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Kulturgeschichte des Kakaos
Mehr als ein kolonialer Exportschlager

Lange Zeit ging die Wissenschaft davon aus, dass Mittelamerika die Wiege der Kakao-Kultur sei. Schon die Mayas um 1.500 vor Christus* waren Fans der süßen Bohnen. Doch neue Erkenntnisse scheinen zu belegen: Kakaobohnen wurden schon viel früher und viel weiter südlich genutzt. Und das nicht nur als Getränk.

Von Alfried Schmitz |
Ein aufgeschlagenes Buch in herbstlichem Ambiente
Heute ist Kakao ein Massenprodukt. Das war aber nicht immer so. (Alisa Anton/Unsplash)
Aus versteckten Lautsprechern klingt leise eine Geräuschkulisse wie im Regenwald. Dazu Musik, wie sie die indigenen Ureinwohner Mittel-Amerikas mit ihren Okarinas, Rasseln, Trommeln oder Schilfrohrflöten gespielt haben könnten.
Viele der Exponate in den Glasvitrinen stammen von den hoch entwickelten Maya-Völkern, die den Meso-amerikanischen-Raum ab 3.000 vor Christus bevölkerten. Es sind Figuren, Schalen und Trinkgefäße aus Ton. Manche der Ausstellungsstücke stammen aus vorchristlicher Zeit. Sie alle haben einen direkten historischen Bezug zur Kulturgeschichte des Kakaos, deren Beginn man nach vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnissen auf die Zeit um 1.500 vor Christus datiert hatte. Auf einem aufwendig gestalteten Ton-Becher sind in bunter Bemalung ein Affe und die Frucht eines Kakaobaumes abgebildet.

"Diese Äffchen gibt es heute immer noch, die Klammerschwanzäffchen. Und was diese Affen auch heute immer noch gerne machen, ist Kakao-Früchte klauen, weil Affen mögen sehr gerne das Fruchtmus im Inneren der Kakao-Frucht, weil das einfach sehr lecker und sehr süß ist. Und man findet auf sehr vielen altamerikanischen Gefäßen findet man die Darstellung von Affen, die so eine Frucht in der Hand halten."
Andrea Durry ist Ethnologin und Kuratorin des Kölner Schokoladenmuseums.
Kakao hatte schon früh eine hohe Bedeutung
Ein bemaltes Kakao-Gefäß aus der Maya-Zeit, ein Exponat im Schokoladenmuseum in Köln.
Kakaogefäß aus der Maya-Zeit (Schokoladenmuseum Köln / Vildan Weckbach)
Die aufwendige farbliche Gestaltung der vielen Gefäße belegt, welch große Bedeutung Kakaobohnen und das Getränk, das man aus ihnen mit Wasser aufbrühte, für die Menschen damals hatte. Wer es sich leisten konnte, trank seinen Kakao aus wertvollen, äußerst dünnwandigen hohen Bechern.
Sie tranken ihr Lieblingsgetränk zwar ohne Zucker und Milch, aber sie süßten das Heißgetränk mit Honig und waren äußerst kreativ, was die Zubereitung anging.
"Bei den altamerikanischen Kulturen hatte man nicht nur eine Variante an Rezepturen, also süß, wie wir das heute kennen, sondern es gab von würzig bis sehr scharf. Chili kannte man, verschiedenste Chilisorten. Die Kakaobohne hat bis zu 50, 60 Prozent Fett. Und wenn man das nutzt, hat man auch ein sehr nahrhaftes Getränk, und auch sehr viele Mineralstoffe und Vitamine, die in der Kakaobohne enthalten sind."
Das Foto zeigt verpackte und unverpackte Tafeln der KitKat Ruby Schokolade von Nestlé.
Die Spanier brachten den Kakao in die Alte Welt (picture-alliance / dpa / Georg Wendt)
Kakao als Medizin
Doch Kakao hat noch viel mehr zu bieten. Die Kölner Historikerin Prof. Stefanie Gänger hat sich damit beschäftigt, warum Kakao zum beliebtesten Getränk der Maya und später der Azteken wurde.
"In der Wahrnehmung der Zeit gibt es ganz viele Substanzen, die als medizinisch gelten, weil sie belebend sind, weil sie einen wach machen, konzentriert machen, stärken. Heute würde man von Medikamenten mit breitem Spektrum sprechen, die das Wohlbefinden in irgendeiner Weise positiv beeinflussen. Und Kakao ist eine davon."
