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Kultur in der Coronakrise
"Die Branche stirbt"

Die Kreativwirtschaft ist laut einer Studie mit Umsatzeinbußen von über 30 Prozent stärker von der Corona-Krise betroffen als der Tourismus oder die Autoindustrie. Massive Hilfszahlungen vom Bund seien unerlässlich, sagte der Komponist Matthias Hornschuh, Mitglied des Aufsichtsrats der GEMA, im Dlf.

Matthias Hornschuh im Gespräch mit Stefan Koldehoff |
Blick in den Saal des Opernhaus im Staatstheater Nürnberg - die Ränge sind leer.
Coronavirus - Opernhaus Nürnberg (picture alliance/dpa | Daniel Karmann)
Kultur gilt als Lebensgrundlage für Millionen von Menschen. Der Kultursektor liegt umsatzbezogen in Europa noch vor der Telekommunikations-, der Hightech-, der Pharma- und sogar der Automobilindustrie. Kultur ist deshalb ein enormer Wirtschaftsfaktor – nicht zuletzt für all jene, die von ihr leben. Was die Pandemie-Situation für sie bedeutet, hat zum ersten Mal eine EU-weite Studie untersucht – und belegt. 22 europäische Rechteverwertungs-Gesellschaften waren an ihr beteiligt, für Deutschland unter anderem die GEMA. Der Komponist Matthias Hornschuh ist Mitglied des Aufsichtsrats der GEMA.
Corona-Pandemie - "Kultur merkwürdigerweise in dieser Krise marginalisiert" Man könne auf Kultur in schlechten Zeiten nicht verzichten, sagte der ehemalige Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin im Dlf. Er fordert in der Corona-Pandemie mehr Unterstützung für die Kulturszene.
Stefan Koldehoff:Was hat die EU-Studie "Rebuilding Europe" zur Lage der Kultur ergeben?
Matthias Hornschuh: Na ja, die Studie zeigt schon auf, dass wir in einer, ich glaube für die Öffentlichkeit unerwartet dramatischen Situation uns befinden. Man kriegt ja mit, dass die Künstlerinnen und Künstler da draußen sich lauthals und laufend beschweren, und ich glaube, vielen ist nicht klar, dass das ernst zu nehmen ist. Wir haben eine Situation, in der dem gesamten Veranstaltungsbereich, das heißt allem, wo Präsenz sozusagen notwendig ist, um es durchführen zu können, komplett der Stecker gezogen worden ist. Das heißt, dass alle, die als Interpreten auf Bühnen gehen – ob das Schauspieler*innen oder vorlesende Schriftsteller*innen oder eben auch der gesamte Bereich der Musik ist –, dass die alle vor genullten Einkommenssituationen stehen, und das heißt konkret, dass die gesamten Veranstaltungen, die nicht stattfinden, auch nicht lizenziert werden. Das heißt, in einem nachgelagerten Schritt ist es so, dass die Autorinnen und Autoren alle Inhalte, die auf die Bühnen gebracht worden wären in dem vergangenen Jahr und in dem laufenden Jahr, jetzt plötzlich vor einer Situation stehen, wo sie keine Einnahmen erwirtschaften konnten über den Live-Betrieb, und das ist das, was die Öffentlichkeit halt gar nicht sieht.

Keiner will Verantwortung übernehmen

Koldehoff: Und das lässt sich auch sehr konkret jetzt mit dieser Studie quantifizieren.
Hornschuh: Das lässt sich in Zahlen fassen, ja...
Koldehoff: … minus 200 Milliarden Euro 2020 im Vergleich zu 2019, das ist ein Minus von 31 Prozent, ein größeres Minus als beispielsweise in der Tourismusbranche oder in der so viel gepriesenen Automobilbranche. Was bedeutet das konkret? Hören Sie von Kolleginnen und Kollegen, die jetzt Transferleistungen, Sozialleistungen beziehen, oder reicht das aus, was man versucht an Kompensationen zu zahlen?

