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Kulturdezernent der Stadt Biberach verteidigt geplante Verlegung des Wieland-Archivs

Der Kulturdezernent der Stadt Biberach, Hans-Peter Biege, hat die Pläne für einen Umzug des Wieland-Archivs ins thüringische Oßmannstedt verteidigt. Dort entstehe eine Einrichtung, die hinsichtlich der Wieland-Forschung etwas leisten könne, das man in Biberach nie vermocht habe, sagte Biege.

Moderation: Karin Fischer |
    Fischer: Die Stadt Biberach legt Wert auf die Feststellung, sie verscherbele nicht das Tafelsilber, wenn sie künftig ihr großes Wieland-Archiv nach Oßmannstedt gibt, wo es über eine Stiftung und in Form einer Dauerleihgabe eine neue Heimat erhalten soll. Die Wieland-Bibliothek umfasst über 15.000 Bände, dabei sind rund 1000 Werke Original-Handschriften und Briefe des Dichters, der 1733 in der Nähe von Biberach geboren wurde, bis zu seinem 14. Lebensjahr in der Freien Reichstadt aufwuchs und später noch mal dorthin zurück kehrte, um unter anderem die bis heute wichtigen Shakespeare-Übersetzungen zu verfassen. Die erste Aufführung eines Shakespeare-Dramas in deutscher Sprache überhaupt fand im Biberacher Komödienhaus statt. Die Stadt hat neben Weimar und Oßmanstedt, wo der Dichter seine späteren Berufsjahre verbrachte, also allen Grund, mit dem Wieland-Pfund zu wuchern. Frage an den Kulturdezernenten von Biberach, Hans Peter Biege, warum wollen Sie das Archiv weggeben?

    Biege: Wir haben hier in Biberach unser Wieland-Erbe gepflegt über Jahre und stellen nun fest, dass in Oßmannstedt eine Einrichtung entsteht, wo etwas getan werden kann, was wir in diesem Maße nie vermocht haben, nämlich die Wielandforschung voranzubringen, eine Wieland-Gesamtausgabe auf den Weg zu bringen und ein Forschungszentrum einzurichten, das für Herrn Wieland sozusagen der Idealfall ist. Und wir haben festgestellt, in Oßmannstedt gibt es Forschungsmittel, in Oßmannstedt gibt es Forschungspersonal, aber keine Bücher. Wir in Biberach haben Bücher, aber keine Forschungsmittel und kein Forschungspersonal. Und das hat uns auf den Gedanken gebracht, auszuloten – und vielmehr ist das im Moment noch nicht, es sind Pläne, es sind Gespräche, es ist noch gar nichts beschlossen – auszuloten, ob es nicht sinnvoll wäre, wenn wir uns zusammentäten mit Oßmannstedt und den Kräften, die in Oßmannstedt am Werk sind, um die Wieland-Forschung dort zu zentrieren und andererseits im Gegenzug hier in Biberach ein anständiges Wieland-Museum zu errichten, das vor allem den frühen Wieland, den oberdeutschen Wieland, den Rokoko-Wieland, ins rechte Licht rückt, denn der ist auch weitgehend verkannt.

    Fischer: Ich lese, Herr Biege, von fünf bis sechs Besuchern beziehungsweise Forschern pro Jahr an einem Ort, nämlich in Biberach, der sich selbst im Internet eine international anerkannte Forschungsstätte nennt. Da kann ja aber etwas nicht ganz stimmen. Und die Frage stellt sich schon, was hat die Stadt Biberach in den letzten 15, 20 Jahren für Wieland, besser, für den Wieland-Forschungsstandort Biberach getan, wenn die Resonanz so gering ist?

    Biege: Wir sind nicht die Forscher. Wir können nur den Forschern unser Archiv anbieten. Es ist ja heute so, dass die Forschung allüberall – vor allem die Forschungsmittel und die Forschungsgelder – allüberall sich zentralisieren. Und da liegt Biberach nun doch etwas weitab. Auch die nächste Universität, die uns betreuen könnte, ist Luftlinie von hier aus gesehen in Bern, während in Oßmannstedt ein Forschungsschwerpunkt 18. Jahrhundert genau nebenan in Jena liegt. Und das können wir nicht bieten.

    Fischer: Wenn das Archiv nach Oßmannstedt umzieht, also auf das Landgut, das Christoph Martin Wieland 1797 bezogen hat, und das der Wieland-Kenner und –Liebhaber und der große Mäzen Jan Philip Reemtsma in den letzten Jahren restaurieren ließ. Dann wollen Sie, sagen Sie, ganz auf die Wieland-Gedenkstätte setzen. Wie kann das aussehen, wenn das Maßgebliche, nämlich Wielands Schriften, dann fehlt?

    Biege: Das ist ja glaube ich auch ein kleines Missverständnis. Ein Archiv ist ja keine Pilgerstätte für touristische Literaturfreunde. Ein Archiv ist ein Arbeitsort und kein Besichtigungsort. In Archive bringen sie in der Regel nicht sehr viele Leute rein. Das ist auch so, wir haben hier jetzt schon einen kleinen Wieland-Schauraum und die Gartenhäuser, da haben wir im Jahr etwa 3000 Besucher. Wenn ich die noch dazu zähle im Archiv, die jetzt nicht im Archiv arbeiten, sondern nur die Bücher mal sehen wollen, dann kommen wir vielleicht auf 40 oder 50, die das sehen wollen. Und da sehen Sie den Unterschied. Also um eine Gedenkstätte zu betreiben, um einen Pilgerort entstehen zu lassen für Interessierte, auch interessierte Laien, dann ist eine gewisse Aura des Originalen schon wichtig. Und wir werden ja auch nicht alles nach Oßmannstedt geben. Es wird natürlich die gesamte Ausgabenpracht, die Wieland hinterlassen hat, auch in Biberach zu besichtigen sein. So etwas gibt es ja auch mehrfach und doppelt. Das muss in der Tat nicht alles dort sein.

    Fischer: Aber dann lautet die schnöde Wahrheit aber doch, Herr Biege, Sie lassen die Wieland-Schätze ziehen, um einen eher touristischen Ort zu etablieren oder auszubauen, an dem das wichtigste vom Dichter, nämlich sein Vermächtnis, nicht mehr vorhanden ist.

    Biege: Wissen Sie, das Vermächtnis des Dichters, das findet in den Köpfen statt. Und das findet sich nicht in irgendeinem Raum. Wenn Sie diesen Menschen einem breiteren Publikum schmackhaft machen wollen, dann müssen Sie Geschichten erzählen – Geschichten um diesen Menschen herum, Geschichten über sein Werk, Geschichten aus seinem Werk – und ihn sozusagen lebendig machen. Und das können Sie in einem Museum sehr viel besser als in einem Archiv. In einem Archiv sind die Experten unter sich.

    Die Pläne der Stadt Biberach waren vom Kulturjournalisten und Literaturwissenschaftler Wilhelm Hindemith kritisiert worden.