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Kultur und Gesellschaft
Südafrikas Klassik-Szene dörrt aus

Südafrikas Bühnen für klassische Musik werden zunehmend rar. Zuletzt musste die Gauteng-Oper in Johannesburg aufgrund von Finanznot den Betrieb einstellen. Die Situation für Nachwuchskünstler wird dadurch immer schwieriger: Sie haben kaum eine Chance, von ihrer Kunst zu leben und verlassen das Land.

Von Niklas Rudolph |
    Blick über Johannesburg
    Gauteng Opera in Johannesburg bot 18 Jahre lang Profis und Nachwuchskünstlern gleichermaßen Bühne und Auskommen (imago/robertharding)
    Klassische Musiker aus Südafrika sind keine Seltenheit. Während man lange Zeit nur Namen wie Daniel Hope oder Johann Botha kannte, ist es im Moment vor allem der Nachwuchs, der die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Beim Gütersloher Opernwettbewerb "Neue Stimmen" etwa kamen im letzten Jahr vier der 42 Teilnehmer aus Südafrika.
    "Singen ist uns einfach in die Wiege gelegt. Wir singen in unseren Familien, in der Kirche, in den Gemeindechören, wo wir auch Opernmusik kennen gelernt haben. So werden wir immer mehr."
    Gauteng-Oper von Johannesburg musste schließen
    Beeindruckend, dass mindestens vier Universitäten in Südafrika junge Opernsänger ausbilden. Doch werden zunehmend die Bühnen rar, an dem sie ihrem Beruf nachgehen können. Das jüngste Opfer ist die Gauteng-Oper von Johannesburg, die gestern ihre Pforten für immer geschlossen hat. Der Manager Arnold Cloete:
    "Wir haben viele Einrichtungen, die Opernsänger ausbilden. Aber es gibt einfach keinen Ort mehr, an dem sie ihre Kunst ausüben können. Und was uns am meisten beunruhigt, ist – wenn wir gehen, dann ist die Oper in Kapstadt als nächstes dran."
    Denn überall in Südafrika haben es Kultureinrichtungen wie Opernhäuser, Orchester und Theater zunehmend schwerer, an staatliche Fördergelder zu kommen. Arnold Cloete erzählt, wie sich die Vergabepraxis verkompliziert hat:
    "Man bekommt zum Beispiel nur Förderung für ein Jahr. Danach darf man sich ein weiteres Jahr lang nicht wieder bewerben. Praktisch muss man dann anderthalb Jahre ohne Förderung auskommen - das ist einfach nicht nachhaltig."
    Die Spielorte können sich für einzelne Produktionen Honorare, Material- und Fahrtkosten erstatten lassen. Aber auf ihren institutionellen Kosten bleiben die Häuser sitzen. Ganz konkret: Arnold Cloete konnte seine Telefonrechnungen nicht mehr bezahlen. Fragt man nach den Gründen für den Wegfall der Förderung, herrscht bei den staatlichen Stellen Schweigen, entsprechende Anfragen werden nicht beantwortet. Und das ist Wasser auf die Mühlen südafrikanischer Rechtsextremisten, die System hinter den Vorgängen vermuten. Vorgänge, die mit Oper erstmal gar nichts zu tun haben.
    Vermögens-Schere geht weiter auseinander
    Seit einiger Zeit geht in Südafrika die Vermögens-Schere zwischen weißer und schwarzer Bevölkerung wieder weit auseinander. Ein Großteil des fruchtbaren Lands liegt in den Händen einiger weniger weißer Farmer und eine Landreform aus der Zeit Nelson Mandelas hat bis heute wenig daran geändert. Daher hat das südafrikanische Parlament erst vor kurzem dafür gestimmt, das Land weißer Farmer ohne Entschädigung zu enteignen.
    Rechtsextremisten schüren nun Verschwörungstheorien: Die südafrikanische Regierung wolle die weiße Bevölkerung auslöschen, ihre Kultur vernichten – auch das Ende der Gauteng Opera wird dort als Beleg angeführt. Doch ganz so einfach macht es sich Arnold Cloete, Leiter der Gauteng Opera, nicht:
    "Es gibt viele Gründe. In den 80ern und 90ern, als Oper in Südafrika eine große Sache war, gab es noch kein Netflix und keine Heimkinoanlagen. Heute haben die Leute so viel Komfort zu Hause, dass sie gar nicht mehr rauswollen. Auch die gestiegene Kriminalität hat vielleicht dazu beigetragen, dass die Leute sich abends nicht mehr raustrauen. Und dann natürlich noch, dass eine ganze Generation von Opernliebhabern einfach ausstirbt."
