Dina Netz: Um die deutsch-französische Freundschaft ist es wieder besser bestellt, seitdem die "chère Angela" und der "liebe Emmanuel" sich gut vertragen. Das lässt nicht nur Deutsche und Franzosen aufatmen, nachdem Bundeskanzlerin Merkel mit Emmanuel Macrons beiden Vorgängern ja eher nicht so viel anfangen konnte. Auch Pro-Europäer sind erleichtert, dass das politische deutsch-französische Gespann wieder einigermaßen funktioniert. Und bald auch hoffentlich wieder in Schwung kommt, wenn Deutschland dann mal eine neue Regierung hat. Um die politische Freundschaft ist es 55 Jahre nach Unterzeichnung des Elysée-Vertrages also eher gut bestellt. Und wie ist es mit dem kulturellen Austausch? Darüber hat Joachim Umlauf einen guten Überblick, der Leiter der Goethe-Institute in Lyon und Marseille. Herr Umlauf, wenn wir ehrlich sind, dann sind wir doch in Deutschland eigentlich eher fokussiert auf die anglo-amerikanische Kultur statt auf die französische. Wenn wir mal die Literatur nehmen: Außer Houellebecq und Despentes sind französische Autoren in Deutschland kaum bekannt, und anders herum genau so. Das war mal anders, Sartre oder Camus sind auch in Deutschland Stars gewesen. Was würden Sie sagen: Wie groß ist das gegenseitige deutsch-französische Kultur-Interesse überhaupt?
Joachim Umlauf: Zum einen haben Sie natürlich recht. Das gilt aber für alle Länder immer, dass im Zuge der Globalisierung und dem Aufstieg der Populärkulturen der Blick aller sich in der Regel mehr in die englischsprachige Welt richtet als auf Nachbarn, nach Italien, Frankreich oder in andere Länder. Mit anderen Worten, dass die Kultur von dort immer nur teilweise rezipiert wird. Zum anderen haben Sie, gerade was die Literatur betrifft, nicht völlig recht, denn Frankreich war ja auf der Frankfurter Buchmesse im letzten Oktober Ehrengast und man hat sowohl gesehen, wie lebendig die französische Kulturszene im Bereich der Literatur ist, wieviel auch übersetzt wird. Man darf nicht vergessen, dass Frankreich und Deutschland zu den Ländern gehören, die die meisten Übersetzungen herstellen, die am meisten fremdsprachige Literatur ins eigene Land einfließen lassen.
"Darm mit Charme" war auch in Frankreich sehr erfolgreich
Was den einzelnen Erfolg dann betrifft wiederum, gilt das, was Sie sagen, für die deutsche Literatur in Frankreich leider ja. Sie wird kaum mehr wahrgenommen. Auf jeden Fall die Autoren, die wir wirklich gut finden, die bei uns bekannt sind, Daniel Kehlmann beispielsweise, Juli Zeh, werden zwar hier verlegt, erreichen aber in der Regel relativ knappe Auflagenzahlen. Das ist nicht unbedingt bei den Franzosen gleich. Da gibt es eine Reihe von Autoren. Sie haben Houellebecq erwähnt. Aber wenn Sie an andere denken, die eher dem leichteren Genre zuzuordnen sind wie Musso und andere, dann erreichen sie doch auch ganz gute Auflagenzahlen. Und interessanterweise im Bereich zum Beispiel der Krimis, im Bereich der Ratgeber und Ähnlichem gibt es dann zum Teil große Verlegererfolge wie beispielsweise das Buch von Judy Enders, "Darm mit Charm", hat zum Beispiel auch hier einen sehr großen Erfolg gehabt.
Netz: Jetzt haben Sie, Herr Umlauf, ein Buch über die Rolle der Kulturmittler veröffentlicht. Kulturmittler, das können Institutionen, aber auch Einzelpersonen sein, Künstler sein. Welchen Einfluss haben denn solche Kulturmittler überhaupt? Wieviel können sie jenseits der großen politischen Entwicklungen zur Verständigung beitragen?
Umlauf: Mit einigen anderen Autoren habe ich vor ein paar Jahren ein Lexikon der deutsch-französischen Kulturbeziehungen herausgegeben. Da stellte sich heraus, dass nicht nur die bekannten zivilgesellschaftlichen Mittler, die etwas getan haben wirklich für das deutsch-französische Verhältnis – ich nenne mal Alfred Grosser; man kann aber auch Figuren nennen wie Adenauer, de Gaulle und ähnliche -, sondern auch eine Reihe von Künstlerinnen und Künstler, die es sich gar nicht am Anfang zur Aufgabe gemacht haben, die Versöhnung beispielsweise zwischen Deutschland und Frankreich herbeizuführen, dass sich diese Künstler sehr verdient gemacht haben für die kulturelle Annäherung. Eines der herausragenden Beispiele ist Bertolt Brecht. Bertolt Brecht, der als Dramatiker eine ungeheure Rolle in Frankreich gespielt hat und ohne den die Art des heutigen öffentlichen Theaters in Frankreich nicht denkbar ist. Denn die Entwicklung dieses öffentlichen Theaters hat sich mit der Reflektion über das Brechtsche Theater abgespielt.