Kakaobohnen enthalten Theobromin, ein Alkaloid, dem man gefäßerweiternde, herzstimulierende und muskelentspannende Wirkung bescheinigt. Zudem gilt dieser Naturstoff als Stimmungs-Aufheller. Theobromin, ein medizinisches Wundermittel, das seinen griechischen Namen, den man mit "Speise der Götter" übersetzen kann, nicht zu Unrecht trägt. Auch bei den Maya galt Kakao als Göttertrunk, von dem sie nicht genug kriegen konnten.
Ungeschälte Kakaobohnen
Für die Maya war Kakao mehr als ein Getränk (picture-alliance/ dpa - Frank Rumpenhorst)
Luxusartikel, Zahlungsmittel, Grabbeigabe
An große, ertragreiche Plantagen war mit den damaligen agrartechnischen Mitteln nicht zu denken. Zudem braucht der Kakaobaum optimale Boden-Bedingungen, Feuchtigkeit und Wärme, um zu gedeihen und Früchte zu tragen. Daher galten Kakaobohnen als Luxusartikel. Sie wurden als Zahlungsmittel eingesetzt und den Toten als kostbare Beilage ins Grab gelegt oder den Göttern als Opfer dargebracht. Kakaobohnen blieben viele hundert Jahre lang ein wertvolles Gut. Auch die Azteken, die zwischen dem 14. und 16. Jahrhundert die Vorherrschaft über weite Teile Mittelamerikas erlangten, schätzten die kostbaren Bohnen. Dazu noch einmal Museumskuratorin Andrea Durry:
"Städte oder Landschaften, die von den Azteken unterworfen waren, haben ihren Tribut mit Kakao bezahlt. Die Hauptstadt der Azteken, das lag klimatisch zu weit oben, es war zu kalt, der Kakaobaum wächst dort nicht. Und dann hat man aus den tropischen Regionen, zum Beispiel der Maya, den Kakao über Tributzahlungen, über Kriegszahlungen bekommen."
Bei solchen Tributzahlungen wurde Bohne für Bohne dokumentiert.
Mit Kakaopuder bestäubte Schokoladenstangen mit Kirchwasserfüllung.
Mit Kakaopuder bestäubte Schokoladenstangen mit Kirchwasserfüllung (dpa / KEYSTONE / Peter Würmli )
Wie der Kakao nach Europa kam
Als Mitte des 16. Jahrhundert spanische Eroberer nach Mittelamerika kommen, die indigene Bevölkerung unterjochen und sich in der Neuen Welt ansiedeln, lernen sie die Bräuche, Sitten und Gewohnheiten der Ureinwohner kennen. Diese kulturelle und soziologische Schnittstelle ist das Forschungsfeld der Kölner Historikerin Stefanie Gänger.
"Und es scheint so gewesen zu sein, dass diese spanischen Kaufleute, Missionare, Eroberer sich einfach nach und nach gewöhnen an den Konsum von Kakao und dass sie auf den Geschmack kommen, dadurch, dass sie dem täglich ausgesetzt sind. Und als dann die ersten Spanier zurückkehren, nehmen sie Kakao und Kakao-Zubereitungsformen mit zurück auf die iberische Halbinsel.
Und so findet es dort Verbreitung. Und so ungefähr ab den 1590ern hat es eine signifikante Präsenz auf der iberischen Halbinsel und von Spanien aus, verbreitet sich dann der Konsum von Kakao in Nordeuropa. Und das Interessante daran ist, dass das zunächst tatsächlich immer noch eine indigene Zubereitungsform ist. Das heißt, was die mitbringen ist nicht nur der Kakao, sondern das ist auch Chili, das sind auch Vanillegewürze. Die Europäer lernen den Konsum von Kakao in der indigenen Zubereitungsform."
Im 19. Jahrhundert wird Kakao zum Modegetränk
Erst im 19. Jahrhundert setzt es sich durch, Trinkschokolade mit Milch und Zucker zu verfeinern. In der Alten Welt wird Kakao zum Modegetränk und für die Spanier, die den Markt lange Zeit beherrschen, zum lukrativen Geschäft. Auf ihren Kakaoplantagen in Mittelamerika lassen sie die indogene Bevölkerung für sich schuften. Später sind es Sklaven aus Afrika. Als die anfälligen Monokulturen von einem Pilz befallen werden, weicht man mit dem Kakao-Anbau in die afrikanischen Kolonien aus.