Umsatzeinbußen in der Kultur- und Kreativwirtschaft

Statistik über die Geschätzte Umsatzänderung 2019-20 nach Teilmärkten der Kultur- und Kreativwirtschaft
Die Kulturbranche befindet sich in einer dramatischen Krise (Rebuilding Europe - Die Kultur- und Kreativwirtschaft vor und nach COVID-19)
Hornschuh: Nein. Man muss sehr deutlich sagen, dass das absolut überhaupt nicht reicht, was hier passiert, und zwar auf mehreren Ebenen. Ich glaube, man muss ein kleines bisschen ausholen: Wir haben ja hier das Thema Kultur im Raum stehen, eng verbunden mit dem Bereich Medien, und beides sind Landeshoheiten in unserem föderalen System. Das heißt, der Bund hat eigentlich nur koordinierende Aufgaben an der Stelle, aber wir bewegen uns gleichzeitig in durch den Bund koordinierten faktischen Arbeitsverboten. Das heißt, in dem Moment, wo die gesamte Veranstaltungsbranche lahmgelegt wird, haben wir jetzt die Situation, dass keiner bereit ist, die vollständige Verantwortung zu übernehmen. Und tatsächlich müssen wir feststellen, dass nach einem Dreivierteljahr dieser Krise bei vielen Betroffenen bislang keine Hilfe angekommen ist. Deswegen ist es ja auch so, dass wir im Moment bundeseinheitliche Lösungen fordern und uns nicht mehr darauf vertrösten lassen wollen, dass im Föderalismus die Bundesländer für Kultur zuständig seien, denn wir haben es hier nicht mit Kulturförderung zu tun, sondern wir haben es hier mit dem sozialversicherungsrechtlichen Status quo einer sterbenden Branche zu tun, wo die Künstler*innen und wo aber auch die gesamten administrativen Umfelder – im Umfeld von Toningenieuren, Tontechnikern, Stagehands, Roadies, Bookern, Kuratoren – absolut vor dem Aus stehen. Wir wissen nicht mehr, ob es überhaupt noch die ganzen Spielstätten und Locations geben wird, in denen Veranstaltungen stattfinden können, wenn wir aus der Krise rauskommen. Und vor allem wissen wir jetzt auch schon, dass, wie ich schon sagte, über den Tantiemenverlust für einen Teil der Branche die Krise jetzt erst beginnt, weil nämlich die Ausschüttungsproblematik dann ab dem Folgejahr jeweils erst greift.

Kultur ist ein Wirtschaftsfaktor

Koldehoff: Und wir reden europaweit von 7,6 Millionen Menschen, wir reden von einer Branche, die größer ist als die der Telekommunikation, Hightech-, Pharma- oder Automobilindustrie. Leitet die Studie, über die wir hier sprechen, Forderungen ab, gibt es, eine haben Sie gerade schon genannt für Deutschland, aber insgesamt Forderungen?
Hornschuh: Es gibt drei wesentliche Bereiche, in denen die Forderungen angesiedelt sind. Ich werde die kurz vorstellen in der Reihenfolge, in der sie in der Studie aufgeführt sind: Zunächst mal geht es um massive öffentliche Finanzspritzen für den Sektor. Dann geht es um das Überleben dieser Branche, dann geht es um zweitens einen soliden Rechtsrahmen, Stichwort Urheberrecht. Wir müssen endlich in eine Situation kommen, wo unsere Arbeit in dem Moment, wo sie genutzt wird, auch zu einer Vergütung führt, und zwar zu einer einklagbaren. Diese Situation haben wir noch nicht, weil nämlich in den europäischen Nationalstaaten überwiegend die EU-Urheberrechtsrichtlinie aus dem Jahr 2019 noch nicht in Geltung gebracht worden ist, insbesondere auch nicht in Deutschland. Und schließlich geht es um den Punkt drei der Forderungen, der ist überschrieben mit dem Begriff der Soft Power, und das verweist auf die sogenannte Doppeldefinition oder den Doppelcharakter kultureller Güter. Wir haben es ja bei kulturellen Gütern definitionsgemäß damit zu tun, dass sie immer Güter eines Marktes, aber zugleich auch der Kultur an sich sind. Darauf verweist diese Forderung drei, man solle die Soft Power der Kultur nutzen, um den gesellschaftlichen Fortschritt und den gesellschaftlichen Zusammenhalt anschließend mehr zu stärken. Und damit ist auch die Forderung verbunden, die Expertinnen und Experten aus der Kultur in die Verwaltung der Kultur miteinzubinden.

