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Kulinarisches Letzebuerg

Im Großherzogtum Luxemburg hat gutes Essen einen kaum zu überschätzenden Stellenwert. Sterneköchin Léa Linster verrät, warum in dem kleinen Land Genuss so groß geschrieben wird.

Von Tamara Hölscher |
    "Herzlech wellkommen zu Letzebuerg. Ech weisen iech lo mol mei Ländchen, wie ech et am leivsten hun"

    Ihr Ländchen, wie sie es am liebsten hat, will Léa Linster zeigen. Genussvoll ist es, soviel verrät sie, und das nicht nur, wenn es ums Essen geht.

    "Überall wo man hinschaut, möchte ich Schönes sehen."

    Vielleicht ist ihr Privathaus deshalb auf den ersten Blick ganz aus Glas, gebaut auf Stelzen, thronend am Hang über den Weinbergen der Mosel. Auf 42 Kilometern teilen sich Luxemburg und Deutschland den Fluss als Landesgrenze. Hier wechseln sich Weinberge mit Feldern und Wiesen ab. Auf beiden Seiten des Ufers liegen kleine verwunschene Dörfer. Nur eine etwas größere Stadt hebt sich von den weiß-rosa Flecken ab: Remich, die größte Moselstadt auf luxemburger Seite. Weiter oben, von ihrer Terrasse aus, bekommt Léa Linster nichts mit von den Menschen am Ufer, nur von der Nationalstraße dringt Lärm herüber. Nachbarn hat die Luxemburgerin hier keine. Die Aussicht bis hinüber nach Deutschland gehört ihr ganz allein.

    "Diese Sicht ist für mich ein Symbol der Freiheit."

    Sie lehnt sich aufs Geländer ihrer Terrasse. Ihr Panamahut schützt sie vor der Sonne, über dem schwarzen Baumwollblazer trägt sie ein buntgeblümtes Tuch. Geschmackvoll und bodenständig zugleich kommt sie daher. Mit ihrer Art, offen und für sich einnehmend, gibt sie jedem das Gefühl, sich für ihn zu interessieren. Ihre Mitarbeiter wissen aber, dass sie auch durchgreifen kann – und muss: Das Niveau ihrer Küche hält Léa Linster seit 23 Jahren konstant hoch. Damals gewann die Luxemburgerin den Bocus d’Or, den Oscar der Herdkünstler - bisher als einzige Frau. Mit dem Preisgeld erfüllte sie sich den Traum vom Haus über den Weinbergen und der geliebten Mosel.

    "Ja, die Mosel. Das ist meine Freundin. Meine gute Freundin. Sie ist immer da, immer an der gleichen Stelle und das rechne ich ihr hoch an. Die lässt sich von nichts beeindrucken. Was grandios ist: natürlich diese Weinberge. Weil, das sieht so aus, wie ein wunderschön gepflegter Garten und man braucht nichts dafür zu tun. Man braucht ihn nur zu bewundern und zu lieben. Und nachher kriegst du noch den Wein. Also das ist wirklich schon mal was, da kriegst ja fast die Butter und das Geld der Butter."

    Léa Linster ist naturverbunden. Sie sucht das Schöne im Kleinen, denn nur da sei es zu finden:

    "Es muss nicht immer das große Geschäft sein und es muss nicht immer der Riesenerfolg sein, sondern dass man auch - oder vor allem - das genießt, was man sich erträumt hat, was man sich realisiert hat, und dass man das dann auch genießt, gell?"

    Damit ist Léa Linster bisher gut gefahren, erzählt sie im Auto auf der Fahrt in die Hauptstadt. Dass sie denselben Namen wie das Land trägt, sorgt schon mal für Verwirrung.

    "Wir haben immer nur gesagt: Wir gehen an d’Stadt. Als gäbe es nur eine Stadt im ganzen Land. (lacht) Mir gin an d’Stadt."

    Sie fährt einen kleinen Umweg über Frisange. In dem Grenzort zu Frankreich steht ihr Sternerestaurant. Früher betrieben ihre Eltern in dem Wirtshaus ein Restaurant-Café mit Kegelbahn, Wechselstube, Zimmer für Touristen und einer Tankstelle. Der Ort war damals mehr eine große Kreuzung als ein Dorf. Dennoch gingen in dem Café ihrer Eltern Kunden aus den Nachbarländern ein und aus, so habe sie als ganz kleines Mädchen schon alle N-ationen kennengelernt, erzählt sie.