Kakao gibt noch heute Rätsel auf
Im Zusammenhang mit der Kulturgeschichte des Kakaos gibt es noch einige Forschungslücken. Wichtige Informationen können Wissenschaftler den Hieroglyphen-Texten entnehmen, die man auf archäologischen Fundstücken entdeckt hat.
Dr. Christian Prager, Ethnologe an der Universität Bonn, ist Experte für die hoch entwickelte Zeichensprache der Maya.
"Das ist ein sogenanntes logo-syllabisches Schriftsystem, Wortzeichen und Silbenzeichen kombiniert. Und Maya konnten Sprache damit exakt abbilden, konnten aber Wörter nur mit Silben schreiben oder nur mit Wortzeichen oder kombiniert.
Und das hat eine große Variation an Schreibungen produziert, weil die Maya-Schreiber eigentlich immer darauf bedacht waren, Texte nicht homogen zu gestalten, sondern mit einem großen Variantenreichtum."
Christian Prager ist Mitglied einer Forschungsgruppe, die eine Textdatenbank und ein Wörterbuch der klassischen Mayasprache zusammenstellt. Ein Projekt, das wegen der komplexen Arbeit erst 2028 abgeschlossen sein wird.
Kakao vermutlich kein Maya-Wort
Bei seinen Untersuchungen hat der Bonner Wissenschaftler eine interessante Feststellung gemacht. Er fand keine Hieroglyphe, die das Wort Kakao in einem zusammenhängenden Wort-Bildsymbol darstellte. Der für die Maya so wichtige Kakao wurde in allen Texten lediglich mit einer Silbe abgekürzt, die für den Laut "K" stand.
"Eine These ist, dass es sich um ein frühes Lehnwort handelte, das kein Maya-Wort war. Wir können beobachten, wenn irgendein Nicht-Maya-Wort in Hieroglyphen-Schrift aufgeschrieben werden sollte, haben sie Silbenzeichen dafür verwendet. Es gibt die Idee, dass es aus dem Proto-Maya oder aus einer Nachbarsprache war und möglicherweise ist es vielleicht ein uraltes Wort, das aus dem olmekischen Kulturkreis kommt und das sich in der Maya-Schrift erhalten hat."
Eine sensationelle Entdeckung
Im Themenbereich der Kulturgeschichte des Kakaos gibt es immer wieder neue Erkenntnisse. So machte ein international und interdisziplinär zusammengestelltes Forscherteam unter der Leitung des Archäologen Francisco Valdez 2013 bei archäologischen Ausgrabungsarbeiten im Norden Ecuadors eine sensationelle Entdeckung, wie die Bonner Archäologin und Ethnologin Dr. Carla Jaimes berichtet, die die Ausgrabungsstätte in der Region um Santa-Ana la Florida besucht hat.
"Francesco Valdez interpretiert die Siedlung als einen Ort, an dem sich die Bevölkerung zyklisch traf, um kollektive Rituale durchzuführen. Bei den archäologischen Ausgrabungen wurden mehrere Gräber gefunden, die mit Opfergaben ausgestattet worden waren. Ein Teil des nachgewiesenen Kakaos stammt aus bestimmten Gräbern und ein anderer Teil wurde in Abfallschächten identifiziert."
Bei der gentechnischen Analyse und der Altersbestimmung winziger Kakaorückstände, die sich an alten Keramik-Scherben befanden, konnten kanadische Wissenschaftler, die an der Langzeitstudie beteiligt waren, nachweisen, dass Rückstände aus der Zeit um circa 3.300 vor Christus stammen. Die Wiege der Kakaokultur liegt also nicht, wie lange vermutet, in Mittelamerika, sondern weiter im Süden, im ecuadorianischen Amazonasgebiet. Und sie begann schon mindestens 1.500 Jahre früher, als bisher angenommen.
*Anmerkung der Redaktion: Zunächst hieß es an dieser Stelle "15.000 vor Christus" - das war selbstverständlich ein Tippfehler, den wir korrigiert haben. Richtig ist: 1.500 vor Christus.