wüssten viele immer noch nicht, wie viel Leidenschaft Spitzensportler investieren. "Jeder der Leistungssport betreibt weiß, dass er seinen Körper kaputt macht", meint Schwanitz. Dass daran oft ein gesamter Lebensweg hängt, bekäme viel zu wenig Beachtung.
    "Ich finde es schade, dass es Handwerksberufe gibt, die man in der Zeit, in der man Leistungssport betreibt, nicht machen kann. Man muss sich immer entscheiden", weiß die Kugelstoßerin. Die Mutter von Zwillingen prangert deshalb auch die Vereinbarkeit von Sport und Familie an.
    Schwanitz sieht Interessensvertretung der SportlerInnen positiv
    Positiv sieht sie in diesem Zusammenhang den vom DOSB unabhängigen Verein "Athleten Deutschland". Schwanitz begrüßt es, dass SportlerInnen ihre Interessen dort selbst vertreten. "Wir sitzen normalerweise im goldenen Käfig", meint sie. Oftmals sei es schon schwierig, eigene Sponsoren zu präsentieren, wenn der Verband diese bei den Wettkämpfen verbietet.
    "Ich glaube, viele Politiker haben nie Sport gemacht. Die wissen nicht, was es bedeutet, in solche Einbahnstraßen geführt zu werden." Schwanitz wünscht sich deshalb eine bessere individuelle Förderung, mehr Respekt für das Geleistete und das private Umfeld der Athleten.
    DLV-Präsident Clemens Prokop spricht während einer Pressekonferenz.
    Clemens Prokop, noch bei einer Pressekonferenz als DLV-Präsident (picture alliance / dpa/ Sven Hoppe)
    Clemens Prokop, bis Ende 2017 Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes, ist nun Organisationschef der Leichtathletik-EM in Berlin. Er freut sich auf die Meisterschaften. "Es ist eigentlich das Schönste, was man für eine Sportart einbringen kann", sagt Prokop. "Nämlich so ein Riesenevent zuhause in Deutschland, das ist für alle Beteiligten, für die Athleten, für die Zuschauer eigentlich der Idealfall."
    Die Sicherheit bei den Wettbewerben sei ein permanentes Thema für die EM gewesen, erzählt Prokop. Auch, weil nicht nur im Olympiastadion Wettbewerbe stattfinden, sondern auch am Breitscheidplatz, wo es 2016 einen Terroranschlag auf den Weihnachtsmarkt gab. Damit wolle die Leichtathletik demonstrieren, dass sie räumlich nicht begrenzt sei, sondern in den Städten stattfinden könne.
    "Die europäischen Werte sind es wert, für sie zu kämpfen"
    Prokop beschreibt die EM als Versuch der Würdigung der europäischen Ideale. Gerade in einer Zeit, in der nationale Tendenzen immer stärker werden. Dazu erklärt er: "Ich glaube, Sport ist auch immer politisch. Wenn man das abstreitet und so tut, als ob Sport und Politik nichts miteinander zu tun hätten, versteht man die Lage nicht ganz richtig. Und wir haben ja gerade in den letzten Wochen erlebt, wie politisch aufgeladen der Sport ist, gerade in der Ausländerthematik."
    Es gehe auch darum, aufzuzeigen, dass Europa mehr sei, "als eine zufällige geografische Aneinanderreihung von Ländern", so der Regensburger. "Und dass die europäischen Werte es wert sind, gerade in Zeiten eines aufkeimenden Nationalismus wieder gefördert zu werden und dass sie es wert sind, für sie zu kämpfen." Politische Äußerungen von Sportlern begrüßt Prokop auch deshalb ausdrücklich.
    "European Games sind keine Konkurrenz"
    Die Kombination der Leichtathletik-EM mit europäischen Meisterschaften anderer Disziplinen sieht Prokop als Chance, weil es die Reichweite verbessere. Die Leichtathletik habe sich aber als Zugpferd der European Championships einen hervorgehobenen Platz gesichert. Ob alle Sportarten in Zukunft am selben Ort stattfinden, sei dabei nicht entscheidend.
    Die European Games, die das Europäische Olympische Komitee im kommenden Jahr ausrichtet, sieht Prokop nicht als Konkurrenz, weil deren sportlicher Wert deutlich geringer sei.