    "In ganz Europa spricht man vom 'Silbersee' im Opern-Publikum. Das ist natürlich hier genauso – aber wir haben hier eine größere, potenzielle Zielgruppe", sagt Paul Boekkooi.
    "Natürlich hat sich die kulturelle Perspektive nach 1994 enorm verschoben"
    Seit vielen Jahrzehnten ist er eine Konstante im Kulturleben Südafrikas. Als weißer Journalist hat er das Ende der Rassentrennung 1994 und die neue Kulturpolitik der Mandela-Jahre mitverfolgt:
    "Natürlich hat sich die kulturelle Perspektive nach 1994 enorm verschoben. Wir, als privilegierte weiße Bevölkerung hatten immer nur eine Auswahl an europäischer Kunst, Musiktheater, Oper und viele weitere Nischenkünste. Aber plötzlich, nach 1994, standen wir vor der Herausforderung eine riesige kulturelle Vielfalt unter einen Hut zu bekommen."
    Bis zum Ende der Apartheid waren die Bühnen noch ein Symbol für die vermeintliche Überlegenheit westlicher oder in Anführungszeichen "weißer" Kultur. Der schwarzen Bevölkerung blieben die Türen verschlossen. Auch war es den Häusern strikt verboten, schwarze Menschen einzustellen.
    "Als ich noch jung war, bin ich immer wieder damit konfrontiert worden, dass die Politik im "alten" Südafrika die Kunst eingesetzt und kontrolliert hat, auch um Leute daran zu hindern, sich gegen das Apartheid-Regime aufzulehnen."
    Als das Land dann 1994 freie Wahlen abhielt und Nelson Mandela zum ersten schwarzen Präsidenten wählte, radierten die neuen Machthaber auch die meisten dieser Machtsymbole von der Landkarte. Die staatlichen Mittel flossen in neue Projekte:
    "Street Art, Malerei, Skulpturen, und so weiter – Künste also, die es auch im vorkolonialen Afrika schon gegeben hat. Und mit Erfolg – viele wichtige Kunstgalerien kommen nach Südafrika, um die besten Arbeiten für den internationalen Markt zu bekommen."
    Der Bedarf an klassischer Musik in Südafrika steigt
    Dazu kommt noch, dass aus staatlicher Sicht in Südafrika der Kampf für die Künste direkt mit dem Kampf gegen Armut konkurriert. Das südafrikanische Amt für Statistik bezeichnet über die Hälfte der Einwohner des Landes als arm, darunter vor allem die schwarze Bevölkerung, Frauen – und Kinder und Jugendliche. Jeder dritte Südafrikaner hat seinen 15. Geburtstag noch vor sich. Doch genau das kann auch eine Chance für die Kultur im Land sein. Denn wenn man diese Zielgruppe erreicht, so Paul Boekkooi, schafft man Publikum und Künstler der Zukunft:
    "Und ich freue mich sehr darüber, dass die Orchester in Südafrika – die drei großen sind in Johannesburg, Durban und Kapstadt – dass sie über die Hälfte ihrer Dienstzeit in Townships verbringen, wo sie ihre Musik Kindern und Schülern zeigen."
    Der Bedarf an klassischer Musik in Südafrika steigt. Aber durch günstigere Flugpreise und eine Vielzahl an europäischen und nordamerikanischen Wettbewerben nutzen südafrikanische Nachwuchskünstler zunehmend die Chance, im Ausland Karriere zu machen. Denn in Südafrika haben sie kaum Chancen, von ihrer Kunst zu leben – Südafrikas Klassik-Szene dörrt aus.
    "Die Regierung sollte viel mehr tun, um Gesang und Oper in Südafrika voran zu bringen. Je mehr Künstler und Kompositionen wir auf internationale Bühnen bekommen, desto besser für Südafrika. Und ich bin mir sicher, dass dann viele erfolgreiche Südafrikaner hierher zurückkehren werden, um ihre Fähigkeiten an eine neue Generation weiterzugeben."