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Kultur in der Coronakrise
"Deutlich spürbares Verlustgefühl"

Einige Kulturinstitutionen öffnen in dieser Woche wieder; andere werden wohl noch länger geschlossen bleiben müssen. Ein Nachdenken über eine neue Form von Kulturwahrnehmung und -finanzierung fordert deshalb der Hamburger Kultursenator Carsten Brosda.

Carsten Brosda im Gespräch mit Susanne Fritz |
Blick auf einen geschwungenen Treppenaufgang, rechts an der Wand steht der Schriftzug "Großer Saal".
Noch lange ohne Publikum? Auch in der Hamburger Elbphilharmonie ruht der Konzertbetrieb (picture alliance / imageBROKER)
Die aktuelle Debatte über die vorsichtige Wiederöffnung der Gesellschaft in der Coronakrise sei für ihn ohne die Beteiligung der Kultur nicht denkbar, sagte der Hamburger Kultursenator Carsten Brosda im Deutschlandfunk. Zunächst sei es darum gegangen, das Virus einzudämmen; dann darum, die wirtschaftlichen Schäden abzufedern:
"Und dann kam aber relativ schnell schon – und das hat fast überrascht, wie schnell es war; hat mich aber auch beruhigt, dass es so schnell kam – die Diskussion darüber: Was heißt das eigentlich für den öffentlichen Raum? Was heißt das für den kulturellen Raum? Was heißt das auch für den demokratischen Raum unserer Gesellschaft? Wie gehen wir damit um, dass es nicht der Staat sein darf, der so etwas dekretiert, sondern dass wir als Gesellschaft gemeinsam einen Weg finden müssen, den wir auch alle akzeptieren können."
Innenansicht aus der Jahrhunderthalle in Bochum. Das denkmalgeschützte Bauwerk ist aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg ist eines der Hauptspielorte der Ruhrtriennale.
Forderung nach Öffnung der Bühnen
Nicht jede Theateraufführung ist eine Großveranstaltung. Darum drängen viele Theater und Festspielorte jetzt darauf, schon früher als Ende August vor Publikum auftreten zu dürfen. Außerdem haben die Theaterleute viele kreative Ideen, wie das auch in Coronazeiten sicher gelingen könnte.
Kulturverzicht keine Selbstverständlichkeit
Dass die deutsche Gesellschaft wegen der Coronakrise seit Wochen auf kulturelle Ereignisse verzichte, sei keine Selbstverständlichkeit, so der SPD-Politiker:
"Ich nehme ein ziemlich deutlich spürbares Verlustgefühl unserer Gesellschaft wahr. Viele Kulturrezeptionssituationen im Konzerthaus, im Theater, im Musikclub, bei einem Konzert, auch bei einer Vernissage setzen nun mal voraus, dass Menschen zueinander kommen und sich treffen, in der Öffentlichkeit. Das ist der Kern kulturellen Erlebens. Und das ist nicht möglich gewesen, weil wir sicher gehen mussten, dass das Virus sich nicht mehr in der Form ungehemmt verbreiten konnte, wie das vorher der Fall war."
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
"Einzigartige Reichhaltigkeit"
Viele Bürgerinnen und Bürger und erst recht viele Künstlerinnen und Kreative suchten zurzeit aber sehr engagiert nach Möglichkeiten, trotzdem kulturelle Angebote zu machen und wahrzunehmen, so Brosda:
"Ich glaube schon, dass wir eine kulturelle Infrastruktur haben von einer Reichhaltigkeit, die international nach wie vor ziemlich einzigartig ist. Und auch die Diskussion, die jetzt – teilweise ein bisschen verzögert, aber denn doch jetzt immerhin - beginnt über die Frage: Wie gehen wir mit dieser kulturellen Infrastruktur eigentlich in diesen besonderen Zeiten um, zeigt uns, dass auch eine besondere Sensibilität für den Wert und für die Bedeutung der Kunst und der Kultur vorhanden ist, aktivierbar ist."
Kunst unter anderen Bedingungen
Jetzt müsse es deshalb darum gehen, gemeinsam darüber nachzudenken: "Wie machen wir es möglich, dass Kunst- und Kulturproduktion auch weiterhin stattfinden können unter veränderten Bedingungen?"
Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda (SPD) spricht am 08.01.2018 beim Festakt zur Eröffnung des Europäischen Kulturerbejahres 2018 im Rathaus in Hamburg.
Carsten Brosda, Jahrgang 1974, ist seit März 2018 Kultursenator in Hamburg. In seiner noch relativ kurzen Amstzeit hat sich der in Gelsenkirchen geborene SPD-Politiker immer wieder für die Freiheit und Unabhängigkeit von Kunst und Kultur eingesetzt - inhaltlich wie wirtschaftlich.
Er wünsche sich angesichts der vorsichtigen Öffnung zunächst nur weniger kultureller Einrichtungen eine Veränderung im Bewusstsein: "Dass wir da jetzt in eine Logik kommen, in der wir nicht mehr nur noch so sehr gucken: Wie kompensieren wir den Umstand, dass etwas nicht stattfinden kann? Sondern: Wie fördern wir die Produktion von Kunst unter anderen Bedingungen?
Zahlen wir zum Beispiel Musikerinnen und Musikern, die im Netz Angebote streamen, eine Gage als Förderinstrument des Staates? Helfen wir dabei, neue Formate von Clubkonzerten zu entwickeln? Was heißt das für Theater? Was heißt das für Konzerthäuser? Unser Ziel muss sein, so viel kulturelles Erleben wie nur irgend möglich stattfinden zu lassen, ohne dass wir die infektionsmedizinischen Rahmenbedingungen dabei verletzten."
"Freiheit von Kunst gewährleisten"
Das, so der Hamburger Kultursenator, könne auch einen weiteren positiven Effekt bewirken: "Ich nehme gerade eine unglaublich hohe Bereitschaft wahr, andere Wege zu gehen, andere Wege zu denken. Und ich nehme auch eine unfassbare Leidenschaft von vielen Menschen im kulturellen Leben wahr. Ich glaube, dass das Erleben des Verlusts ein Bewusstsein schaffen kann, das uns dabei hilft, in der Zeit danach die Verfügbarkeit von Kunst als nicht so selbstverständlich zu erachten, wie wir es vielleicht vorher getan haben - und auch nicht so nachlässig mit ihr umzugehen. Sondern stärker uns ins Bewusstsein rufen, dass es eine gesellschaftliche Verantwortung ist, die Rahmenbedingungen für die Freiheit von Kunst und Kulturproduktion tatsächlich dauerhaft zu gewährleisten."