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Kulturförderung
Wieder Leben in Cleveland

In den Fünfzigern war Cleveland die Stadt des Rock`n Roll. Fünfzig Jahre hatten Wirtschaftskrisen und Armut ihre Spuren hinterlassen und über die Hälfte ihrer Einwohner vertrieben. Nun holt sich die Stadt die Menschen zurück.

Von Jürgen Kalwa |
    Playhouse Square in Cleveland, Ohio
    Der Playhouse Square in Cleveland (Deutschlanradio/Jürgen Kalwa)
    Die Ansagen von Alan Freed waren unverkennbar. Und so war sein Instinkt für populäre Musik.
    "Hello everybody. Hi on the night. This is Alan Freed, the old king of the Moondoggers. And it is time again for another of your favorite Rock 'n' Roll such as Blues and Rhythm records."
    Freed war Radio-Discjockey, arbeitete in den fünfziger Jahren in Cleveland und erfand damals so ganz nebenbei einen legendären Begriff: "Rock 'n' Roll". Das Wort für jene Musikmischung aus Rhythm & Blues, die damals die jungen Leute in den Metropolen zu begeistern begann.
    Auch heute noch verbindet man diese Wortschöpfung mit der Stadt. Denn am Ufer des Erie-Sees steht ein architektonisch ausgefallener Glasbau - entworfen vom Architekten I. M. Pei - , der die ganze Geschichte des Musikgenres dokumentiert: Die Rock 'n' Roll Hall of Fame. Das Gebäude wirkte allerdings eine Weile lang ziemlich verloren in dieser Stadt, die sich wirtschaftlich und sozial beständig auf dem Weg nach ganz unten befand.
    Denn Deindustrialisierung und Stadtflucht bedrohten wie in anderen einstmals blühenden Zentren des sogenannten "Rust Belt" im Nordosten der Vereinigten Staaten das urbane Leben. Die Zahlen sprechen für sich. Zu Freeds Zeiten lebten in Cleveland rund eine Million Menschen. Heute sind es weniger als 400.000.
    Kulturförderung auf Großstadt-Niveau
    Die, die blieben, kämpfen seit dem Niedergang der Fabriken und Stahlwerke ums Überleben. Aber man kämpft auch um eine kulturelle Identität. Anders jedoch als etwa in St. Louis oder Detroit - zwei der kaputtesten Metropolen der westlichen Welt - gab es in Cleveland ein probates Mittel. Einen wirklichen Katalysator: Kultur, sagt Steven Litt, der langjährige Kultur- und Architekturkritiker des Plain-Dealer, Clevelands einflussreicher Zeitung:
    "Kunst und Kultur haben eine wichtige Rolle bei dem Umschwung gespielt. Junge Leute ziehen neuerdings in bestimmte Viertel und eröffnen Galerien oder Läden und Restaurants. Aber wir haben auch ein Publikum, das sehr an Kunst und Kultur interessiert ist."
    Aufschwung. Comeback. Wer vor zehn Jahren durch die Innenstadt streifte, hätte davon noch nicht viel gespürt. Trotz der Rock 'n' Hall of Fame, die 1995 eingeweiht wurde. Und trotz des Cleveland Orchestras, eines der bedeutendsten Sinfonieorchesters in den USA, das seit den dreißiger Jahren in der Severance Hall spielt. Doch seitdem haben sich die Anstrengungen verdichtet und Erfolge produziert. Vieles davon ist markant. So wurde im Zentrum der Stadt der große Theater-Komplex namens Playhouse Square aus den zwanziger Jahren aufgemöbelt und wiederbelebt. Die neun Häuser, die sich in ihrem Repertoire so gut es geht, voneinander abgrenzen, kommen auf eine Million Besucher pro Jahr. Ihr Angebot kann sich mit jeder anderen Großstadt in den Vereinigten Staaten messen.
    Das Museum of Contemporary Art (MOCA) in Cleveland, Ohio
    Das Museum of Contemporary Art (MOCA) in Cleveland, Ohio (Deutschlanradio/Jürgen Kalwa)
    Die Bildende Kunst war ebenfalls ein wichtiger Faktor in der Reanimierung der Stadt, deren Wirtschaft inzwischen von großen Hospitälern sowie Betrieben der Medizingeräteindustrie und von Bildungseinrichtungen geprägt wird. Das Cleveland Museum of Art etwa eröffnete Ende 2012 einen lichtdurchfluteten großen Anbau, der sehr behutsam mit einem existierenden von Marcel Breuer entworfenen alten Annex umging. Zur gleichen Zeit wurde das neue Museum of Contemporary Art fertig - nur einen Kilometer weit entfernt. Fast abgeschlossen ist die Renovierung eines großen, alten Fabrikgebäudes nur ein paar Meter weiter an der Euclid Avenue, einer wichtigen Verkehrsachse. Dort wurden einst Autos und später Panzer gebaut. Demnächst zieht hier die Kunsthochschule ein - das Cleveland Institute of Art. Was gut ist, denn man platzt am alten Standort aus den Nähten. Direktor Grafton Nunes, der erst vor ein paar Jahren seinen Posten übernahm, freut sich über die Entwicklung, die so etwas wie ein Trendwende für die Stadt signalisiert.
    Zigaretten: Eine spezielle Zusatzsteuer
    "Es kommen immer mehr Leute aus New York. Warum? Erstens: Man lebt hier billiger. Zweitens: es gibt eine Menge an Künstlern hier, die die vorhandenen Räumlichkeiten nutzen. Zum Leben und zum Arbeiten. In gut beleuchteten Ateliers."
    Das Milieu ist auch deshalb so anregend, weil anders als in fast allen größeren Städten Amerikas ausnahmsweise der politische Wille existiert, Kunst und Kultur ganz bewusst mit Hilfe von staatlichen Subventionen zu unterstützen. Cleveland verfügt zwar über kulturinteressierte Mäzene. Weshalb das Museum of Art zum Beispiel mit einem Stiftungskapital von 600 Millionen Dollar zu den wohlhabendsten Museen der Welt gehört und keinem Besucher auch nur einen Cent Eintritt abverlangt.
    Aber es besitzt eben auch eine spezielle Zusatzsteuer auf Zigaretten: Raucher fördern mit ihrer Sucht den Kulturbetrieb. Und zwar seit 2008. Die Umlage bringt pro Jahr rund 13 Millionen Dollar ein. Karen Gahl-Mills vom Cuyahoga Arts Council, der das Geld verteilt:
    "Wir haben vorher nur 64 Cents pro Kopf ausgeben können. Das war so niedrig wie nirgendwo sonst im ganzen Land. Nun sind es mehr als 13 Dollar pro Kopf. Das Geld geht in das Cleveland Orchestra und die Hall of Fame, aber auch in eine Menge von anderen Dingen, aus denen unser kulturelles Ökosystem besteht."
    Auf den Umfang der Förderung ist Steven Litt stolz:
    "Wir tun so viel wie San Francisco, aber erheblich mehr als Chicago oder Boston. Das kleine Cleveland misst sich mit den Großen in diesem Bereich."
    Allerdings werden über die Zigarettensteuer in zwei Jahren erneut die Wähler abstimmen. Steven Litt weiß, wie heikel das ist. Denn ohne die Unterstützung wären viele in den roten Zahlen. Cleveland ist noch nicht über den Berg.