Als Neil Gaiman im Frühjahr 2001 seinen Roman über Religionen, kollektives Gedächtnis und allgegenwärtige neue Technologien veröffentlichte, hatte längst nicht jeder ein Handy, Glaubenskonflikte in den USA und Europa brodelten eher unter der Oberfläche und der Begriff "Soziale Medien" beschrieb höchstens die Parteizeitung der SPD.
16 Jahre später ist aus "American Gods" eine Serie geworden - nach "Game of Thrones" ein weiteres Kronjuwel der Fantasy-Literatur.
"Wer sind Sie? - Sie würden nicht an mich glauben, wenn ich's Ihnen sagen würde!"
Am Anfang der Geschichte soll der Protagonist mit dem klangvollen Namen Shadow Moon nach drei Jahren Gefängnis entlassen werden. Zuhause wartet sein alter Job im Fitnessstudio eines Freundes auf ihn; vor allem aber freut sich Shadow auf das Wiedersehen mit seiner Frau - bis ihn der Gefängnisdirektor heranzitiert.
"Sie kommen ein paar Tage früher raus. Ich wird' nicht drumrumreden, denn das macht es auch nicht besser. Das hier ist heute Morgen vom Johnson City Hospital in Eagle Point gekommen. Ihre Frau, sie ist heute in den frühen Morgenstunden gestorben. Es war ein ... ein Autounfall."
Auch sein Freund saß im Auto, Shadow ist also auf einen Schlag Witwer und arbeitslos. Auf den Weg zur Beerdigung trifft er den exzentrischen Mr. Wednesday, der ihm ein verlockendes Angebot macht:
"Ich spreche von legaler Arbeit, größtenteils. Gutes Geld, abgelegene Straßen, so gut wie kein Ärger. Naja, ab und zu ein bisschen. Ich würde jederzeit einen ehemaligen Häftling einstellen."
So beginnt eine Reise durch die Straßen und Hinterhöfe der USA, und in eine magische Welt, in der Sagengestalten unerkannt zwischen den Menschen leben.
"Das sind Götter, verdammt noch mal!"
Eine Reise wie keine andere
Der in England aufgewachsene Neil Gaiman wollte vor allem ein Buch darüber schreiben, wie fremdartig, wie bizarr ihm das vorkam, was für jeden anderen offenbar normal war: Das Leben in Amerika.
In der Ära Trump, gibt es Twitter, Instagram und Facebook; und neben der Technik-Obsession der Menschen sind auch Themen wie Immigration und Religion wieder so aktuell wie lange nicht - Figuren wie der E-Zigarette rauchende "Technical Boy" passen deshalb genau in unsere Zeit.
"Wir haben die Realität umprogrammiert. Sprache ist nur ein Virus, Religion ein Betriebssystem und Gebete sind einfach nur Spam."
Wie das Land selbst ist "American Gods" ein wildes Potpourri; ein Genre-Mix, der den amerikanischen Gründungsmythos dekonstruiert und die Erfahrungen und die Mythen mehrerer Generationen von Immigranten nacherzählt: Als Horror-, Crime- und Fantasy-Roadmovie, mal lustig-skurril, mal alptraumhaft.
"Also, wie ist der Plan? - Krieg!"
Verantwortlich dafür sind neben Gaiman die beiden Serien-"Showrunner". Bryan Fuller, der Schöpfer von "Pushing Daisies" und "Hannibal", erschafft surreale Bilder, während Michael Green sich wie z.B. im Superhelden-Abgesang "Logan" auf Mythen spezialisiert hat.
Ihre martialischen Sagen voller Sex und Gewalt, wie die blutgetränkte Wikingerlegende im Prolog der ersten Folge, bilden das Rückgrat der Serie.
"American Gods" verlangt dem Zuschauer aber etwas mehr ab als nur eine gewisse Toleranz für nackte Haut und geysirartige Blutfontänen. Wer zu oft die Augen abwendet, riskiert im Geflecht von Rückblenden, Träumen und verschiedenen Handlungssträngen den Faden zu verlieren. An jeder Ecke finden sich Parallelen zu großen Themen unserer Zeit - aber auch ohne die wäre der Roadtrip durch die Geschichte Amerikas und die Mythen seiner Einwanderer eine Reise wie keine andere.
"Ob Sieg oder Niederlage, es wird glorreich!"
Die achtteilige erste Staffel von American Gods ist am 01.05.2017 bei Amazon Prime gestartet, immer montags erscheint eine neue Folge. Eine erweiterte Fassung des Romans ist vor circa zwei Jahren im Eichborn Verlag erschienen.