Ein ganzes System wird infrage gestellt

Koldehoff: Sie haben von einer sterbenden Branche gesprochen, das ist ein starkes Wort. Wie viel Zeit ist denn Ihrer Meinung nach noch, bis wir den Deckel am Sarg zumachen müssten?
Hornschuh: Wir haben keine Zeit mehr, das muss man leider mittlerweile sehr deutlich sagen. Ich hab heute noch mit einer Bundestagsabgeordneten aus dem Kulturbereich gesprochen, die sagte, wir bemühen uns an der Stelle und an der Stelle, und da und da hakt es. Das Ding ist, wir können uns nicht mehr leisten, länger zu warten. Ich hab monatelang meinen Kolleginnen und Kollegen zu erklären versucht, dass die Verwaltung genauso überfordert ist von der Situation wie wir, dass da auch Menschen sind, die im Lockdown sind, die Familien haben und Angst. Tatsache ist aber, wir können auf Dauer nicht mehr akzeptieren, dass uns nicht geholfen wird und dass ständig Verantwortungen in andere Bereiche abgeschoben werden. Wir können nicht mehr akzeptieren, dass der Bund sagt, es seien Kulturbefindlichkeiten und die müssten halt die Länder lösen, sondern wir brauchen jetzt einfach Lösungen, weil, wie wir aus Studien zum Beispiel in Berlin wissen, mittlerweile ein Viertel bis ein Drittel der professionellen Musikerinnen und Musiker überlegt, den Beruf aufzugeben. Und das sind Personen, die nicht einfach nur für sich selbst wirtschaften, sondern natürlich ernähren die Familien und vor allem beschäftigen die auch immer noch andere Personen in ihrem Umfeld. Die beschäftigen den Musikalienhandel, den Notenhandel, die unterrichten, die sind günstige Lehrkräfte an Musikschulen und so. Das heißt, wir haben es hier mit Systemzusammenhängen zu tun, die wirklich infrage gestellt sind, und wir können nicht mehr länger akzeptieren, dass – auf Bundesebene zumal – immer wieder unterstellt wird, Kultur müsse man ja nicht ernsthaft wie Wirtschaft behandeln. Wir sind ein Wirtschaftsfaktor, noch dazu sind wir auch Kultur, aber das war schon immer so, das könnte man doch irgendwann mal verstanden haben.

Ohne Tantiemen kaum Einkünfte

Koldehoff: Wenn wir jetzt zum Schluss noch mal ganz kurz vom Wirtschaftsfaktor Kultur und vom Lebensmittel, vor allem für die dort tätigen Menschen, zur Kultur selbst kommen, was bedeutet es für Sie selbst, die augenblickliche Situation? Sie sind Komponist, wenn nicht mehr aufgeführt wird, wird dann auch nicht mehr komponiert?
Hornschuh: Es ist für mich so, dass ich glücklicherweise im letzten Jahr einen zusätzlichen Auftrag reinbekommen habe, mit dem ich zu Jahresbeginn nicht gerechnet habe, der mich gerettet hat. Es ist aber so, dass ich aus meinem Umfeld weiß, dass viele Komponisten, die im Film- oder im Hörspielbereich unterwegs sind, dass die das Problem hatten, dass Filmproduktionen gar nicht zu Ende geführt wurden, dass Filme nicht fertiggestellt wurden. Insofern kam der Auftrag erst mal gar nicht an. Wenn aber ein Auftrag nicht fertiggestellt wird, dann beginnt auch das Spiel mit dem Tantiemenverdienst plötzlich wacklig zu werden, und dann sind wir bei der Gema. Deswegen ist es ganz wichtig, dass man sich klarmacht, dass in einer Studie – das ist eine andere Studie, die Musikwirtschaftsstudie aus dem Dezember des letzten Jahres, die zeigt, dass im Moment 77 Prozent der Gesamteinkünfte von Musikautoren in Deutschland von der Gema kommen. Das macht so ein bisschen deutlich, was für ein abstraktes Geschäftsmodell das ist und wie hoch brisant die Situation in dem Moment ist, wo die GEMA mit anderen Verwertungsgesellschaften laut darauf hinweisen muss, dass die Einkünfte zusammenbrechen. Das bedeutet nämlich, dass wir einen Rattenschwanz von notwendigen systemischen Folgen vor uns sehen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.