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Kulturakademie Tarabya in Istanbul
Inspiration am Bosporus

Wer als Tourist in die Türkei reist, hat vielleicht auch Politik im Hinterkopf. So geht es derzeit deutschen Künstlern, die als Stipendiaten zwei bis drei Monate in der Kulturakademie Tarabya in Istanbul leben und arbeiten - ein Ort, an dem deutsch-türkische Geschichte sichtbar wird.

Von Mirko Heinemann |
    Die Kulturakademie Tarabya in Istanbul
    Die Kulturakademie Tarabya in Istanbul (imago / photothek)
    "Es ist eine unglaubliche Energie. Da fahren diese Schiffe vorbei, diese Container, die Tanker. Ich finde es beruhigend und aufregend zugleich." "Das ist natürlich ne beeindruckende Stadt, ein beeindruckender Ort und beeindruckende Menschen hier vor allem, finde ich."
    "Es fühlt sich ein bisschen diplomatisch an. Es ist sehr diplomatisch. Aber komischerweise, dadurch dass hier Künstler wohnen, enthebelt das wiederum dieses Botschaftliche, finde ich, das Innenleben."
    "Es ist wirklich ein zauberhafter Ort. Man sitzt unter Palmen, blickt auf den Bosporus, sieht die großen Schiffe vorbeiziehen, die Dampfer in Richtung Schwarzes Meer, und die Delfine, die hinterher springen."
    Künstlerhaus mit Blick auf den Bosporus
    Am besten nimmt man in Istanbul eine der Fähren, die den Bosporus entlang schippern. Nach einer guten Stunde ist man da. Dort liegen sie am Ufer, die vier schneeweißen Häuser der Deutschen. Eine Mauer trennt sie von der quirligen Küstenstraße. Dahinter ist es ruhig. Hoch am Mast weht die deutsche Fahne, daneben die blaue mit den gelben Sternen. Das Türmchen und der achteckige Balkon am Haupthaus, eine Reminiszenz an die osmanische Bautradition, bilden einen schönen Kontrast. Ansonsten könnte das Ensemble so auch in einem deutschen Ostseebad stehen.
    Blick von Tarabya am Bosporus, Istanbul
    Blick von Tarabya am Bosporus, Istanbul (imago / Danita Dalimont)
    Das Haupthaus wird nur für diplomatische Anlässe geöffnet. Die eigentliche Attraktion ist das Nebengebäude. Hier leben die Künstler. Im Erdgeschoss wohnt Angelika Overath, Schriftstellerin. Von ihrem Schreibtisch aus genießt sie einen spektakulären Blick auf den Bosporus. Sie arbeitet an einem Roman, der im historischen Istanbul spielt:
    "Ich sag schon Konstantinopel, weil ich bin gerade im 15. Jahrhundert."
    Im Jahr 1880, als Istanbul immer noch Konstantinopel hieß und Hauptstadt des Osmanischen Reichs war, machte Sultan Adbdülhamid dem deutschen Kaiser ein großzügiges Geschenk: ein Stück Land am Bosporus. Dort sollten die Diplomaten sich vom Stadtleben erholen.
    "Wenn man am Schreibtisch sitzt, verblödet man ja. Also man muss sich bewegen, unbedingt. Ich versuche jeden Tag rauszugehen, je nachdem wie das Wetter ist. Ich fahre nach Yenikoy und fahre mit der Fähre rüber, gehe dann ein bisschen in der Abendsonne spazieren. Denn die asiatische Seite hat noch ungefähr eine Stunde mehr Sonnenlicht."
    Zelebrierung des deutsch-türkischen Bündnisses
    1887 wird in Tarabya die Botschafter-Residenz eröffnet, im 1. Weltkrieg wird hier das deutsch-türkische Bündnis zelebriert. Nach dem Untergang des Osmanischen Reichs zieht die neue Regierung der Türkei nach Ankara um - und damit auch die deutsche Botschaft. In Tarabya passiert nicht mehr viel. 2011 beschließt der Bundestag, hier eine Kulturakademie zu gründen. Betreiber ist das Auswärtige Amt, die Organisation übernimmt das Goethe-Institut.
