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Kultur nach Corona
Es zischt und knistert

Die Auswirkungen der Coronakrise auf den Kulturbetrieb sind dramatisch - wirtschaftlich wie künstlerisch. Doch wie geht es jetzt weiter mit den Künsten: Abgesang oder neue Chancen? Erste Einblicke von Ersan Mondtag, Sebastian Pufpaff, Dagmar Schönleber und Berit Glanz in die Post-Corona-Kultur.

Von Peter Backof |
Der Theaterregisseur Ersan Mondtag
Der Theaterregisseur Ersan Mondtag (dpa / picture alliance / Soeren Stache)
Berit Glanz: "Ich frag' mich, ob die Leute sich daran gewöhnen, dass Dinge alle ein bisschen hausgemacht klingen im Radio. Das sieht man ja jetzt bei den ganzen Videochats: Alle finden das vollkommen in Ordnung, dass es verpixelt ist. Das finde ich eigentlich ganz schön."
Meint Berit Glanz - Romanautorin, Literaturwissenschaftlerin. Wenn es am Telefon knistert und zischt wie einst bei "Domian" tief in der Nacht, dann ist das ja auch: Nähe, Vertrautheit. Von wegen Social Distancing. Sie hören den Deutschlandfunk. Telefonkonferenz. Hausgemacht! Und auch mit düsteren Prognosen.
"Sebastian Pufpaff hier, ich grüße Sie! Also ich glaube, wenn wir diese Krise die nächsten anderthalb Monate erleben werden, dann wird fünfzig Prozent der Kultur platt sein. Also die wird es nicht mehr geben. Die werden pleite sein."
Klassische Humorformate funktionieren nicht mehr
Schluss mit "Happy Hour", in jeder Hinsicht?
"Einer meiner letzten Auftritte, in Wiesbaden im Schlachthof, das war kurz vor dem absoluten Lockdown. Da hatte mich der Veranstalter auch gebeten: Bitte lass´uns diesen Auftritt machen, weil: Du finanzierst damit zwanzig andere Künstler, die nicht ausverkauft sindund ich kann sonst sofort zumachen."
Geht nicht mehr. Aber was wird überhaupt noch gehen? Klassische Humorformate sind jetzt auf einmal lustig. Nicht.
"Die Stimmung war so schwierig, es war richtig Arbeit. Es ist so, als würde man mit einem abgelenkten Menschen versuchen zu reden, der die ganze Zeit alles andere als wichtiger ansieht. Ich habe auch überlegt: 'Ja komm, dann mache ich jetzt mal eine Show im Autokino.' Dann spiele ich vor 400 Autos und hupe? Also das kann's ja auch nicht sein! Ich kann da auch nur den Blick in die Glaskugel wagen, um zu sagen: Ich habe keine Ahnung, wie es in Zukunft aussehen wird."
Corona verändert Kultur nachhaltig
Ersan Mondtag: "Theater oder auch Oper, ist ja einer der letzten öffentlichen Plätze, die man als Gemeinschaftserlebnis hat."
Ersan Mondtag, Theatermann erweitert den Blick. Seine Pop-Oper "Antikrist" ist auf Eis gelegt. Und kann vielleicht nie mehr aufgetaut werden. Aber das ist nicht das Problem, sondern: Corona verändert alles nachhaltig, ist keine Episode, kein Urlaub.
"Man kann nicht einfach da weiter machen, wo man aufgehört hat. Dass man einfach sagt: 'Gut, jetzt machen die Theater für drei, sechs oder meinetwegen zwölf Monate zu, und dann ist diese Pandemie irgendwie durch einen Impfstoff behoben, und dann machen wir einfach dort weiter, wo man aufgehört hat.' Ich glaube, man muss nochmal komplett neu überlegen, was man am Theater überhaupt noch erzählen kann jetzt. Und wofür. Zumal wir auch extrem viel Geld kosten; das ist ja nicht günstig, was wir tun. Und das ist glaube ich jetzt zum ersten Mal, wo man sich die Frage stellen kann: Können wir der Gesamtgesellschaft etwas Produktives zurückgeben, sie transformieren? Das ist ja der größte Traum jedes Theatermachers: an die Veränderbarkeit der Welt zu glauben."
Oder dichtmachen, weil entbehrlich, nicht systemrelevant genug? Hauen und Stechen um Geld ist im vollen Gange. Und Online-Theater, hausgemacht, täte es ja auch?
Dagmar Schönleber: "Auf der einen Seite ist es Wahnsinn, was gerade an Kreativität passiert, wo so zu Hause möglich ist, das hätte man vor zwei Monaten nicht gedacht.
Dagmar Schönleber, Kabarettistin, Musikerin. Aber auf der anderen Seite:
"Ich tue mich wahnsinnig schwer, ein Wort ohne ein Feedback in eine Kamera zu reden. Mit Musik fällt mir das leichter, weil da einfach zwischendurch was ist, wo der Lacher sein sollte: Gerade im klassischen Kabarett ist natürlich zwei Drittel des Publikums auch klassische Risikogruppe, allein altersmäßig. Ähm."
Trotzdem kein Corona-Roman
Eben. Lustig, nicht: Wenn das Publikum fehlt; und an dem Anglizismus "Social Distancing" vielleicht doch etwas dran ist. Entsteht gerade eine Fern-Gesellschaft? Aber noch mal Berit Glanz. Schriftstellerinnen, Literaturwissenschaftlerinnen - meistens ohne Bühnensituation -, sind das nicht die Homies, die Homeoffice per se drauf haben – und sich derzeit privilegiert fühlen können?
"Naja, es ändert sich zu Beispiel für alle, die Kinder zu Hause haben, doch ganz schön viel. Wenn man alle paar Minuten unterbrochen wird, weil man einen Legostein finden muss. Aber ich arbeite an einem zweiten Roman, an dem habe ich letztes Jahr auch schon gearbeitet."
Museen und Verlage fordern auf: Schicken sie uns Ihre Fotos und Corona-Diaries. Das ist ja schließlich auch die Frage: Das Virus selbst, als Thema der Künste. Lustig. Wichtig. Nicht?
Berit Glanz: "Viele Leute sagen: Ich möchte keinen Corona-Roman lesen! Aber warum denn eigentlich nicht. Ich kann mir das durchaus sehr spannend vorstellen, wenn das jemand gut umsetzt. Das Thema Liebe, das kennt doch auch jeder. Trotzdem erzählen wir das seit Tausenden von Jahren immer wieder neu."