Archiv

Kulturelle Bildung
"Hürden für Teilhabe senken"

Der Rat für kulturelle Bildung fordert einen leichteren Zugang zu Kulturangeboten. So seien die Hürden für Familien, Geld aus dem Teilhabepaket der Bundesregierung zu erhalten, sehr groß, sagte der Sprecher des Rates, Holger Noltze, im DLF.

Holger Noltze im Gespräch mit Dina Netz |
    Schüler malen an einer Hauptschule in Arnsberg (Sauerland).
    Kunstunterricht an der Schule - ein Teil der kulturellen Bildung. (dpa / picture alliance / Fabian Stratenschulte)
    Dina Netz: Kulturelle Bildung ist in den letzten Jahren geradezu eine Selbstverständlichkeit geworden. Jedes Museum, jedes Theater, jede Oper hat ein Programm für junge Zuschauerinnen und Zuschauer. Klar, dass die Kultureinrichtungen hinter diesem Publikum von morgen her sind; sonst können sie in 20 Jahren ihre Läden dicht machen - vielleicht. Es wird also viel getan in Sachen kultureller Bildung, auch an den Schulen, und inzwischen ist die Zahl der Programme und Projekte ins Unüberschaubare gewachsen. Macht doch nichts, sagen die einen, denn kulturelle Bildung ist ja per se eine gute Sache. Macht doch was, sagen andere, zum Beispiel der vor eineinhalb Jahren gegründete Rat für kulturelle Bildung. Dessen erste Veröffentlichung hieß "Alles immer gut - Mythen kultureller Bildung" und wollte eine Qualitätsdebatte anstoßen. Jetzt hat der Rat für kulturelle Bildung seine zweite Publikation vorgelegt: "Schön, dass ihr da seid - Kulturelle Bildung, Teilhabe und Zugänge". Frage an Holger Noltze, Sprecher dieses Rats: Warum nach der Qualitätsdiskussion jetzt eine über Teilhabe und Zugang?
    Holger Noltze: Na, Frau Netz, es ist immer noch die Qualitätsdiskussion, jetzt bezogen auf einen konkreteren Punkt. Wir haben uns zunächst ja mal mit den Mythen, mit den unhinterfragten Gewissheiten der kulturellen Bildung befasst, unter anderem der, dass immer alles gut ist. Wir sind ja gar nicht dafür, dass viel passiert. Wir wollen, dass viel passiert, aber wir wollen, dass das auch gut ist, was da passiert. Über den Sinn von kultureller Bildung muss man nicht mehr verhandeln. Über die Qualität kann man sehr wohl diskutieren und wir nähern uns jetzt dem Gegenstand in der zweiten Publikation noch etwas mehr, indem wir uns mit den Voraussetzungen zum Gelingen von kultureller Bildung befassen, und das sind diese zwei Stichworte, nämlich einerseits Teilhabe, wie muss ein Angebot beschaffen sein, damit jemand sich dafür interessiert. Und dieses "jemand" ist weit gefasst. Das können Kinder, das kann auch Vorschule sein, das kann nach der Schule sein. Wir haben ja auch immer den ganzen Menschen im Blick und nicht nur die Kinder. Schule gehört dazu, aber es ist eine Lebenslaufperspektive. Und auf der anderen Seite dann die Frage der Zugänge. Das heißt, welche institutionellen, gesetzlichen Voraussetzungen müssen eigentlich geschaffen sein dafür, dass kulturelle Bildung stattfinden kann.
    "Aufwand sehr groß"
    Netz: Es geht jetzt, wenn ich Sie richtig verstehe, gar nicht um die Angebote der kulturellen Bildung selber, sondern um die Hürde, die manche überwinden müssen, um daran überhaupt teilzuhaben?
    Noltze: Ja. Ich sage Ihnen ein ganz praktisches Beispiel. Wir finden, dass das Bildungs- und Teilhabepaket der Bundesregierung eine gute Sache ist. Da kann man zehn Euro im Monat bekommen, wenn man nachweist, dass man bedürftig ist, und kann dafür an Maßnahmen kultureller Bildung teilnehmen. Nun ist einerseits zehn Euro nicht die Welt, aber es ist auch nicht nichts und es ist zumindest mal ein wichtiger Schritt, um das in der Fläche zu verankern. Aber die Hürden, da dranzukommen, sind durch die Formulare, durch den Aufwand, den man treiben muss, um es zu erreichen, sehr groß, sodass die Abfragezahlen ganz gering sind, und das ist ein konkreter Punkt, wo wir fordern, das wirklich zu vereinfachen und auch da mehr reinzugeben, sodass mehr Leute in den Genuss kommen können.
    Netz: Das ist jetzt eine ganz praktische Hürde, zehn Euro und Formulare. Was gibt es sonst für vielleicht nicht so leicht zu überwindende Hürden?
    Noltze: Das ist das praktische Beispiel. Im Grunde geht es natürlich darum, auch Haltungen zu verändern, und eine ganz wichtige Forderung ist, dass der Teilhabeaspekt, dass nämlich das, was man tut, sich an viele Menschen richten soll und viele Menschen davon was haben können, Teil des Qualitätsdiskurses wird. Wir haben die Qualitätskataloge untersucht, die die Fachverbände, die Anbieter von kultureller Bildung selber aufgelegt haben, und es ist uns dabei aufgefallen, dass das oft sehr um das Institutionelle kreist. Das ist auch normal so, weil jede Institution zunächst mal auch an ihre eigene Verfasstheit denkt. Aber uns ist ganz wichtig der Bezug zur Kunst selber, warum machen wir das denn eigentlich. Kulturelle Bildung wird ja gelegentlich so ein bisschen geschmäht als etwas, was das Gegenteil von Kultur ist. Genau das ist es nicht!
    Das heißt aber, wir müssen die Ansprüche hochhalten. Das heißt, die Orientierung muss an den Künsten selber geschehen. Und das einzubauen in die Qualitätsüberlegung und immer mitzudenken, dass es für alle ist, dass wir in einer Gesellschaft leben, die stark von Migration geprägt ist, dass wir in einer Gesellschaft leben, die im Augenblick mit ihren kulturellen Angeboten eigentlich überwiegend die erreicht, die schon erreicht sind, das von vornherein mitzudenken bei Stellenbesetzungen, bei Konzeptionen, auch bei Mittelvergabe, das ist ein ziemlich brisantes Thema, weil es am Ende natürlich auch auf die Ressourcenverteilung abzielt.
    "Ein schwarzes Loch des Wissens"
    Netz: Herr Noltze, was ist denn auf der ganz praktischen Ebene nötig, um Teilhabe, Zugänge für alle zu ermöglichen oder zumindest zu erleichtern?
    Noltze: Ein Punkt ist zum Beispiel, dass wir endlich wirkliche verlässliche Zahlen darüber haben, wie viel Musikunterricht, wie viel Kunstunterricht in Deutschland an deutschen Schulen überhaupt erteilt und nicht fachfremd erteilt wird. Das ist ein großes schwarzes Loch des Wissens, das endlich gestopft gehört. Die Menschheit ist auf den Mond geflogen, aber das haben wir bisher noch nicht rausgekriegt und da sollte man dringend was tun.
    Netz: Sagt Holger Noltze, Sprecher des Rats für kulturelle Bildung über dessen Publikation "Schön, dass ihr da seid". Man kann sie übrigens auf der Internetseite des Rats kostenlos runterladen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.