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Kuhweide und Selbst

Arno Schmidt schrieb nicht nur, er knipste auch. Er nannte das "Protest gegen die Vergänglichkeit". Neben dem literarischen Werk fanden sich in seinem Nachlass zahlreiche Farbdias und Schwarz-Weiß-Aufnahmen. Jetzt präsentiert das Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg zum ersten Mal einen Querschnitt durch das gesamte fotografische Werk des Sonderlings aus Bargfeld.

Von Bernd Noack |
    In Arno Schmidts Erzählung "Kühe in Halbtrauer" heißt es im dritten Kapitel: "So `ne Liebhaberei sollte man sich tatsächlich zulegen: `ne gute Spiegelreflex-Kamera; mit Vorsatzlinse. `n Projektor hinge freilich auch noch dran."

    Die Geschichte erschien 1964; in Wirklichkeit aber war der Schriftsteller da schon seit über 15 Jahren diesem "Hobby" verfallen: Arno Schmidt beschrieb Papier nicht nur seiten- und stoßweise, er belichtete es auch. Während er allerdings mit seiner schriftlichen Arbeit äußerst pedantisch, systematisch und argwöhnisch umging, verschwendete er für die fotografische anscheinend nicht viel mehr als momentanes Interesse: Im Nachlass fand man zwar über 2500 Farbdias und mehr als 1000 Schwarz-Weiß-Aufnahmen - alles jedoch nur ungeordnet und undatiert in Kisten und Schachteln verstaut. Dabei ist Schmidts "Bildwerfer" eine Fundgrube, und zu entdecken sind dort sowohl die Schauplätze seiner Bücher wie auch der fast schon intime Blick in die ereignisferne Alltagswelt des großen Solipsisten in der Heide, der eigentlich ganz gegen seine Bestimmung und nur mal so nebenbei der Außenwelt unspektakuläre Denkmäler setzt.

    Erstmals sind nun im Kunstforum Ostdeutsche Galerie in Regensburg die schon bekannten farbigen Bilder mit den gerade erst veröffentlichten schwarz-weißen in einer Ausstellung zusammengefasst. Das hat zum Einen einen rein ästhetischen Reiz, es ermöglicht aber auch die Erforschung der Intention und Arbeitsweise, die Arno Schmidt beim Fotografieren zwischen 1949 und seinem Todesjahr 1979 verfolgte:

    "Ich bin sicher, dass Arno Schmidt vor allem fotografiert hat, um sich besser an Dinge erinnern zu können. Aber es gibt dann später auch Bilder, bei denen man sagen könnte, hier wollte er einfach Bilder machen."

    Kurator Janos Frecot, renommierter Fotohistoriker und Schmidt-Kenner gleichermaßen, stellt in Regensburg ganz bewusst die - oberflächlich betrachtet - fotografischen Nebenprodukte in einen engen, unlösbaren Zusammenhang mit den künstlerischen Aufnahmen, in denen der im klassischen Sinne dilettierende Fotograf sich an seinen Möglichkeiten erfreut und sein Können ausreizt. Und so sind da selbstverständlich zwischen den banalen Szenen aus Ehe, Hausbau und Bargfelder Langeweile immer wieder Bilder, die den Blick aus diesem Flachland-Mikrokosmos mit seinem spröde-öden 50er und 60er-Jahre Ambiente in wie unwirklich wirkende Welten lenken:

    "Er hat einfach gute Bilder gemacht. Er konnte gar nicht anders als gut komponierte Bilder machen und hatte so was wie einen sechsten Sinn. Oder ich sage immer gerne, er hatte etwas im Optischen, ein Vermögen im Optischen, was man vielleicht bei einem musikalischen Menschen mit dem absoluten Gehör in Verbindung bringen oder gleichsetzen könnte. Ihm gelingen einfach Aufnahmen, in dem die Bildkompositionen von einer ungeheuren Sicherheit und geradezu Perfektion ist."

    Die Topografie, die Messtischkarten-Pedanterie, die Schmidt in seiner Prosa zum Ausloten und vor allem Vereinen von Innen- und Außenwelten auf die Spitze treibt, kennzeichnen dann auch zumindest die eine Hälfte der Fotografien. Da beginnen die Zeichen der Natur ihre eigene Sprache zu sprechen: Schmidt sieht verborgene Zusammenhänge, Entsprechungen und Beziehungen, die er nicht arrangieren muss, die einfach da sind. Der Zufall erscheint hier als Komponist in einer von allen Überraschungen verlassenen Gegend, die auf einmal lesbar wird in ihrer gerade entdeckten Geometrie und manchmal unglaublichen, unspektakulär schönen Farbigkeit.

    Wie viel Poesie und auch Sehnsucht nach gelassener Friedfertigkeit sich doch hinter den labyrinthischen und brodelnden Dialog- und Gedanken-Gebilden der Romane verbirgt - die Fotografien zeigen es mit einer fast schon melancholisch anmutenden Naivität und Ehrlichkeit.

    Daneben laden diese Bilder den Schmidt-Kenner und -Jünger aber auch unerwartet offenherzig ein zum Rundgang durch das reale Reich des Dichters, das freilich ein sehr überschaubares ist, nicht nur, weil wir uns in der norddeutschen Endlos-Ebene befinden. Bescheidenes Besitztum wird mal kurz abgelichtet; die Ehefrau Alice immer wieder, in koketter Pose oder selbstbewusster Verschlossenheit; da sind halbtraurige Kühe zu sehen, Wasserstraßen und Windmühlen, Seelandschaften und Käffer, deutsches Provinz-Elend und goldgeränderte Abende wie beschrieben; nur selten, in Szenen aus dem Dorf-Stillstand, schieben sich ein paar Nachbarn und überhaupt Menschen ins Motiv, und manchmal - eine scheinbar beliebte Spielerei mit der Eitelkeit - auch der Schatten des Fotografen-Literaten selber; und immer wieder sind da sehr rätselhafte Stimmungs-Momente, festgehalten in diesen Fällen freilich nicht für den legendären Zettelkasten sondern für die verstaubte Fotoschachtel.

    Und während der eine nach allen selbst erstellten Regeln der Systematik perfektioniert und benutzt wurde, blieb die andere ein eher vernachlässigtes Archiv des Augenblicks.

    Oder sollen wir uns jetzt etwa einen gemütlichen Feierabend bei Schmidts in Bargfeld auf einmal ganz anders vorstellen?

    "Er hat nie so etwas wie eine Ordnung gemacht oder die Dinge jetzt programmatisch abgelegt oder so etwas. Für ihn war es offensichtlich ein Rohmaterial und das hat dann seinen Dienst getan; es wurde nicht weggeworfen, aber irgendwo in eine Ecke gepackt,"

    sagt Janos Frecot zwar:

    "Aber wenn man "Zettels Traum" glauben darf, dann hat Schmidt selbst auch sich manchmal mit einem Projektor - er hatte ja einen, der ist ja heute noch da in der Stiftung - mit seiner Frau zusammen, vielleicht auch mit Freunden, Dias angeschaut."