"Krieg wird von Menschen geführt, nicht von Bestien oder Göttern. Er ist eine ureigene menschliche Aktivität. Ihn ein Verbrechen gegen die Menschheit zu nennen heißt, mindestens die Hälfte seiner Bedeutung außer Acht zu lassen, denn er ist auch die Bestrafung eines Verbrechens."
Das Zitat des australischen Schriftstellers und Teilnehmers des Ersten Weltkrieges, Frederic Manning, findet sich gleich zwei Mal im Buch von Margaret MacMillan. Ein Indiz dafür, wie wichtig es ihr ist.
Das Gute am Krieg
Krieg, als Form der organisierten Gewalt zwischen politischen Einheiten, ist nicht einfach nur böse und verdammenswert, sondern aufs engste mit der Entwicklung unserer Gesellschaften verbunden.
"Indem er die Macht der Regierungen stärkte, brachte der Krieg auch Fortschritte und Veränderungen mit sich, von denen wir viele als segensreich empfinden: das Ende von Privatarmeen, mehr Recht und Ordnung, in jüngerer Zeit mehr Demokratie, soziale Wohltaten, bessere Bildung, Verbesserung der Stellung von Frauen und Arbeitern, Fortschritte in Medizin, Wissenschaft und Technologie."
In neun Kapiteln und voll kluger Details geht die Historikerin der Frage nach, woher die menschliche – und vor allem männliche – Bereitschaft zur Gewalt kommt, und wie sich der Krieg durch die Jahrhunderte verändert hat.
Von der Antike bis zum modernen Nationalstaat
MacMillan tut gut daran, sich im ewigen Streit um das richtige Menschenbild – ist er nun "von Natur aus gut", wie Rousseau überzeugt war, oder doch "des Menschen Wolf", wie Hobbes betonte – nicht auf eine Seite zu schlagen, aber eine Tendenz ist klar zu erkennen:
"Auch wenn unter Historikern, Anthropologen und Soziobiologen weiterhin hitzige Debatten über Worte und Ideen toben, scheint die Beweislage zugunsten derer zu sprechen, nach deren Auffassung Menschen seit jeher dazu neigen, sich gegenseitig auf organisierte Weise anzugreifen – mit anderen Worten: Krieg zu führen."
Die Motive dafür können vielfältig sein: von gekränkter Ehre über das Gefühl der Bedrohung der eigenen Wir-Gruppe bis zur Konkurrenz um begrenzte Ressourcen. Das gilt für gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen nomadischen Völkern und sesshaften bäuerlichen Gesellschaften genauso wie für die Kriege im alten Griechenland und zwischen modernen Nationalstaaten.
Krieg als Entwicklungsmotor
Immer wieder verweist MacMillan dabei auf die enge Verbindung von Technologie und Kultur, die Gesellschaften vorantreibt: in Friedens- wie Kriegszeiten. Etwa wenn Handwerker im Mittelalter neue Verfahren entwickelten, mit denen sich nicht nur stabilere Kirchenglocken, sondern auch bessere Kanonen gießen ließen. Fortschritte, die Europa zu Beginn der Neuzeit ins Zentrum der Welt rücken ließen.
"Durch die Nutzung seines vorübergehenden technologischen Vorsprungs, darunter Kanonen, Panzerung und Stahl, gelang es dem Westen, einen großen Teil der übrigen Welt unter seine Kontrolle zu bringen, bevor die unterdrückten Völker lernten, wie sie zurückschlagen konnten."
Mindestens ebenso wichtig wie der technologische ist der gesellschaftliche Fortschritt. Während Krieg über Jahrhunderte eine Sache der Herrschenden oder Wohlhabenden war - oder bezahlter Söldner, die für sie kämpften -, änderte sich dies mit der Französischen Revolution. Unter dem Banner von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit wurde der Krieg zur Angelegenheit des "kleinen Mannes".
"Der Nationalismus – die Identifikation der Menschen mit etwas, das Nation genannt wird – war mit Aplomb in die Geschichte eingetreten."
Fatale Folgen von missionarischem Eifer
Nation, Demokratie und Krieg sind aufs engste miteinander verbunden, unterstreicht MacMillan. Das galt für alle europäischen Nationalstaaten, aber vor allem für die Grande Nation, Frankreich.
"In den militärischen Auseinandersetzungen, die nun begannen und in die Napoleonischen Kriege mündeten, ging es zunächst um die Verteidigung der französischen Nation und ihrer Revolution, doch schon bald um weit mehr: Die Franzosen überrannten Europa mit missionarischem Eifer und sahen es als ihre heilige Aufgabe an, ungerechte, autoritäre Regime zu stürzen und ihre europäischen Mitbürger zu befreien."
Ein Blick nach Afghanistan reicht, um zu sehen, dass Krieg gepaart mit missionarischem Eifer auch heute noch fatale Folgen haben kann.
"2002 wurden NATO-Truppen nach Afghanistan geschickt, ursprünglich, um das Taliban-Regime zu stürzen, doch während sie in einem Klein-Klein-Krieg versanken, weiteten sich ihre Ziele auf ein breites Spektrum zweifellos lobenswerter Vorhaben aus, vom Nation Building über das Gesundheitswesen bis zur Frauenbildung."
Das Ende der Menschheit?
Wie der Afghanistan-Krieg die Menschheit prägen wird, ist noch nicht klar – aber vielleicht sollte man auch besser von "uns" sprechen, so wie im englischen Originaltitel des Buches. Denn "die Menschheit" ist eine abstrakte Größe, der Krieg aber hinterlässt seine Spuren immer in einer konkreten "Wir-Gruppe" – so wie der Vietnamkrieg in den USA.
"Bei den Amerikanern löste der Vietnamkrieg das aus, was der Erste Weltkrieg bei den Europäern ausgelöst hatte: Er erschütterte ihr Selbstvertrauen und ihren Glauben an die eigene Kultur. Vielleicht lässt sich die tiefe Wirkung beider Kriege auf Künstler durch die Notwendigkeit erklären, dem beängstigenden Rätsel auf den Grund zu gehen, wie wir, gute und moralische Menschen, in einen solchen Krieg hineingezogen werden und solche furchtbaren Dinge tun konnten."
Und es könnte noch schlimmer kommen.
"Angesichts neuer, noch schrecklicherer Waffen, der zunehmenden Bedeutung von künstlicher Intelligenz, von automatischen Tötungsmaschinen und von Cyberkrieg sind wir mit der Möglichkeit des Endes der Menschheit konfrontiert."
Wir mögen den Krieg abscheulich finden, so MacMillans Fazit an Ende ihres luziden Buches, aber wir dürfen nicht aufhören, über ihn nachzudenken.
Margaret MacMillan: "Krieg. Wie Konflikte die Menschheit prägten",
aus dem Amerikanischen übersetzt von Klaus-Dieter Schmidt,
Propyläen Verlag, 384 Seiten, 30 Euro.
aus dem Amerikanischen übersetzt von Klaus-Dieter Schmidt,
Propyläen Verlag, 384 Seiten, 30 Euro.