    Der Komponist Stefan Lienenkämper wohnt ganz oben unter dem Dach. Der Verkehrslärm, der über die Mauer schallt, ist der Preis für den erhabenen Blick:
    "Und im Sommer, man geht hier in den Bosporus. Man springt da rein, also nicht hier vorne, aber gleich neben dem Big Chef, dieses Restaurant. Da ist tatsächlich eine kleine Badestelle, wo auch Kinder reingehen."
    Während Stefan Lienenkämper sich gern beim Bad im Bosporus erholt, entspannt Angelika Overath lieber am Ort der letzten Ruhe:
    "Ist natürlich schon schön oben auf dem Friedhof. Ist auch sehr beruhigend, diese ganzen jungen Toten, mein Gott."
    Deutsche Soldaten kämpften als Verbündete der Osmanen
    Die jungen Toten, das sind deutsche Soldaten, die in den Weltkriegen gefallen sind. Vor allem im 1. Weltkrieg, als deutsche Soldaten als Verbündete der Osmanen in Kleinasien, Anatolien, sogar in Persien kämpften. Auf dem Hügel sind die Gefallenen bestattet.
    Hier oben ahnt man, wie nobel das Geschenk des Sultans an die Deutschen war. Die Ausläufer des Bosporus verlieren sich im Dunst am Horizont. Die Meerenge, die Asien von Europa trennt, macht an dieser Stelle eine scharfe Biegung, bevor sie sich ins Schwarze Meer öffnet. Für Seeleute sind die schneeweißen Häuser erste Vorboten der großen Metropole. Der türkische Präsident Erdogan schätzt die Lage ebenfalls. Im Sommer residiert er gerne nebenan in der pompösen Villa Huber, die im 19. Jahrhundert ein Vertreter der Firma Krupp bauen ließ.
    Hinter den weißen Gebäuden erstreckt sich ein gepflegter Park mit Rosengarten und, wie es sich für eine deutsche Kolonie gehört, schließt sich ein Wald an, mit Nadelbäumen, Kastanien und Platanen. Dutzende kleine, grüne Papageien fliegen von Baum zu Baum.
    Es sind Halsbandsittiche, die aus dem asiatischen Raum stammen. Sie finden in Istanbul offenbar gute Lebensverhältnisse vor. Das Waldgebiet hinter der Residenz ist voll davon. So stellt man sich den Garten Eden vor.
    "Es soll ja keine Insel der Glückseligen sein, sondern auch ein sicherer Posten, von dem aus man aufbrechen kann in die Stadt, um sich dann zu vernetzen, um Künstler und Künstlerinnen zu treffen."
    Künstler in der Türkei unter Druck
    Zurück in der Wirklichkeit. Pia Entenmann ist die Kuratorin der Kulturakademie. Die junge Frau lebt seit einem Jahr in Istanbul, sie steht den Künstlern zur Seite und organisiert Treffen mit der türkischen Kulturszene. Alles könnte gut sein, wenn, ja, wenn nur nicht die leidige Politik wäre. Das harte Vorgehen der Regierung gegenüber Kritikern setzt auch die hiesigen Künstler unter Druck.
    "In den Bewerbungen sieht man auch, dass die Situation in der Türkei im Bewusstsein der Bewerber ist und auch ein Interesse besteht, die türkische Kulturszene zu unterstützen und nicht alleine zu lassen."
    Aus diesem Grund hat auch Tugsal Mogul, ein Theaterregisseur aus Münster, das Stipendium in Tarabya angenommen. Er hat seine Entscheidung nicht bereut.
    "Ich habe viele Kontakte knüpfen können mit den hiesigen Künstlern, auch türkischen, ich hab auch viel unternommen. Es ist halt beides möglich. Es ist sehr ruhig gelegen, man kann zuhause viel arbeiten, man kann aber auch die Stadt erkunden und losziehen."
    Er, dessen Familie ursprünglich aus Istanbul stammt, habe die Zeit in der Künstlergemeinschaft sehr genossen, sagt er. Zwei Monate war er hier. Jetzt, da die Zeit der Abreise näher rückt, kommt die Wehmut.
    "Jetzt habe ich noch drei Wochen und ich finde es sehr schade, dass es bald schon vorbei ist. Ich habe mich sehr wohl gefühlt hier."