Wenn sie zocken, schauen Tausende zu – via Livestream auf Twitch oder als Let's Play auf YouTube. Etablierte Internetgrößen wie "Gronkh", "AnnieTheDuck", "Pietsmiet" oder "Lara Loft" bieten aber mehr als nur seichte Unterhaltung.
Obwohl ihre improvisierten Streams mitunter laut, grell und zotig daherkommen, leisten sie gleichzeitig den wohl mit Abstand reichweitenstärksten Beitrag zur Kulturberichterstattung über Videospiele.
Sind Let's Plays feuilletonistische Formate?
Eines immerhin ist sicher: Keine andere Form der Spielekritik ist so nah dran an ihrem Medium wie das Spielen selbst. "Was Streams und Let's Plays sehr gut können, ist eben diese direkte Spielerfahrung zu vermitteln, ohne dass man selbst spielen muss", meint der Kulturwissenschaftler und Feuilletonist Christian Huberts.
Das kriege man seiner Ansicht nach über einen Text oder über einen voraufgezeichnetes Video nicht so hin."Wenn man selbst nicht spielt", so Huberts, "ist dann eben ein Let's Play oder ein Stream wahrscheinlich der Zugang, durch den man am ehesten einen Eindruck bekommt, wie so ein Spiel funktioniert, wie es sich anfühlt, es zu spielen."
Interpassivität
Allerdings liege der Fokus des Publikums dabei gar nicht primär auf dem jeweils gestreamten Spiel. Für Christian Huberts fallen die Beziehung zum Streamenden und seine Beobachtung viel mehr ins Gewicht: "Es gibt da in der Wissenschaft den schönen Begriff der Interpassivität – also im Gegensatz zur Interaktivität, wo man direkt mit einem anderen Menschen umgeht, ist es da eher so ein passives Verhältnis, wo man jemandem zuschaut."
Zudem kann man live über den Chat mit den Akteuren interagieren – diese Kombination aus Interaktivität und Interpassivität schafft ein Gefühl der Nähe und Teilhabe. Und obwohl sich viele Chatverläufe in oberflächlichem Plausch erschöpfen, können auch sie als Teil einer Demokratisierung der Medienwelt gesehen werden.
Keine fundierte Kritik
Leider geht es aber nicht nur im Chat eher oberflächlich zu: Eine fundierte Kritik des jeweiligen Spiels, Einordnungen in Con- und Paratexte, Parallelen zur Kulturgeschichte - kurz: alles, was gutes Feuilleton ausmacht – fehlen in den meisten Let's Plays. Denn im Mittelpunkt steht der Ausdruck der unmittelbaren Erfahrung – spontan und ungefiltert.
"Ich glaube, man müsste an dem Format noch ein bisschen arbeiten, um es im vollen Sinne journalistisch nennen zu können", meint Christian Huberts. Zwar sei es schon eine Form der teilnehmenden Beobachtung, vielleicht eher so ein "gonzo-journalistisches Format, was ja wirklich einen Mehrwert hat, eben grade um so ein Spiel erstmal unvoreingenommen auszuprobieren, zu zeigen, zu illustrieren."
Couch-Gonzos
Sind Streamer also eine Mischung aus Stubenhockern und Gonzo-Journalisten, bei denen nach dem Vorbild eines Hunter S. Thompsonihr eigenes Erleben im Vordergrund steht – Couch-Gonzos? Dafür fehlt Christian Huberts ein wichtiges Element: "Um es wirklich journalistisch zu gestalten, kulturjournalistisch, dass man eben auch sich fragt: Was bedeutet das Spiel, was wird da symptomatisch deutlich über dieses Spiel, über Computerspiele, über Gesellschaft, über Politik, was auch immer, da muss man eben auch schon mit einer gewissen Vorbereitung reingehen."
Gaming-Journalismus unerwünscht
Das aber ist von der Spieleindustrie, vor allem im Bereich der großen Titel, gar nicht zwangsläufig gewollt. Denn allzu differenzierte Betrachtungen - über die politische Dimension ihrer Produkte etwa - könnten einen Verlust von Marktanteilen bedeuten, so Kulturwissenschaftler Christian Huberts. Er merke bei seiner eigenen Arbeit an Feuilleton-Texten: "Um dafür ein Belegexemplar zu bekommen, da muss man schon ein bisschen aufs Wohlwollen hoffen."
Sie seien eine Form, über die sich viele Publisher schulterzuckend dachten: "Da gewinnen wir nichts. Das sorgt nicht für mehr Käufe. Und im schlimmsten Fall macht sich da halt wieder ein neunmalkluger Journalist oder eine Journalistin tiefe Gedanken darüber, wie politisch unser Spiel ist. Und das wollen wir eigentlich gar nicht, weil dann schließen wir im schlimmsten Fall eine bestimmte weltanschauliche Gruppe aus aus unserer Spielergemeinschaft."
Let's Plays der Abhängigkeitsfalle
Wo es aber für das klassische Feuilleton im schlimmsten Fall damit endet, kein Belegexemplar oder keine Interviews zu bekommen, befinden sich Streamerinnen und Streamer in einer Lage existenzieller Abhängigkeit: Denn das Streamen von Computerspielen ist eine urheberrechtliche Grauzone. Angezeigte Urheberrechtsverstöße wiederum werden auf den Streamingplattformen rigoros geahndet – bis hin zur Sperrung des Accounts, an dem in einigen Fällen die gesamte finanzielle Existenz der Streamerinnen und Streamer hängt.
Solange die Let's Plays als PR für die Spielehersteller dienen können, werden die Streams zwar wohlwollend geduldet und sogar unterstützt – es kam in der Vergangenheit aber auch schon zu Einschüchterungsversuchen durch das Androhen einer Copyright-Klage gegen unliebsame Streamer. In letzter Konsequenz dürfte es also dieses Damoklesschwert sein, das wirklich feuilletonistisches Streaming auf den bislang gängigen Plattformen verunmöglicht.