Also in dem Sinne meinen wir das. Das heißt, es gibt jede Menge Menschen, die nicht direkt gesagt haben, wir wollen was fürs deutsch-französische Verhältnis tun, die aber doch kulturell in beiden Ländern eine erhebliche Rolle gespielt haben. Wobei – und das ist auch das Ziel oder die Darstellung in unserem Buch – ja nicht alle nur uneingeschränkt positiv wirken. Man muss sich den Kulturaustausch, den wir so positiv sehen, ja auch als ein Gebiet vorstellen, das durchaus konfliktträchtig ist. Mit anderen Worten: Wir haben Kategorien eingeführt wie zum Beispiel den ambivalenten Mittler. Das sind Mittler, die sich über das andere Land äußern, also etwas schreiben, aber vielleicht nicht uneingeschränkt positiv, sondern auch sei es Schattenseiten darstellen, sei es aber auch negativ über den anderen berichten.
Netz: Sagen Sie doch da auch noch mal ein Beispiel, denn solche Beispiele müssen ja gar nicht negativ sein. Es regt im Zweifel die Auseinandersetzung an.
Umlauf: Das gilt natürlich in hohem Maße für die sogenannte Frankreich-Essayistik oder auch für die Deutschland-Essayistik in beiden Ländern. Das heißt, wenn Sie sich Bücher nehmen, darunter solche, die auch jüngst erschienen sind – ich denke an das Buch von Nils Minkmar beispielsweise oder andere -, so transportieren die natürlich neben vielem, was gut aus dem alltäglichen Leben beobachtet ist, auch immer noch jede Menge Stereotypen oder Dinge, die wir in dieser Form eigentlich nicht so halten können. Ein anderes Beispiel ist Peter Sloterdijk, der Texte über Frankreich geschrieben hat, wo er sich auch sehr kritisch über Frankreich geäußert hat, was zum Beispiel die Rolle der Aufarbeitung des Zweiten Weltkrieges in Frankreich betrifft und Ähnliches.
Es gibt jede Menge solche Fälle, das ist ein buntes Spektrum, und das gilt es, sich genauer anzusehen und zu schauen, was dort in den einzelnen Bereichen passiert. Aber ich denke, das ist wirklich das Wichtigste, dass wir uns das auch sagen in dieser deutsch-französischen Woche: Es ist ein dichtes, lebendiges, tiefes Netz der Kulturbeziehungen zwischen Deutschland und Frankreich, die vielleicht eine Wesenheit haben – Sie haben es eben angesprochen. Manchmal fehlen vielleicht die ganz großen Namen wie Camus und Sartre, an die man sich erinnert oder an die man denkt. Aber in der Breite sind die Kulturbeziehungen heute enger und dichter denn je.
"In den kulturellen Strukturen weiterhin sehr fern"
Netz: Und was können diese engeren und dichteren Kulturbeziehungen denn leisten, jenseits der politischen Gespräche, die es ja ohnehin immer gibt?
Umlauf: Diese können das leisten, was, glaube ich, wir seit 1945 gemeinsam versuchen zu leisten, dass die Gesellschaften sich etwas näher kommen, dass sie sich verstehen, dass sie miteinander reden und konstruktiv am Aufbau Europas wirken. Denn man darf sich da nicht täuschen. In den Strukturen und gerade übrigens in den kulturellen Strukturen sind sich Frankreich und Deutschland weiterhin sehr fern. Man könnte sich das in bestimmten Bereichen ansehen, wie im Theater oder auch im Kino und anderen. Und da gilt es, miteinander zu reden. Da gilt es, gemeinsame Programme aufzubauen, gemeinsame Strukturprogramme zu schaffen, wo Künstler, Kulturschaffende aus beiden Ländern zusammenarbeiten können.
Ich glaube, es ist wichtig, dass das deutsch-französische Verhältnis auch über den eigenen Tellerrand hinwegschaut und Projekte entwickelt in Drittländern – nehmen wir das Mittelmeer, nehmen wir die Flüchtlingskrise. Es ist wichtig, dass das deutsch-französische Verhältnis dazu führt, dass auch bei den Kulturbeziehungen Projekte entwickelt werden, die über die beiden Länder hinausgehen in Hinsicht auf Europa.
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