    "Wenn man hier nicht aufpasst, dann steht man schon mit einem Fuß im andern Land. Und ich kann mich erinnern als kleines Mädchen, da wusste ich immer: Die Franzosen, die haben die besten Lebensmittel absolut. Die besten Käse, die sind ja dafür berühmt und auch für den Wein und das Brot. Der Geruch und der Geschmack war total anders. Das hab ich geliebt als Kind mit der Camembert. Und da kann ich mich erinnern, wir waren ganz klein, die Nachbarin, die war so anderthalb Jahre jünger, und ich glaub, ich war sechs. Und ich hatte Geld von der Tankstelle, Trinkgeld. Und da sag ich: ‚Ich hab genug zusammen, jetzt gehen wir nach Frankreich und kaufen uns einen guten Camembert und eine Baguette’. Wir konnten's nicht sehen, wir waren zu klein aber wir haben gesagt: ‚Monsieur geben sie uns einen Camembert, der zum Sofortverzehr ist, der schon richtig schön reif ist’. Das war für mich ein fantastischer Augenblick. Es war als würde ich eine ganze Nation kosten. So schön war das."

    Die Liebe zum Geschmack hat die Luxemburgerin zu ihrem Beruf gemacht.

    Luxemburg empfängt seine Besucher voller Stolz, als Metropole und Provinzstadt zugleich. Keine 100.000 Einwohner leben hier. Wie ein Adlerhorst thront die Stadt auf fast senkrecht abfallenden Felswänden. Gebaut ist sie auf verschiedenen Plateaus und fordert jeden Spaziergänger zu Höchstleistungen. Wer steile Gassen und schmale Treppen aber lieber bewundert als hinaufklettert, kann auch den städtischen Aufzug nehmen. Altstadt und Bahnhofsgegend liegen auf zwei Hochebenen, die durch ein tiefes Tal voneinander getrennt sind. Nur zwei Brücken verbinden die Stadtteile. Darunter schlängelt sich, 40 Meter in der Tiefe, ein Flüsschen durchs Grün. Die Skyline ist frei von Hochhäusern. Spitze Kirchtürme, Sandsteingebäude und Schieferdächer prägen die Silhouette. In der Altstadt flaniert man durch enge Gässchen, hin zum großherzoglichen Palais. Es wurde an der Stelle errichtet, an der Luxemburgs erstes Rathaus stand. Gesäumt wird der Palast deshalb nicht von einem weitläufigen Platz sondern von engen Häuserzeilen. Nur der Balkon, von dem die großherzogliche Familie zu außergewöhnlichen Festen den Menschen herunterwinkt, gibt den Blick frei auf einen Teil der Fußgängerzone und den weiter entfernten Marktplatz.

    "So, und hier ist der Knuedler, die Place Guillaume, der Wilhelmsplatz. Und da auf dem Pferd, da sitzt der Wilhelm. Ja, und den Palais, den mag ich gern. Der ist sehr schön. Da können wir ja jetzt so schön drauf zugehen. Ja, von der Architektur her hat der etwas Märchenhaftes mit all diesen kleinen Spitztürmchen. Das finde ich ganz wunderschön. Und ich bin auch sehr froh, dass sie alles was Holz ist, so dunkelblau gemacht haben. Unsere Fahne ist ja rot-weiß-blau und ich finde, dass das sehr gut passt. Und da gibt’s noch immer die Soldaten, die vor dem Palais auf- und abschreiten. Das mögen wir sehr gern. Und da unten das ist dann das Parlament, also die Abgeordnetenkammer."

    Luxemburg ist eine parlamentarische Monarchie. Monarch und Parlament befinden sich hier in demselben Gebäude. An der Fassade des Baus sind drei Bauabschnitte erkennbar: Der linke Palastflügel wurde im 16. Jahrhundert errichtet. Seine Fassade zeugt von der spanischen Herrschaft. Arabesken zieren die Sandsteinfassade, die mit vielen Erkern versehen ist. Der rechte Flügel entstand in der Mitte des 18. Jahrhunderts. Er wurde im Renaissancestil restauriert. Mitte des 19. Jahrhunderts wurde schließlich die Abgeordnetenkammer an das Palais angebaut. Für die Großherzogliche Familie ist der Bau lediglich Stadtresidenz. Ist der Großherzog anwesend, wird die Nationalflagge gehisst und zwei statt einem Soldaten paradieren vor der Stirnseite des Gebäudes. Einen Kult um die Großherzogliche Familie, vergleichbar mit dem Medienrummel um das englische Königshaus, gibt es in Luxemburg nicht. Wenn man Glück hat, begegnet man den luxemburgischen Royals sogar auf der Straße. Genau wie dem politischen Oberhaupt des Landes Jean-Claude Juncker, wenn er morgens in die Abgeordnetenkammer geht.

    Hinter dem Palast schließt sich der älteste Teil der Stadt an. Gewundene Gassen führen vorbei am Fischmarkt, einem kleinen Platz an dem auch Goethe bei seinem Aufenthalt in Luxemburg gewohnt haben soll. Ein Denkmal zu seinen Ehren steht etwas weiter hinten beim Bockfelsen, der Wiege der Stadt Luxemburg. Von hier aus hat man einen weiten Blick ins Tal, auf die Festungsüberreste und hinüber zu den berühmten Kasematten: Ein unterirdisches Gangsystem, dass wichtige Teile der früheren Festungsanlage miteinander verbindet, eine der meist besuchten Attraktionen der Stadt.

