Hier auf einem Bolzplatz mitten in Gelsenkirchen hat Mesut Özil Fußball spielen gelernt. In der Olgastraße im Stadtteil Schalke startete er seine Weltkarriere. Von diesem Ruhm ist an einem Sonntagnachmittag im Juni wenig zu spüren. Der Platz liegt staubtrocken da, der Boden ist entsprechend hart und mit vielen, kleinen Kieselsteinen garniert. Nur der zwölfjährige Alessandro kickt hier momentan mit seinem Ball - und wartet darauf, dass seine Kumpels aus der Nachbarschaft mitspielen:
"Die kommen einfach irgendwann aus den Häusern. Und dann kommen eben immer weitere noch dazu. Die hier mit dem Fahrrad rumfahren, weil denen langweilig ist. Und dann spielen die noch mit. Ich lerne hier auch viele Leute kennen, und ich habe auch vieles gehört, dass hier halt Mesut Özil gespielt hat, als Kind. Weil ich habe halt in einem Poster von ihm, habe ich das gelesen, weil das ist halt ein Star. Das ist ja dann schon etwas Besonderes, dass er hier gespielt hat!"
Özil als Schirmherr
Der Bolzplatz ist prägender Sozialraum hierzulande. Deshalb ist er nun vom NRW-Ministerium für Kultur und Wissenschaft als immaterielles Kulturerbe aufgenommen worden. Den Antrag hatte das Deutsche Fußballmuseum aus Dortmund gestellt. Eben mit Unterstützung von Nationalspieler Özil, der die Schirmherrschaft über das Projekt übernommen hatte. Mit vier weiteren Kulturinitiativen setzte sich der Bolzplatz unter insgesamt 14 Mitbewerbern durch, und steht nun offiziell im Landesinventar NRWs. Und befindet sich in guter Gesellschaft: Etwa mit Karneval, den Brieftauben und Martinsumzug, wie Prof. Eva-Maria Seng als Leiterin der Landesstelle Immaterielles Kulturerbe NRW:
"Das Fußballmuseum hat sich damit zum Anwalt dieses jugendkulturellen Phänomens, dieses Großstadtphänomens, gemacht. Da die Kinder, die auf dem Bolzplatz sind, selber ja keinen Antrag stellen können. Und insbesondere eben auch Bolzplatzkultur im Ruhrgebiet zu einem der zentralen Erfahrungen von Jugendlichen und jungen Erwachsenden zählt."
Seit den 1960er und 70er Jahre ist der Bolzplatz Bestandteil des städtischen Raumes, der damals immer dichter bebaut wurde. Im Zuge dessen gingen Städte und Kommunen dazu über, begrenzte Flächen für die Kicker freizuhalten. So richtig wieder in Mode gekommen ist der Bolzplatz als "prägender Sozialisationsraum" 2005, nachdem der DFB mit Hilfe einer initiierten Kampagne für die Sanierung von 300-400 Spielstätten sorgte. Die vorher wegen des maroden Zustands kaum noch genutzt wurden.
Neben dem technischen Spiel auf engem Raum sind auf dem Bolzplatz auch soziales Verhalten und Durchsetzungsfähigkeit gefragt. Das allein reicht allerdings nicht aus, um sich als Kulturerbe definieren zu können, erläutert Prof. Eva-Maria Seng:
"Grundsätzlich werden Sportarten ja nicht als immaterielles Kulturerbe anerkannt und eingetragen. In unserem Falle bei der Bolzplatzkultur geht es ja auch nicht um das Fußball spielen an sich, sondern um das, was auf dem Platz stattfindet. Die Interaktion, das Sozialverhalten, usw. Also das kulturelle Phänomen wurde eingetragen, und gewürdigt, und nicht das Fußballspiel an sich!"
Das Feld der Träume auch genannt
Einheitliche Maße gibt es bis heute übrigens nicht auf dem Bolzplatz. Der vorhandene Raum gibt die Ausmaße jeweils vor. Das Feld der Träume wird er auch genannt. Oder als Käfigkick tituliert, weil Metallgitter ihn abgrenzen. Es gelten unter den Spielern weitgehend frei vereinbarte Regeln. Die müssen also unter den Kindern und Jugendlichen verhandelt werden, auch das macht ihn so spannend für die Gesellschaft. Kompromisse schließen, und sich an vereinbarte Regeln halten: Der Bolzplatz als Lernort. Und eben als Feld der Träume. Auch für den zwölfjährigen Alessandro, der einmal in die großen Fußstapfen von Mesut Özil treten will:
"Wir messen uns hier auch oft, wer der Beste ist! Das ist halt von jedem der Traum Profi zu werden, dass man dann weiß, dass hier auch mal ein Profi angefangen hat zu spielen, dass man dadurch ein bisschen mehr Hoffnung hat, irgendwie."
Ziel des immateriellen Kulturerbes ist übrigens nicht der Schutz, sondern die Weitergabe des Kulturguts von Generation zu Generation. Damit der Bolzplatz hierzulande noch lange als Feld der Träume erhalten bleibt, und noch den einen oder anderen Weltmeister hervorbringt.