Angefangen hat alles mit einer Zeitströmung. Gegen die Rede vom "Kampf der Kulturen" argumentierte Joana Breidenbach 2009 in "Seeing Culture everywhere", das sie gemeinsam mit dem ungarischen Autor Pál Nyíri veröffentlichte. Auf Deutsch hieß das Buch "Maxikulti", ein Titel, den der Verlag erfunden hatte, und den Joana Breidenbach so beschreibt: "Dass Kultur ein ganz fettes Etikett ist, das überall draufklebt und eine der dominanten Linsen, durch die ich versuche, die Welt zu verstehen. Statt die Welt zu verstehen durch wirtschaftliche Ungleichgewichte, statt durch vielleicht eine psychologische Mikroebene oder andere Erklärungsmuster, von denen Kultur nur eines ist."
Kultur sei aber etwas Fluides, das sich permanent wandele, wobei die Digitalisierung als Beschleuniger fungiert: "Für Menschen, die fähig sind, in dieser Geschwindigkeit mitzugehen und die diesen Wandel für sich auch als Chance begreifen, weil sie ihn mitgestalten können, ist das eine so spannende Zeit wie noch nie zuvor."
Digitalisierung ermöglicht Teilhabe und sozialen Fortschritt
Der Zugang zu diesem digitalen Wandel sei heute nicht mehr das Problem, wie Feldforschungen des Think Tanks "betterplace.lab" ergeben. "Menschen in Afrika gehen heute, ohne je einen Telefonanschluss besessen zu haben, direkt aufs Mobiltelefon und haben dadurch Zugang zu Dienstleistungen wie zum Beispiel einer Versicherung oder einem Bankkonto."
Eine Entwicklung, die Joana Breidenbach im Bereich der Digitalisierung sehr begeistert, ist der Aufbau von Feedback-Loops zwischen Menschen, die Begünstigte sind im Bereich sozialer Arbeit und den NGOs oder gemeinnützigen Trägern, die sie betreuen. "Bisher richten sich NGOs eher an den Geldgebern aus. Da werden häufig Maßnahmen angebahnt, die für die Menschen, denen sie zugute kommen, gar nicht interessant sind. Die Einrichtung von Feedback-Loops wird maßgeblich zur Verbesserung sozialer Arbeit beitragen."
Atemlose Entwicklung
Ein anderes Beispiel ist der Feldversuch der amerikanischen Organisation "Give Directly" mit dem bedingungslosen Grundeinkommen: Tausende Nigerianer erhalten über zehn Jahre lang übers Mobiltelefon Zahlungen, mit denen sie leben können. "Wir reden ja auch in Deutschland viel über das Grundeinkommen, haben aber nur sehr wenige Erkenntnisse über dessen kulturelle Folgen. Diese Entwicklung, Geld auszahlen zu können an eine große Gruppe von Menschen ohne zum Beispiel korrupte Mittelsmänner, ist eine hochinteressante Entwicklung."
Im Zuge der Digitalisierung verflüssige sich alles, so Joana Breidenbach. Ob Menschen da noch mitkommen, hat auch mit ihrer Sozialisation zu tun. Das Bedürfnis der Menschen nach Sicherheit und Zugehörigkeit stehe im Gegensatz zu Selbstausdruck, Innovation, Beweglichkeit, den die Digitalisierung und unsere globalisierte Wirtschaft erfordere. Sogar die digitalisierten Eliten empfänden sich gerade als "atemlos".
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