    "Hier geht’s in diese Kasematten. Da war ich noch nie drin, das muss man sich mal vorstellen."

    Roger: "Darf ich einige Erklärungen geben?"

    Léa Linster: "Ja, ja gerne, das würde uns sehr freuen."

    Roger: "Ich bin nämlich Fremdenführer."

    Léa Linster: "Ja das ist ja fantastisch, ich nicht."

    Roger:"Hier sind sie nicht nur auf dem schönsten Aussichtspunkt von Luxemburg, sondern auch auf der Geburt von Luxemburg."

    Der schlanke Mann mit Vollbart und vom Wind zerzausten Haaren erzählt die Geschichte der Stadt. Ihr Name geht auf den Gründer Siegfried von Luxemburg zurück. Er baute seine Festung auf den Felsen, der durch den Lauf des Flusses im Tal auf natürliche Weise geschützt war.

    "Von 963 bis 1867 hatten wir hier permanent Touristen, äh nein."

    Léa Linster: "Beter."

    Roger: "Nein."

    Léa Linster: "Bänker und Beter?"

    Roger: "Nein, Feinde! Also Krieg."

    Léa Linster: "Ah, ja."

    Roger: "963 haben wir die Festung hier aufgerichtet, 1867 haben wir sie geschleift. Wir hatten als Eroberer hier: Die Preußen, Österreicher, Franzosen, Holländer und … "

    Léa Linster: "Spanier."

    Roger: "Diese Festung hier wurde nie mit Kraft angegriffen, immer nur durch Aushungern lassen."

    Léa Linster: "Ich weiß jetzt, warum die Luxemburger so gerne essen. Die haben lange gehungert. Die wurden immer zum Aushungern gebracht, deswegen essen die so gern. Das Essen spielt hier eine große Rolle im Lande."

    Fast neun Jahrhunderte war Luxemburg eine befestigte Stadt mit dem Beinamen "Gibraltar des Nordens". Als sie 1867 zum neutralen Staat erklärt wurde, musste die Festung dem Erdboden gleichgemacht werden. 16 Jahre brauchte man dazu, die Festungsanlage abzutragen. Heute sind nur noch zehn Prozent der Bastion erhalten. Diese Überbleibsel und die Altstadt von Luxemburg zählen zum Weltkulturerbe.

    Léa Linster:"Was wir heute alles hier erleben. Aber schön, dass er jetzt alles so erklärt hat, das hätte ich ja gar nicht machen können. Jetzt gucken wir noch drüben ein bisschen und dann wird’s aber Zeit auf ein Madeleinchen mit einem guten Kaffee."

    Die Mini-Kuchen in Form von Jacobsmuscheln sind, wie so vieles in Luxemburg, französischer Herkunft. In der Gastronomie orientiert man sich gerne am großen westlichen Nachbarn. Aus einem kleinen Bistro mit drei weißen Tischchen und dunkelvioletten Wänden dringt Kaffee- und Gebäckduft auf die Straße. Seit vier Monaten freut sich Léa Linster endlich in der Hauptstadt vertreten zu sein.

    "Loost iech gut schmachen. Ah, Sie sprechen deutsch? Also: bon apetit!"

    Auf einer Bank am Fenster sitzt ein Pärchen bei Kaffee und Madeleine. Sie hat kurzes schwarz gelocktes Haar, er trägt trotz Sonnenschein einen Schal um den Hals. Die Kamera auf dem Tisch lässt sie als Touristen erkennen.

    "Ich finde die Gebäude wunderschön, auch die Impressionen bei dem schönen Wetter, die Atmosphäre. Man ist halt sehr schnell hier. Wir kommen aus der Nähe zwischen Frankfurt und Heidelberg und sind grad fürs Wochenende hergefahren, und das ist schön. Das ist grad mal so ein Wochenende, so ein bisschen französisches Flair. Des ist einfach nett."

    Léa Linster: "Hier gibt’s französisches auf deutsch."

    Frau: "Ja, so tolle kleine feine Sachen. Jetzt wie hier ein Madeleinchen zu essen und ein Kaffee zu trinken. Das passt einfach alles. Mann: Das macht auch den Unterschied zu Deutschland aus. Da gibt’s normalerweise immer große Portionen, immer normale, und Frankreich oder Luxemburg sind eher diese Kleinigkeiten, diese köstlichen Kleinigkeiten. Das ist halt das Besondere dann."

    "L’art de vivre", die Kunst zu Leben verstehe man hier. Und das Geheimnis, warum der Genuss im kleinen Großherzogtum so groß geschrieben wird, konnte ein bisschen gelüftet werden.