Was haben Kühe am Hals, wenn sie Glocken tragen? - Das wollten zwei Forscherinnen der ETH Zürich, Edna Hillmann und ihre Doktorandin Julia Johns, herausfinden. Sie taten es zum Beispiel mit Hörversuchen auf der Weide, aber auch in Ställen.
"Was wir gemacht haben ist, dass wir den Kühen unterschiedlich laute Geräusche vorgespielt und geschaut, wie sie darauf reagieren. Die Kühe standen im Fressgitter und haben ganz ruhig gefressen. Dann wurde dieser Ton vorgespielt, ohne dass die Kuh gesehen hat, dass das jetzt passiert, sondern auf einmal kam dieser Ton und dann haben die Kühe unterschiedlich reagiert. Manche haben gar nicht reagiert und andere haben relativ schnell und ruckartig das Fressgitter verlassen."
Forschungsleiterin Edna Hillmann. Sie leitet an der ETH Zürich die Gruppe für Verhalten, Gesundheit und Tierwohl.
"Den Einfluss aufs Fressverhalten haben wir bei einem Weideversuch festgestellt, wo die Kühe 24 Stunden am Tag Kuhglocken getragen haben. Und zwar unterschieden Glocken, die Lärm machen – und Glocken, wo wir die Klöppel innen drin festgeklebt haben, also da hatten die Kühe das Gewicht, aber keinen Lärm. Beide Varianten haben sich negativ auf das Fressverhalten der Kühe ausgewirkt. Insofern als sie weniger lang gefressen haben und weniger Kauschläge haben."
Bis zu 110 Dezibel
Verursacht durch normale, durchschnittliche Kuhglocken. Zwischen Ohr und Glocke zwischen 100 und 110 Dezibel laut. Das entspricht in etwa einem Presslufthammer. Beides, Fressen und Wiederkauen, sind Verhaltensweisen, die für Kühe extrem wichtig sind.
"Ja, das ist dann schon wichtig, wenn das ein, zwei Stunden am Tag weniger ist, als wenn sie keine Glocke tragen."
Hundert Kühe waren in die Versuche einbezogen. Jene mit Geläute trugen übliche Alltags-Glocken. Glockenlärm beeinflusst also laut den ETH-Experimenten das Fressverhalten. Ob weniger langes Fressen auch weniger Milch bedeutet, das haben die Forscherinnen nicht ermittelt. Das soll aber in einem Folgeprojekt getan werden.
"Es ist sehr, sehr aufwendig, macht ein Projekt entsprechend teurer et cetera, et cetera."
Sozusagen an die große Glocke hängen aber können die beiden Wissenschaftlerinnen nach all den Versuchen vor allem eines:
"Das ist einfach am Ende alles wahnsinnig laut. Kühe hören das Gleiche, was der Mensch hört – und mehr. Sie hören etwas tiefere Töne und etwas höhere als der Mensch."
Das Gehör der Kuh, davon darf man ausgehen, funktioniert also ähnlich wie jenes des Menschen. Die Mehrheit der Glocken sind um die 100 Dezibel laut. Beat Hohmann ist Akustik-Experte bei der SUVA, der Schweizerischen Unfallversicherungs-Anstalt. Sie ist in der Schweiz DIE Stelle für die Sicherheit am Arbeitsplatz. Beat Hohmann:
"Wenn wir mal voraussetzen, dass dieser Dauerlärmpegel von 100 Dezibel aufs Ohr einwirkt während zum Beispiel acht Stunden täglich, wenn die Kuh so lang frisst, dann könnten wir das direkt mit dem Lärmgrenzwert am Arbeitsplatz vergleichen. Der bezieht sich nämlich auch auf acht Stunden. Und dann müssten wir aber festhalten, dass diese hundert Dezibel ganz, ganz klar über dem Grenzwert am Arbeitsplatz liegt. Der Grenzwert liegt nämlich bei 85 Dezibel. Und wir würden bei dieser Lärmbelastung bei Arbeitnehmern über längere Zeit bei einer Mehrheit doch einen bleibenden Hörschaden erwarten."
Sind Kuhglocken Tierquälerei?
Im Klartext und auf die Kuh übertragen: Glocken können sie vermutlich schwerhörig bimmeln. Die Folgen sind noch unerforscht. Es ist jedoch anzunehmen, dass auch das Tiergehör zu einem Gesamt-Kommunikationssystem gehört. Kühe kommunizieren zwar hauptsächlich visuell und olfaktorisch. Mit dem Kalb jedoch auch mit Lauten. So könnte es sein, dass eine Kuh die Rufe ihres Kalbes nicht hört. Die Frage, die sich am Ende aufdrängt: Sind Kuhglocken tierquälerisch? Edna Hillmann:
"Es gibt Tierschutz relevante Aspekte, die berücksichtigt werden müssen. Müssen Glocken wirklich sein auf eingezäunten Weiden in Dorfnähe, wo man die Tiere auch noch sehen kann? Vielleicht dass man sich das überlegt, in welchen Situationen ist die Glocke wirklich erforderlich und in welcher Situation ist die Glocke nicht erforderlich?"
Vielleicht auf der weitläufigen Alp, wo Glocken helfen, die Tiere zu orten. Die Doktorandin Julia Johns relativiert.
"Im Zeitalter von GPS und Co. würde ich mir das vielleicht überlegen, ob ich den Tieren auf der Alp auch eine Glocke anziehe."
Der moderne Bauer findet seine Chip bestückte Kuh mit dem Smartphone – die Vision von Julia Johns. – Ob wohl das Milchvieh dafür ein offenes Ohr hätte, könnte man es fragen?