Wer nach einem Wort in einer anderen Sprache sucht, klickt heutzutage meist online auf ein Wörterbuch und bekommt eine schnelle Antwort. Gibt man zum Beispiel das deutsche Wort "traurig" ein, bekommt man auf Englisch gleich das Wort "sad" angezeigt. Das klingt eindeutig. Was aber ist mit dem portugiesischen Wort "saudade", das eine ganz spezielle melancholische Sehnsucht beschreibt? Seine Bedeutung deckt sich weder ganz mit der von "traurig" noch mit der von "sad".
Eine internationale Forschergruppe nahm diese Vielfalt emotionaler Wortbedeutungen nun systematisch unter die Lupe. Sie untersuchte das Phänomen der so genannten Kolexifikation. Der Psychologe Joshua Jackson von der University of North Carolina ist Erstautor der Studie.
"Kolexifikation heißt, dass wir oft Wörter benutzen, die zwei oder mehr Bedeutungen oder Konzepte ausdrücken. Im Englischen haben wir zum Beispiel das Wort 'funny', das sowohl 'lustig' als auch 'merkwürdig' bedeuten kann."
Genau wie das deutsche Wort "komisch".
Forscher durchforsteten linguistische Datenbanken
Das Team um Joshua Jackson untersuchte in der bisher umfangreichsten empirischen Studie zu diesem Thema, wie sich solche emotionalen Wortkonzepte zwischen unterschiedlichen Sprachen ähneln oder unterscheiden. Dazu nutzten die Wissenschaftler eine riesige Datenbank, deren Aufbau maßgeblich vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena geleitet wurde. Diese bündelt die Kolexifikationen von Wörtern aus fast 2.500 Sprachen, die Linguisten in mühevoller Kleinarbeit seit dem 19. Jahrhundert gesammelt haben. Das Forscherteam digitalisierte dieses Material mit insgesamt 66.000 Kolexifikationen.
"Mit diesem digitalen Datensatz kann man dann wirklich große Analysen quer durch die ganze Welt der Sprachen durchführen, um zu sehen, wie sie Emotionen behandeln. Dabei fanden wir global gesehen eine riesige Variation der emotionalen Bedeutungskonzepte. In indoeuropäischen Sprachen wie dem Englischen und Deutschen ist 'Liebe' zum Beispiel mit Konzepten wie 'Wärme', 'Zuneigung' und 'Glück' verbunden. Austronesische Sprachen, die zum Beispiel in Madagaskar oder Neuseeland gesprochen werden, verbinden 'Liebe' dagegen mit 'Mitleid'."
Das spricht dafür, dass die Bedeutung von Emotionen auch stark kulturell geprägt ist. Ein Befund, der Kulturwissenschaftler zwar nicht überraschen dürfte, der nun aber durch umfangreiche Datenanalysen bestätigt wurde. Wobei sich ein Teil der gefundenen Unterschiede auch auf geographische Faktoren zurückführen ließ.
Eine universelle Sprache der Gefühle?
"Sprachfamilien, die geographisch nah beieinander liegen, verstehen Emotionen ähnlicher als weit voneinander entfernte. Da geographisch nah beieinander liegende Sprachfamilien wahrscheinlich häufiger durch Handel, Kriege oder Migration miteinander in Kontakt geraten, legt das nahe, dass die Bedeutung von Emotionen übertragbar ist".
Das Team um Jackson fand aber auch Belege für universelle Gemeinsamkeiten emotionaler Wortbedeutungen.
"Wir entdeckten, dass alle Sprachfamilien primär zwischen angenehmen und unangenehmen Emotionen unterscheiden. 'Neid' und 'Ärger' zum Beispiel, die beide unangenehme Emotionen sind, werden sehr oft miteinander in Verbindung gebracht. 'Glück' als angenehme und 'Ärger' als unangenehme Emotion dagegen nur selten."
Differenzierte Antworten auf eine uralte Streitfrage
Eine ähnliche Beziehung fand das Forscherteam zwischen Emotionen mit hohem Erregungsgrad wie "Zorn" und solchen mit niedrigem Erregungspotenzial wie "Trauer". Für Joshua Jackson sprechen diese Ergebnisse dafür, die uralte Streitfrage, ob Emotionen eher universale und biologische oder eher kulturelle Qualitäten sind, differenziert zu beantworten.
"Es gibt Komponenten von Emotionen, die universell sind und die wir als 'Affekte' bezeichnen. Dazu gehören angenehme Gefühle. Es gibt aber große Unterschiede, wenn es darum geht, diesen Basisemotionen einen Sinn zu verleihen. Emotionen sind daher nie ausschließlich biologisch oder kulturell zu verstehen. Und unsere Studie hilft dabei, genauer zu unterscheiden, was an Emotionen universell und was kulturell bedingt ist."